EIN_BLICK
Lernen am Berg Zion

Ostern in der Dormitio-Basilika in Jerusalem. | Foto:  Hlavka
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Neben Erfahrungen und Erkenntnissen nehmen drei Theologiestudierende auch Fragezeichen aus ihrem Studienjahr in Jerusalem mit.

Raketen zielten am Osterwochenende aus dem Gazastreifen, dem Libanon und aus Syrien auf Israel. Israel reagierte mit Gegenangriffen auf diese Gebiete. Bei Anschlägen starben mehrere Menschen im Westjordanland und in Tel Aviv. Der Verteidigungsminister wurde entlassen und kurz darauf ins Amt zurückgeholt. Eine geplante Justizreform sorgt seit Monaten für Großdemonstrationen in Israel. Stabilität sieht anders aus. Es war ein politisch äußerst unruhiges Jahr, das Maria Brader, Raphael Pettermann und Michael Hlavka in Jerusalem verbracht haben. Am Weißen Sonntag beenden sie ihren außergewöhnlichen Studienaufenthalt und kehren nach Österreich zurück. Ihr Rucksack ist prall gefüllt mit Lebenserfahrung und Lernzuwachs.

ZEIT ZU GEHEN
Die Sonne scheint zum Fenster herein, die Wand im Hintergrund des Zimmers strahlt weiß wie Schnee. Im Vordergrund sitzen drei junge Erwachsene vor dem Bildschirm und versuchen zusammenzufassen, was die vergangenen acht Monate für ihr Leben bedeuten. Dank der digitalen Möglichkeiten wirken sie so nah, als ob sie nicht dreieinhalbtausend Kilometer entfernt von Österreich wären. Sie sind es aber noch, denn ihren Heimweg treten sie erst in den nächsten Tagen an. Zeit, nicht nur Souvenirs gut zu verpacken, sondern auch die unterschiedlichen Eindrücke des Jahres zu sortieren.

Das Studienjahr war reich an Ausblicken und Einblicken. | Foto: Hlavka
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ANSCHLAG AUF EINEN BUS
Bereits in der ersten Woche nach der Ankunft in Jerusalem im August schreckten ihn Schüsse aus dem Bett auf, erinnert sich der Kärntner Michael Hlavka. In der Straße, die unterhalb des Klosters vorbeiführt, wurde auf einen Bus geschossen. Dabei kam ein ungeborenes Kind ums Leben, wie er später erfuhr. Es sei ihm klar gewesen, dass er in Israel so etwas erleben könnte, sagt Hlavka. Dennoch überraschte ihn, wie schnell es kam. „Noch mehr hat mich gewundert, dass am nächsten Tag alles so war, als ob nichts gewesen wäre. Das Leben in der Stadt ist einfach weitergegangen, nichts hat auf einen Anschlag hingedeutet. Ich habe mich an den Anschlag im November 2021 in Wien erinnert. Da war am nächsten Tag Ausnahmezustand. Ab da war mir klar, dass man hier anders damit umgeht, weil so etwas regelmäßig passiert.“

MÖGLICHST VIELE BLICKWINKEL
Das „Theologische Studienjahr Jerusalem“ bietet jedes Jahr 20 deutschsprachigen Theologiestudierenden die Möglichkeit, sich zwei Semester lang intensiv mit der Gegenwart und Geschichte des Heiligen Landes auseinanderzusetzen. Der ökumenische Austausch zwischen den christlichen Konfessionen und der interreligiöse Dialog mit Judentum und Islam spielen dabei eine große Rolle. Neben regulären Vorlesungen und Seminaren gibt es wöchentliche Abendvorträge, die sich aus verschiedenen Blickwinkeln mit der politischen Situation befassen. Die Bandbreite der unterschiedlichen Referierenden lernte Raphael Pettermann aus Kremsmünster zu schätzen: „Wir hatten beispielsweise einen rechts-religiösen Referenten, einen Reformrabbiner, jüdische Theologen, die sich mit dem Land-Thema auseinandersetzen, bis hin zu NGOs auf palästinensischer Seite, aber auch Kooperationen zwischen Israelis und Palästinenser:innen. Das Programm ist so aufgebaut, dass man mit möglichst verschiedenen Menschen in Kontakt kommt.“

„... dass man mit möglichst verschiedenen Menschen in Kontakt kommt.“

RAPHAEL PETTERMANN

EINE FRAGE DER WAHRHEIT
Ziel des Studienjahrs könne es nicht sein, ein allgemeingültiges Bild von der Lage zu zeichnen, ist Maria Brader aus Garsten bei Steyr klargeworden. „Es ist so komplex. Das Grundthema prägt den ganzen Konflikt. Dass die einen sagen, wir waren die letzten Jahrhunderte da, wir sind die einheimische Bevölkerung des Landes. Und die anderen sagen: Wir sind vertrieben worden, waren im Exil, aber wir waren vor euch da. Die unterschiedlichen Parteien in diesem Konflikt haben so starke und unterschiedliche Narrative, die aus geschichtlichen und religiösen Kontexten gespeist sind und die den Blick auf die je andere Seite vernebeln und verstellen. Wie damit umzugehen ist, ist eine Frage von Wahrheit, Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit.“ Die – von außen betrachtet – sinnlose Gewalt erlebe sie auch als religiöse Anfrage, sagt Maria Brader.

ZU GAST BEI DEN MÖNCHEN
Das Theologische Studienjahr Jerusalem gibt es seit bald 50 Jahren. Wissenschaftlich ist es an die Benediktinerhochschule Sant´Anselmo in Rom angeschlossen. Das Studienhaus liegt direkt an der Dormitio-Abtei der Benediktiner am Berg Zion, südlich der Jerusalemer Altstadt. Von hier aus sieht man auf der einen Seite die Grenzmauer zum palästinenischen Westjordanland, auf der anderen Seite das jüdisch bewohnte Westjerusalem. Innerhalb der Abtei-Mauern fühlen sich die Studierenden nicht nur wohl, sondern auch sicher, wie sie einhellig sagen. Das Mitleben im benediktinischen Stil ist für die jungen Studiengäste eine interessante Erfahrung. Sie können an den Stundengebeten teilnehmen und Aufgaben in der Liturgie übernehmen, wenn sie möchten. „Wir sind zu den Gebetszeiten eingeladen. Manche beten mittags und abends mit, andere in der Früh, einzelne fast jedes Gebet.“ Maria Brader erlebt die Mönche als gastfreundlich und gesprächsbereit. Zurzeit werden Kloster und Kirche saniert. Während der Renovierung wohnen auch die Mönche im Studienhaus neben dem Kloster. „Sie sind im Stock unter uns, wir haben die zwei Stöcke oberhalb. Deshalb läuft man sich oft einmal über den Weg und kann am Gang quatschen. Jeden Sonntag sind drei von uns eingeladen, bei ihnen mitzuessen. Donnerstagabends kommen sie zu uns bzw. gibt es auch Mönche, die mit dem Studienjahr enger verbunden sind, unser Studienpräfekt zum Beispiel, der kommt öfter mal zum Essen. Es ist ein sehr angenehmes Miteinander, finde ich.“

„Es ist ein sehr angenehmes Miteinander, finde ich.“

MARIA BRADER

STRENGE AUSWAHL
Für die 20 evangelischen und katholischen Studierenden aus dem deutschsprachigen Raum sorgen zwei Köche. „Man traut sich gar nicht zu sagen, wie verwöhnt wir sind“, meint die Theologiestudentin aus Linz. Das Studienprogramm mit zusätzlichen Exkursionen, Workshops und Gastvorträgen sowie die Unterkunft in Jerusalem haben auch ihren Preis. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben ein strenges Auswahlverfahren hinter sich. Es besteht teils aus Sprachprüfungen in Bibelhebräisch und Bibelgriechisch und teils aus einer Prüfung „quer durch den theologischen Gemüsegarten“, wie es Raphael Pettermann ausdrückt. Altes und Neues Testament, Islamwissenschaften, Judaistik, Ostkirchenkunde, Ökumene und der Nahost-Konflikt gehören zum Prüfungsstoff, die politische Situation wird auf Englisch abgefragt. „Man muss viel wissen und können, aber es ist auch ein gewisser Stresstrest, wie belastbar man ist. Arbeitsmoral und Persönlichkeit werden gleichzeitig abgecheckt.“ Der Vorteil davon ist aber, dass alle am Beginn des Studienjahrs ein gemeinsames Basiswissen haben.

Eine Wüsten-Exkursion brachte Extremsituationen ebenso mit sich wie spirituelle Er-fahrungen. 
 | Foto: Hlavka
  • Eine Wüsten-Exkursion brachte Extremsituationen ebenso mit sich wie spirituelle Er-fahrungen.
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AUCH GELD MUSS SEIN
Für die drei angehenden Theolog:innen aus Österreich war die Herausforderung damit noch nicht vorbei. Während die deutschen Studentinnen und Studenten mit der Aufnahme ins Studienjahr gleichzeitig ein DAAD-Stipendium zugesprochen bekommen, ist das in Österreich komplizierter, erklärt Maria Brader. „Es gibt für Österreich ein Stipendium, das dankenswerter Weise von den Grabesrittern zur Verfügung gestellt wird. Das haben wir uns zu dritt geteilt. Es war eine hohe Geldsumme, aber nicht genug für uns alle drei.“ So machten sich die drei auf die Suche nach Unterstützung und fanden sie etwa bei der Ordenskonferenz, bei den Diözesanbischöfen, beim Akademiker:innenverband, bei befreundeten Priestern, beim Stift Kremsmünster und dem Absolventenverein des Stiftsgymnasiums. „Es hat unsere Perspektive beeinflusst, dass wir von so vielen unterstützt wurden, die das als unterstützenswert erachtet haben. Es hat uns gezeigt, was für ein Privileg es ist, studieren zu können, und noch dazu so ein tolles Programm im Ausland zu machen.“

„Die Landschaft war unvergleichbar schön.“

MICHAEL HLAVKA

FREUNDSCHAFT SIEGT
Zusätzlich zu den wissenschaftlichen Inhalten ist die Vernetzung der etwa gleichaltrigen Theologinnen und Theologen aus verschiedenen Gegenden und Konfessionen ein wesentlicher Bestandteil des Studienjahrs. Die Wüsten-Exkursion im September, relativ zu Beginn des gemeinsamen Aufenthalts, war ein steiler Einstieg für die Studiengemeinschaft. „Es war etwa 40 Grad heiß und wir sind acht Tage lang zu Fuß durch die Wüste gewandert – die gesamte Studiengruppe inklusive der Studienleitung“, erinnert Michael Hlavka an einen ersten Höhepunkt im Studienjahr. „Die Landschaft war unvergleichbar schön. Die Extremsituationen bei dieser Hitze waren aber eine Herausforderung. Wir haben uns als Gruppe wirklich kennengelernt.“ Ihm hat das Erlebnis so gut gefallen, dass er dann im Winter einen Teil der Route noch einmal alleine gegangen ist. „Das war auch spannend. Natürlich viel kälter. Das Erlebnis, dass in der Wüste plötzlich die Bäume blühen, wenn es geregnet hat, hat mich sehr beeindruckt.“

Am österreichischen Nationalfeiertag im Oktober waren Michael Hlavka, Maria Brader und Raphael Pettermann ebenso wie ihr Gastgeber, der neue Abt Nikodemus Schnabel von der Jerusalemer Dor-mitio-Abtei, zu einem Empfang an der österreichischen Botschaft in Tel Aviv geladen.  | Foto: Hlavka
  • Am österreichischen Nationalfeiertag im Oktober waren Michael Hlavka, Maria Brader und Raphael Pettermann ebenso wie ihr Gastgeber, der neue Abt Nikodemus Schnabel von der Jerusalemer Dor-mitio-Abtei, zu einem Empfang an der österreichischen Botschaft in Tel Aviv geladen.
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ALLES WALZER
Ein weiteres Gemeinschaftserlebnis war der Hausball, den die drei aus Österreich als kulturellen Beitrag im Studienhaus organisiert haben. Sogar einen kleinen Tanzkurs haben sie vorher angeboten, damit alle mitmachen konnten, schildert Raphael Pettermann. „Auch die Studienleitung hat mitgefeiert, sogar einige Mönche sind gekommen.“ Es gab einen Eröffnungswalzer, eine Damenspende und eine Fotoecke, der Studiensaal war schön dekoriert und alle haben sich schick gemacht. „Das war ein gemeinschaftlicher Höhepunkt.“

Das Leben kann nicht immer festlich sein, stellte Maria Brader fest. „Natürlich gab es in der Gruppe auch Konflikte, sowohl theologische als auch persönliche. Es hat sich aber im Rahmen gehalten im Vergleich dazu, was alles sein hätte können. Ich gehe heim mit der Vorfreude, viele Menschen wiederzusehen.“

Autor:

martinus Redaktion aus Burgenland | martinus

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