Schlusspunkt von Józef Niewiadomski
Rationales Miteinander

Mitten im Wald bricht plötzlich das Feuer aus. Panik breitet sich unter den Bewohnern aus. So etwas haben sie noch nie erlebt. Im Grunde weiß auch keiner, wie man sich mit Sicherheit retten kann. Geradewegs rennt ein Blinder dem Feuer entgegen. Ein Lahmer sieht es und schreit ihn an: „Du läufst in Richtung Feuer!“ „Wohin soll ich denn fliehen?“, ruft der Blinde verzweifelt. „Ich könnte dir den Weg zeigen, bin aber lahm und kann nicht gehen. Nimm mich auf deine Schultern, so können wir uns beide retten.“ Und so geschah es.
Weil sie angesichts einer nicht berechenbaren Bedrohung kooperieren konnten, überlebten sie die Katastrophe.
Die alte Geschichte bekommt in unserer Zeit neue Aktualität. Nach einer kurzen Zeit der politischen Kultur, die ihrem Namen alle Ehre machte, greift nun das Virus des Streits, der Verdächtigung und der Beschuldigung um sich. Dabei steht uns der Flächenbrand einer sozialen Pandemie noch bevor. Wenn wir uns der Weisheit der alten Geschichte verschließen, dass wir alle auf diese oder jene Weise bei neuartiger Bedrohung „behindert“ sind und uns bloß in der sterilen Kunst des „anti…“ profilieren, werden wir schwerlich überleben. Der andere hat doch etwas, was ich nicht habe. Und umgekehrt. Deswegen ist das Miteinander rationaler als das Gegeneinander.

Autor:

Gilbert Rosenkranz aus Tirol | TIROLER Sonntag

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