Kirchenzeitungen beim Bundespräsidenten
Religiösität stirbt nicht aus

Herr Bundespräsident, heuer haben Sie vor der UNO in Bezug auf die Klimakrise gesagt: „Die Zeit des Redens ist vorbei.“ Woher nehmen Sie den Optimismus, dass endlich etwas geschieht?
Alexander Van der Bellen: Aus mehreren Quellen. Die UNO setzt sich sehr stark für das Thema ein. Die letzte Klimakonferenz war ein relativer Erfolg, obwohl sie in Katowice, also in einer Kohleregion, stattfand. Ganz wichtig ist, dass die Jugend erwacht ist: Dass das Engagement von Greta Thunberg in kurzer Zeit soviel Aufsehen erregt hat, zeugt von hoher Sensibilität. Allerdings können wir die Klimakrise nur mehr begrenzen. Im alpinen Raum liegt die Durchschnittstemperatur heute ein bis zwei Grad höher als vor 100 Jahren. Die Folgen sieht man: Im letzten Juni bin ich im Kaunertal (Tirol) zwischen zwei Wiesen gewandert. Die eine Wiese war vom Bauern bewässert worden, grün und hoch. Die andere war rotbraun. Mit dem, was auf ihr stand, hätte man nicht eine einzige Kuh füttern können.

Wie schätzen Sie den Beitrag der Kirche zum Klimaschutz ein?
Van der Bellen: Das Engagement von Papst Franziskus und seine Enzyklika „Laudato si’“ helfen sehr. Es geht nicht darum, den Schrecken an die Wand zu malen, aber es muss sich doch die Einsicht verbreiten, dass wir die erste Generation sind, die die Klimakrise hautnah verspürt – und zugleich die letzte Generation, die es noch in der Hand hat, etwas Wesentliches zu ändern.

Dürfen Kinder also freitags die Schule schwänzen, um für mehr Klimaschutz zu demonstrieren?
Van der Bellen: Aus meiner Sicht ja, denn was sie in zwei Schulstunden versäumen, können sie nachlernen. Bei der Klimakrise geht es dagegen um Prozesse, die man nicht umkehren kann. Ich werde die schlimmsten Folgen nicht mehr erleben, für die jungen Menschen steht tausendmal mehr auf dem Spiel. Deshalb sagen die Schüler/innen auch: „Ihr Erwachsenen habt es versaut, ihr müsst es nicht ausbaden, aber ihr wollt uns verbieten, zwei Stunden zu investieren?“

Religion wird in der Gesellschaft schwächer. Würde es Ihnen Sorge bereiten, wenn Sie ganz verschwände?
Van der Bellen: Es kann sein, dass die eine oder andere Religion ausstirbt. Aber dass Religiosität insgesamt ausstirbt, glaube ich nicht. Dazu ist das Bedürfnis nach etwas zu groß, das zu erklären versucht, was Leben ist, woher es kommt und wohin wir nach dem Tod gehen.

Konkret gefragt: Wäre es egal, wenn das Christentum in Österreich aussterben würde?
Van der Bellen: Nein. Denn es geht um die mir so wichtige Botschaft des Neuen Testaments. Sich einigermaßen danach zu richten, ist übrigens meiner Meinung nach nicht nur für Kirchenmitglieder geboten.

Im Wahlkampf haben Sie bekundet, über einen Kirchen-Wiedereintritt nachzudenken. Haben Sie schon eine Entscheidung getroffen?
Van der Bellen: Ja, ich bin heuer wieder in die evangelische Kirche des Augsburger Bekenntnisses eingetreten.

Wie beurteilen Sie den Austausch zwischen den Religionsgemeinschaften und der Politik in Österreich?
Van der Bellen: Persönlich hatte ich viele gute Begegnungen, was vielleicht auch daran liegt, dass sich die Zusammensetzung der Bischofskonferenz heute von jener zu Zeiten Groers und Krenns unterscheidet. Ich tausche mich regelmäßig mit Kardinal Schönborn aus. In Vorarlberg hatte ich zuletzt eine schöne Begegnung mit Bischof Elbs. Auch mit dem evangelischen Bischof Bünker bin ich im Gespräch. Generell ist es wichtig, dass Politik und Religionsgemeinschaften Kontakt halten, und dass sich die Kirchen, Caritas und Diakonie zu sozialen Fragen zu Wort melden. Die Kirchen halten wie das Rote Kreuz und andere Organisationen das Ehrenamt hoch. Ich möchte mir Österreich nicht ohne diesen unersetzlichen Einsatz vorstellen.

Stichwort Soziales: Sie erhalten bald den eben im Nationalrat beschlossenen Umbau der Mindestsicherung zur Sozialhilfe als Bundespräsident zur Unterschrift (Beurkundung) vorgelegt. Für Flüchtlinge, Schutzberechtigte und Großfamilien bringt das Verschlechterungen, die kontrovers diskutiert wurden.Was halten Sie davon?

Van der Bellen: Es gehört nicht zu den angenehmsten Aufgaben eines Bundespräsidenten, Gesetze zu unterschreiben, bei denen er ganz andere Ansichten hat. Die bereits geltende Indexierung der Familienbeihilfe (Anpassung an die Lebenshaltungskosten nach Wohnort bei im Ausland lebenden Kindern, Anm.) halte ich für wirtschaftspolitisch, sozialpolitisch und außenpolitisch falsch. Ich gehe davon aus, dass das europarechtlich nicht hält. Aber da das Gesetz nicht offenkundig verfassungswidrig ist, konnte ich nicht anders als es zu unterschreiben. Auch jetzt bei der Sozialhilfe habe ich schwere Zweifel – Stichwort „Kinderdiskriminierung“. Wir werden das Gesetz, wenn es vorliegt, sorgfältig prüfen. Es kann aber auch sein, dass der Verfassungsgerichtshof die Sache zu klären hat. Im letzten Herbst habe ich eine ASVG-Bestimmung im Rahmen des Pensionsanpassungsgesetzes nicht unterschrieben, weil sie eindeutig verfassungswidrig war. Ich habe mich mit Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka darauf geeinigt, dass ich die Novelle gleichzeitig mit der nächsten Novellierung unterschreibe, die den verfassungswidrigen Halbsatz streicht.

Das Bundesverwaltungsgericht hat zwischen Februar 2017 und Juli 2018 43 Prozent der Asylentscheidungen des zuständigen Bundesamts wieder aufgehoben. Wie bewerten Sie das?
Van der Bellen: Wenn fast die Hälfte der Entscheidungen einer Behörde nicht hält, hat sie offensichtlich ein Qualitätsproblem. Die Entscheidungen sind natürlich schwierig, wenn Dokumente fehlen. Nicht jeder Fluchtgrund ist auch ein Asylgrund. Mir ist auch klar, dass da nicht nur Heilige zu uns kommen wollen, wie auch unter uns Österreichern nicht nur Heilige leben. Ich persönlich würde die Entscheidungen nicht treffen wollen. Aber da meine Eltern dreimal geflüchtet sind bzw. sich aussiedeln ließen, habe ich einen besonderen Zugang zu dieser Frage.

Die rechtsextreme Gruppe „Identitäre“, die Politik und Justiz beschäftigt, träumt offenbar von einer ethnisch „reinen“ Identität Österreichs. Welche Art von österreichischer Identität würden Sie deren Vorstellungen gegenüberstellen?
Van der Bellen: Das Letzte, was ich mir wünsche, wäre eine deutsche Volksgemeinschaft, wie sich das die Nazis vorgestellt haben. Wenn das so wäre, müsste ich zur Kenntnis nehmen, dass ich kein echter Österreicher bin: Meine Mutter kommt aus einer estnischen Familie, mein Vater ist kulturell Russe, von der Herkunft her aber Nordwesteuropäer. Wenn mich wer fragt, sage ich: Ich bin Kaunertaler, Tiroler, seit 40 Jahren Wiener, Österreicher und Europäer – und wo ist das Problem?

Unter Österreichs Kirchenzeitungen gibt es den Glasnik für die kroatische Volksgruppe im Burgenland und die Nedelja für die slowenische Volksgruppe in Kärnten. Welche Bedeutung haben die Volksgruppen für die Republik? Und wie kann man sie fördern?
Van der Bellen: Das Wichtigste ist, die Sprache zu erhalten. Deshalb war es auch entscheidend, dass der leidige Ortstafelstreit in Kärnten in den vergangenen Jahren bereinigt wurde. Irritiert bin ich, wenn man von Kärntner Slowenen spricht, ich rede lieber von slowenischsprachigen Kärntnern – oder kroatischsprachigen Burgenländern. Ohne diese Volksgruppen wäre Österreich jedenfalls ärmer. Nur ein Beispiel ist der Beitrag der slowenischsprachigen Kärntner zur österreichischen Literatur, denken Sie etwa an Peter Handke, Florjan Lipuš oder Maja Haderlap.

Nicht wenige Menschen sehen Europa nicht als ihre Heimat. Wie lässt sich das ändern? Wie lassen sich Menschen dazu motivieren, am 26. Mai zur Wahl des EU-Parlaments zu gehen?
Van der Bellen: Das Knifflige ist, die Menschen nicht nur über den Kopf anzusprechen, sondern einen Weg ins Herz zu finden. Natürlich fallen mir Argumente ein wie: Nur die EU-Kommission kann internationale Konzerne davon abhalten, ihre Marktmacht zu missbrauchen; die einzelnen Staaten sind dafür zu schwach. Aber das ist sehr kopflastig. Wir brauchen dringend einen EU-Patriotismus – auch weil wir weltweit nicht nur von Freunden umgeben sind: Die Regierung Trump in den USA hat gezeigt, wie schnell Freundschaften zugrunde gehen können. Mit Russland haben wir im Osten einen Nachbarn, der mit schwer einschätzbaren Risiken verbunden ist. Wir müssen uns um Afrika kümmern und mit den Chinesen laufend einen Modus vivendi finden. Wer anders als die EU könnte das?

Spitzenpolitiker haben meist sehr wenig Privatleben. Erfahren Sie das als Risiko für die Beziehung oder Freundschaften?
Van der Bellen: Ich kenne Personen, die nach dem Ausscheiden aus der Politik ohne Freunde dastanden. Jeder Spitzenpolitiker muss sich fragen, wie er es schaffen will, alte Freunde nicht aus den Augen zu verlieren. Ich hasse es zwar, schon Monate im Voraus ein Treffen zu planen, aber anders geht es nicht. Wenn ich meine Frau Doris (Schmidauer, Anm.) nicht hätte, die eine große Netzwerkerin ist, liefe ich Gefahr, Freundschaften nicht pflegen zu können. «

Autor:

Kooperation Kirchenzeitungen aus Salzburg & Tiroler Teil | RUPERTUSBLATT

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