Schlusspunkt von Józef Niewiadomski
Gott gefunden

Jahrelang haben sie zusammen bei ihrem Meister studiert, mit ihm auch stundenlang meditiert. Als die Studienjahre vorbei waren, brachen drei seiner besten Schüler auf. Sie wollten die Welt erkunden und Lebenserfahrungen sammeln. Sie schworen einander aber, sich nach zehn Jahren wiederum bei ihrem Meister zu treffen. Um Bilanz zu ziehen.
So kamen sie also nun wieder. Erkannten aber den Meister kaum. Gealtert und krank, lag er auf seinem ärmlichen Bett. Sie mögen sich um das Bett herum niedersetzen und ihm erzählen, was sie getan und erlebt haben, sagte er zu ihnen. „Ich habe mehrere Bücher geschrieben. Millionenfach wurden sie verkauft“, sagte ganz stolz der Primus. „Das bedeutet wohl“, warf der alte Meister ein, „dass du die Welt mit dem Papier zugemüllt hast.“ Von Freude über die subtile Kritik seines Kollegen erfüllt, bekannte der zweite Schüler: „Und ich habe gepredigt. Dazu auch tausende von Tempeln aufgesucht.“ Der Meister keuchte und sagte ganz leise: „Das heißt, dass du die Welt mit Worten zugeschüttet hast.“ Der dritte schwieg längere Zeit. Dann sagte er schüchtern: „Ich habe dir nur ein Kissen mitgebracht, damit du deine kranken Beine auf das weiche Kissen legen kannst. Sie tun dir doch so weh!“ Der Meister lächelte: „Nur du hast Gott gefunden!“

Autor:

TIROLER Sonntag Redaktion aus Tirol | TIROLER Sonntag

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.

Powered by PEIQ