Ostergedanken von Bischof Hermann Glettler
Schauplatz Osterlicht

Fotoarbeit von H. Glettler aus der Serie „wasted lives“, 2021. | Foto: Glettler

Licht-Schauplatz Nr. 1: Ein Vormittag im Caritas Sozial Zentrum in Uderns im Zillertal. In diesem Haus für Kinder, Menschen mit Beeinträchtigungen, Eltern-Kind Gruppen und Angehörigen von Demenzerkrankten herrscht im Regelbetrieb Leben pur – jetzt ist es eingeschränkt durch die Corona-Maßnahmen. Das Haus mit seinen vielen Hilfsangeboten ist ein Schauplatz gelebter Menschlichkeit. Mein Besuch hat im Integrationskindergarten begonnen. Im Begrüßungslied wurde mit kindlicher Begeisterung die Ostersonne besungen. Sie geht wieder auf, wärmt das Land, lockt die Blumen heraus und vertreibt Kälte und Finsternis. Auf die Frage, ob sie mir den Namen dieser Ostersonne verraten können, wurden die Kinder ganz still. Wir mussten nachdenken.

Licht-Schauplatz Nr. 2: Vor einigen Monaten im Flüchtlingslager auf der griechischen Insel Lesbos. Fast zufällig bin ich bei diesem Lokalaugenschein auch auf ein Gräberfeld gestoßen, wo Flüchtlinge, die ums Leben kamen, notdürftig bestattet werden. Das untergehende Sonnenlicht begleitete mich. Wie eine milde Decke legte es sich über das Feld der Vergessenen. Mit Tränen in den Augen habe ich die Gräber betrachtet und fotografiert. Auf einer Tafel lag das Geburts- und Todesdatum nur 18 Tage auseinander. Die verschwommene Scheibe auf meiner Fotoarbeit versucht diesem Moment der Scham gerecht zu werden. Die vielen Menschen standen mir vor Augen, deren zerbrochene Träume und ihr tödliches Scheitern. Doch plötzlich kam mir die Gewissheit: Gott selbst wird sie nicht vergessen. Sie werden sein ewiges Licht schauen.

Licht-Schauplatz Nr. 3: Die Feier der Osternacht. Nicht zufällig beginnt sie mit dem Entzünden der Osterkerze. Das Licht, das bereits in der Nacht den neuen Ostermorgen ankündigt, breitet sich langsam im Kirchenraum aus und erfasst die Mitfeiernden. Jedes Jahr ein berührender Moment. Lichtwerden. Das verteilte Licht ist mehr als eine anonyme Energie und mehr als ein inszenierter Zauber.
In der ersten Strophe des Hymnus, der im Stundengebet der Fastenzeit als Vorbereitung auf Ostern täglich gebetet wurde, heißt es: „Du Sonne der Gerechtigkeit, Christus vertreib in uns die Nacht, dass mit dem Licht des neuen Tags auch unser Herz sich neu erhellt!“ Die Ostersonne hat einen Namen: Jesus, der Auferstandene! Zur Versöhnung des Herzens brauchen wir seine Hilfe.

Licht-Schauplatz Nr. 4: Der Alltag im Schatten von Corona – auch wenn die Ostersonne des Frühjahrs schon kräftig strahlt. Ermüdungserscheinungen, schnelle Empörungen und Gereiztheit wirken sich atmosphärisch aus. Die vielen Schatten psychischer, sozialer und wirtschaftlicher Belastungen werden länger. Sie verstärken die Sehnsucht nach dem „neuen Licht“ – gemeint ist eine Perspektive für die nächsten Schritte, mehr Lebensfreude und eine größere Freiheit. All das gibt es nicht auf Bestellung. Das Osterlicht wird in der Begegnung mit dem Auferstandenen geschenkt. Wie in der Erzählung von Emmaus verwandelt seine sanfte Anwesenheit den bedrückenden Ort der Trauer in einen Schauplatz neuen Lebens.

Ich wünsche Ihnen ein lichtvolles, gesegnetes Osterfest
Bischof + Hermann Glettler

Autor:

TIROLER Sonntag Redaktion aus Tirol | TIROLER Sonntag

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