EIN_BLICK
„Ich lasse mir meine Glaubensheimat nicht nehmen“

Viele Frauen bleiben und gestalten Kirche mit – trotz Krisen und Skandale. 
 | Foto: Godong/robertharding/APA
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Durch die Krisen in der Kirche steigt die Zahl der Austritte. Vor allem Frauen sind aus etlichen Gründen enttäuscht. Dass sich trotzdem viele Katholikinnen zu ihrem Glauben bekennen, zeigt Elisabeth Zoll anhand engagierter Frauen in ihrem Buch „Wir bleiben!“.

War es schwierig, Katholikinnen zu finden, die offen über ihren Glauben sprechen?

Elisabeth Zoll: Es war nicht so schwierig, wie zunächst angenommen. Mir lag daran, eine Vielfalt von aktiven Katholikinnen zu Wort kommen zu lassen. So erzählen ältere und jüngere Frauen aus Kultur, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft, wie sie kirchlich sozialisiert sind und wie der Glaube ihr Leben prägt. Jede von ihnen hat ihre eigene Botschaft und ihren eigenen Weg.

Was hat Sie an diesen Erzählungen besonders fasziniert?

Zoll: Insgesamt fand ich es stark, dass die Frauen ein Glaubenszeugnis abgegeben haben, trotz der Krisen und Miseren in der katholischen Kirche. Einige ringen mit ihrem Ja, zu bleiben, dennoch gestalten sie Kirche „noch“ mit. Beeindruckt hat mich auch, dass Frauen aus Politik und Wirtschaft ihre persönliche, religiöse Überzeugung als Katholikinnen mit in ihren Beruf nehmen. Sie sind ja in einem harten Geschäft tätig. Natürlich ist der Glaube etwas Privates, aber er ist auch etwas höchst Politisches und diese Christinnen haben ihn morgens, wenn sie ihren Konzern oder das politische Parkett betreten, nicht vergessen. Mich faszinieren aber auch Frauen, die sich in katholischen Hilfsorganisationen oder Gemeinschaften wie der Laienbewegung Sant’Egidio engagieren. Ihr Einsatz ist durchdrungen vom Glauben, vom Christentum.

Haben Sie selbst schon einmal mit dem Gedanken gespielt, der katholischen Kirche den Rücken zu kehren?

Zoll: Es wäre nicht redlich zu sagen, dass es mir noch nie in den Sinn gekommen ist. Frauen in der katholischen Kirche haben viel Grund, verärgert zu sein, enttäuscht zu sein, wütend zu sein. Da nehme ich mich nicht aus. Missbrauchs- und Finanzskandale, die Erstarrung der Institution, die chronische Benachteiligung von Frauen – all das sind Steine des Anstoßes, welche die befreiende Botschaft des Evangeliums verdunkeln. Für mich persönlich ist es aber immer auch eine Frage, lasse ich mir von diesen Widrigkeiten, von diesen Krisen meine Glaubensheimat nehmen. Und meine Antwort ist: Nein.

Was sind Ihre konkreten Gründe, zu bleiben?

Zoll: Zunächst ist es mein Glaube. Ich bin in Oberschwaben in einer katholischen Region in Deutschland aufgewachsen und bin auch durch mein Elternhaus katholisch sozialisiert. Das Leben in der Kirche war selbstverständlich, aber ich konnte es nicht ohne Brüche ins Erwachsenenleben mitnehmen. Als Frau musste ich mich neu orientieren, welches Verständnis von Kirche mich trägt. Meine DNA ist nach wie vor katholisch christlich. Für mich wäre es eine Amputation, das abzuschneiden. Trotzdem gehe ich als Journalistin und als Katholikin mit wachen Augen durch die Welt. Ich sehe die Missstände und ich werde nicht müde, sie zu benennen. Mein Glaube hilft mir dabei und gibt mir Kraft.

Welches Verständnis von Kirche ist es denn, das Sie trägt und wie gestalten Sie Kirche mit?

Zoll: Einerseits bin ich in Ulm, wo ich lebe, in der Innenstadtgemeinde engagiert. Wenn Not an Frau ist, helfe ich z. B. mit bei der Armenküche. Andererseits bin ich durch meinen Mann Mitglied der Basisgemeinde in Frankfurt. Das ist eine christliche Gemeinde, die sich mehrheitlich aus katholischen, aber u. a. auch aus evangelischen Mitgliedern zusammensetzt. Da wir übers ganze Land verstreut sind, verbinden wir uns wöchentlich jeden Donnerstagabend online miteinander zum Bibellesen, zum Beten, zum Diskutieren. Für mich ist es wichtig, sich als Katholik:in oder als Christ:in ein Umfeld zu suchen, das bestärkt. Glaube braucht Gemeinschaft.

Welche spirituelle Erfahrung hat Sie in Ihrem Leben am meisten geprägt?

Zoll: Meine religiöse Prägung hängt sicher auch mit meinem Beruf als Journalistin zusammen. Ich bin viel gereist, tue das nach wie vor und bin vor allem in armen Regionen der Welt unterwegs – in Afrika, Asien und Mittelamerika. Je größer die Not, desto leuchtender das Christentum. Das ist eine Erfahrung, die ich mitbringe. In schwierigen Situationen habe ich wunderbare Ordensfrauen kennengelernt. Das sind für mich große Geschenke. Privat sind mein Mann und ich seit vielen Jahren immer wieder auf dem Jakobsweg unterwegs. Manchmal zu zweit, manchmal in der Gruppe. Auch das ist eine Form, Gemeinschaft und Spiritualität zu leben, die trägt.

Wenn Sie auf Reisen waren, wo haben Sie besonders gespürt, dass der Glaube die Menschen trotz Armut, trotz Konflikten stützt?

Zoll: Stark war das in Ruanda. Beeindruckend fand ich dort, wie dieses geschundene Land, wo es grausame Massaker gab, um Versöhnung ringt und auch in Gottesdiensten Menschen zusammenfinden, deren Angehörige sich Jahrzehnte davor noch massakriert haben. Den Geist, sich einzusetzen für andere, die Solidarität mit anderen – das schätze ich an der Kirche. Dazu kommt die Internationalität, unser Blick in die Weltkirche. Ich glaube, das ist ganz wesentlich. Wenn alleine in den deutschen Gremien Katholizismus verhaftet wäre, dann wäre das doch eher zum Verzweifeln.

Was halten Sie vom weltweiten Synodalen Prozess, den der Papst auf den Weg brachte?

Zoll: Ich halte ihn für sehr wichtig. Es ist dringend notwendig gewesen, dass Wagenburgen, hinter denen sich Kleriker verschanzten, eingerissen werden. Beim deutschen synodalen Weg ist das zum Teil zwangsweise passiert. Nun sitzen bei der großen Synodalversammlung die Kleriker nicht mehr beisammen, auch nicht mehr gesplittert nach Lagern, in denen sie sich verorten, sondern man sitzt dort alphabetisch. Da nimmt Bischof A neben Laien B Platz. Und irgendwann sind Gespräche möglich. Ich denke, dass das Einreißen dieser Wagenburgen einer der größten Fortschritte dieses Prozesses sein wird. Vertrauen ist entstanden, Gespräche sind geführt und Lager durchbrochen worden. Das ist ein riesiger Gewinn. Was die großen Reformen betrifft, so wird bei der fünften Versammlung des deutschen synodalen Weges im März aber keine Frauenweihe ausgerufen werden. Das ist illusorisch.

Würden Sie die Zulassung von Frauen zu den geistlichen Ämtern in der Kirche begrüßen?

Zoll: Zunächst wünsche ich mir Gleichheit von Männern und Frauen in der Kirche. Dass viele Katholikinnen die Benachteiligung von Frauen kaum mehr aushalten, kann ich nachvollziehen. Ich glaube zwar nicht, dass die Frauenweihe unsere Probleme in der Kirche löst, aber ich wüsste nicht, was gegen ein Diakonat der Frau spricht. Die Zeit dafür ist reif. Das sind natürlich strukturelle Veränderungen, die notwendig sind, die aber nicht über die Glaubwürdigkeitskrise insgesamt hinweghelfen, die mit dem Thema Missbrauch verbunden ist. Da braucht es ein mutigeres Erkennen, dass nicht einzelne schwarze Schafe dafür verantwortlich sind, sondern dass es systemisches Versagen gab, vielleicht auch noch gibt. Dieses Thema hat das Vertrauen in die Kirche bis in die hochbetagten Generationen, die sich nichts anderes vorstellen konnten, als katholisch zu sein, erschüttert. Da müssen noch viele Schritte kommen, das aufzuarbeiten.

INTERVIEW: SUSANNE HUBER

BUCHTIPP
Elisabeth Zoll, „Wir bleiben! Warum sich Frauen nicht aus der katholischen Kirche vertreiben lassen“. Die Herausgeberin Elisabeth Zoll hat 18 engagierte Katholikinnen aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft in Deutschland befragt, wie sie ihren Weg in der Kirche finden und woraus sie Kraft dafür schöpfen. Das Buch erscheint am 15. Februar 2023, S. Hirzel Verlag, ISBN 978-3-7776-3198-1, 183 Seiten, € 23,60.

Viele Frauen bleiben und gestalten Kirche mit – trotz Krisen und Skandale. 
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Elisabeth Zoll ist Politologin und arbeitet seit 1993 als Redakteurin bei der Südwest Presse Ulm mit Schwerpunkten in den Bereichen Politik und Kirche. | Foto: Lars Schwerdtfeger
Autor:

martinus Redaktion aus Burgenland | martinus

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