Ein Mann, ein Gedicht

Josef "Joe" Leitner. | Foto: Privat

Der pensionierte Religionslehrer Josef „Joe“ Leitner veröffentlicht neuerdings Gedichte und gewann gar einen Literaturpreis. Was treibt den 62-Jährigen aus Hochstraß im Mittelburgenland an?    

GERALD GOSSMANN 

Bloß 38 kurze Wörter brachten den Sieg. Josef Leitner, 62, Heimatort: Hochstraß (Gemeinde Lockenhaus), saß vor seinem Computer, als eine Nachricht aufpoppte und auf den ORF-Burgenland Literaturwettbewerb „Textfunken“ verwies. Maximal 100 Zeilen sollten zum Jubiläum „100 Jahre Burgenland“ verfasst werden. Leitner, gerne auch Joe genannt, ist ein spontaner Mann. „Mir sind ein paar Gedanken gekommen und die habe ich mit zwei Fingern eingetippt und weggeschickt.“ Das brachte den Sieg. „Ich war überrascht, dass das so gut ankommt“, erzählt der pensionierte Religionslehrer.

Burgenländischer Alltag. Joe Leitner gelang es, in nur 38 Worten burgenländische Alltagsgeschichte zu erzählen und dabei das Lebensgefühl einer ganzen Generation zu reflektieren (siehe Gedicht unten). Der Text changiere „zwischen Melancholie und der Tröstlichkeit von Strukturen“ und sei „durch das Pendeln nach Wien und die Abwesenheit der Väter bestimmt“, urteilte die Jury. Leitner sagt, er erinnere sich gerne an diese Zeit zurück, „es gab ganz klare Strukturen. Theodor Kery hat Hauptplätze gefüllt, Stefan László hat Kirchen gefüllt“. Dazu beschreibt er die von ihm wahrgenommene Vaterferne: „Viele burgenländische Väter waren ja von Sonntagabend bis Samstagabend in Wien und die Frauen waren meistens mit den Kindern allein im Haus und mussten die bäuerlichen Arbeiten verrichten“, so Leitner.

Schon als Kind habe er „lieber Gedichte geschrieben statt Aufsätze“, erzählt Leitner. Dazu hat er sich einen Namen als Minne- und Bänkelsänger in Lockenhaus gemacht. „Da muss man spontan reimen können und das gelingt mir ganz gut.“ 40 Jahre lang war Joe Leitner als Religionslehrer tätig – mit viel Leidenschaft. Dieses Unterrichtsfach sei wie ein Gedicht – es wäre alles möglich, nichts verboten. „Der ideale Religionsunterricht soll den Geist weiten“, sagt er. Man könne musizieren, dichten, malen, denken, philosophieren. Sprich: All das tun, was Joe gerne tut. Auf sein Sieger-Gedicht hat er viele Reaktionen erhalten. Von Freunden, „die es super fanden, dass der Text so kurz ist und gleichzeitig so berührt“, sowie von seinem Nachbarn, dem Schriftsteller Hans Raimund, dessen Gedichte Joe Leitner an alte, malerische Stadeltore in Hochstraß gepinnt hat. „Ich wollte mit einfachen Sätzen den Puls dieser Zeit treffen“, erklärt Leitner. Seit einem Jahr befindet er sich im Ruhestand, den er vermehrt dazu nützt, Erlebtes niederzuschreiben. Er frischt Erinnerungen auf, wie jene, als in seinen Kindestagen regelmäßig ein tätowierter Mann zu Besuch kam. Joe Leitner war neugierig und fragte immer wieder, was denn das Tattoo bedeuten solle. Eine Antwort erhielt er von dem Mann nicht. Später erfuhr Leitner, dass dieser seine Tätowierung vom Aufenthalt in einem Konzentrationslager hatte, er den kleinen Joe nicht mit seiner Lebensgeschichte belasten wollte. Nun wird dieses Erlebnis zu einem Gedicht verarbeitet. Für Leitner ist das Dichten Vergangenheitsbewältigung, Kramen in schönen Erinnerungen und kreative Betätigung zugleich. Eine Wohltat für Geist und Seele. „Es tut gut, wenn man seine Gedanken zu Papier bringt“, sagt er.

Vordorfweiber. Joe Leitner ist ein geselliger, unterhaltsamer Mann, der pointenreich erzählt. So vielfältig wie Leitner, sind auch die Themen seine Gedichte. Er schreibt liebevoll und kritisch über die Kirche, seine Kindheit, seine Zeit als Lehrer, das Dorfleben im Burgenland und zuletzt verwandelte er die Menschen seiner Umgebung nach dem Vorbild der ORF-Serie „Vorstadtweiber“ zu Vordorfweibern und Vordorfmännern. Der Schreibtisch von Joe Leitner ist zu seinem Spielplatz geworden.

Mord und Totschlag? Nachdem sein Gewinnergedicht im ORF-Regionalfernsehen „Burgenland Heute“ vorgestellt wurde, meldeten sich immer wieder Fans seiner Arbeit bei ihm. Gerne würde er seine Werke einmal drucken und publizieren. Sein Nachbar, der Schriftsteller Hans Raimund, habe ihm einen Rat gegeben, so Leitner: Berühmt werden könne man in diesem Geschäft nur mit Beziehungsgeschichten oder man würde über Mord und Totschlag schreiben. „Fifty Shades of Salmannsdorf zu verfassen, ist aber nicht meine Sache“, schmunzelt Leitner.
„Und Mord und Totschlag“, so hält er fest, „liegen mir nicht“.

DAS  SIEGERGEDICHT

Papa pendelt nach Wien Mama kocht Mama wäscht
Mama versorgt den kleinen Hof Oma rupft die Gans
Opa mäht das Gras Schwester lernt Englischvokabel
Im Dorf ist es still Kery ist Landeshauptmann
Laszlo Bischof Papa pendelt nach Wien

JOSEF LEITNER 
GEWINNER DES ORF-BURGENLAND LITERATURWETTBEWERBS „TEXTFUNKEN 2021“

Autor:

Martina Mihaljević aus Burgenland | martinus

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