Porträt
„Meine unbeschwerte Kindheit war dann vorbei“

Zusammen unterwegs. Bundespräsident Alexander Van der Bellen lud Manuela Horvath ein, mit ihm gemeinsam die 75-Jahr-Gedenkfeier anlässlich der Befreiung des KZ Auschwitz-Birkenau zu besuchen. (Archivbild, Jänner 2020)  | Foto: ROMA-PASTORAL DER DIÖZESE EISENSTADT
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  • Zusammen unterwegs. Bundespräsident Alexander Van der Bellen lud Manuela Horvath ein, mit ihm gemeinsam die 75-Jahr-Gedenkfeier anlässlich der Befreiung des KZ Auschwitz-Birkenau zu besuchen. (Archivbild, Jänner 2020)
  • Foto: ROMA-PASTORAL DER DIÖZESE EISENSTADT
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Manuela Horvath hat das Bombenattentat auf vier Roma am 4. Feber 1995 in Oberwart hautnah miterlebt, sie war damals zehn Jahre alt, zwei ihrer Cousins starben. Heute leitet sie die Roma-Pastoral der Diözese, ist als Gemeinderätin in Oberwart aktiv, reist mit dem Bundespräsidenten, spricht vor Schulklassen und im Parlament. Im martinus erinnert sich die 37-Jährige, was der Anschlag vor 27 Jahren in ihr auslöste und wogegen sie bis heute kämpft. 

GERALD GOSSMANN

Wenn Manuela Horvath, 37, die Straßen in Oberwart entlangschlendert, wird sie oft abrupt aus dem Flanieren gerissen: „Bei dem Parkplatz sieht man keine Parkstreifen mehr, kann man da etwas machen“, fragte sie kürzlich ein Passant. Manuela Horvath, langes braunes Haar, freundlicher Blick, ist Gemeinderätin in ihrer Heimatstadt – und irgendwo wird sie immer um Hilfe gebeten.

Rassismus hautnah miterlebt. Vor 27 Jahren war Manuela Horvath gerade einmal zehn Jahre alt, ein kleines Mädchen aus der Volksgruppe der Roma, die gerne draussen spielte, turnte, tanzte. Doch dann erlebte sie das Bomben-Attentat von Oberwart, das als eines der schlimmsten rassistischen Verbrechen der Zweiten Republik in die Geschichte eingehen sollte: die vier Roma Peter Sarközi, Josef Simon, Karl und Erwin Horvath wurden in Oberwart durch eine als Stehschild getarnte Rohrbombe getötet. Ihr Onkel fand die vier Opfer, zwei Cousins von Manuela starben. „Ich habe damals einfach nur Angst gehabt“, erzählt Manuela Horvath heute im martinus-Gespräch. „Ich hatte Angst, dass ein Fremder kommt und Roma ermordet.“

„Alle hatten Angst.“ Für die zehnjährige Manuela änderte der 4. September 1995 vieles: Ihr wurde erstmals verstärkt bewusst, dass sie einer Minderheit angehört, die immer noch diskriminiert wurde und deren Angehörige nun gar ermordet wurden. „Meine unbeschwerte Kindheit war dann jedenfalls eine Zeit lang vorbei.“ Manuela wohnte, wie viele andere Roma, in einer Siedlung am Rand von Oberwart. Dort stehen bis heute mehrere Reihenhäuser-Blöcke mit dem Charme einer Kleingartensiedlung. In der Mitte befinden sich Grünflächen und ein Spielplatz. Damals durften Manuela und die anderen Kinder nicht mehr nach draussen. „Alle hatten Angst, dass irgendwo Sprengsätze versteckt sein könnten“, erzählt sie. Das Attentat hat Manuela bis heute nicht mehr losgelassen. Sie forschte lange zum Thema, las bereits als Jugendliche Fürbitten bei Gedenkfeiern, seit sechs Jahren leitet sie die Roma-Pastoral der Diözese Eisenstadt. Vor kurzem sprach Manuela gar im Parlament (Wien) über ihre Vergangenheit und die Situation der Volksgruppe. Lieber als im Parlament spricht sie aber vor Schulklassen. Dabei möchte sie die Jugend aufrütteln, erklären wie Rassismus entsteht, was er auslöst und wie schnell schreckliche Dinge wieder passieren können.

Die Diskriminierung der Roma hat eine lange Geschichte. Manuelas Großvater überlebte ein Konzentrationslager. Als er nach Oberwart zurückkehrte, war die Roma-Siedlung, in der er gelebt hatte, nicht mehr da. Sie wurde geplündert und abgerissen. Im Jahr 1939 lebten laut Schätzungen 9.000 Roma in 124 burgenländischen Ortschaften, 11.000 österreichweit. Nur zehn Prozent überlebten den Holocaust. Manuelas Großvater fand bei einem Bauern ein Übergangs-Quartier, wo er in einem Pferdestall lebte und dort für Kost und Logis am Hof mitarbeitete. Irgendwann erhielt die Volksgruppe von der Gemeinde ein neues Areal zugewiesen, doch auch von dort mussten die Roma wieder weg. Ein Krankenhaus entstand auf dem Grundstück. Selbst am Gipfel der Verfolgung, dem Bomben-Attentat 1995, verdächtigte die Polizei erst Volksgruppen-Mitglieder, untereinander eine Fehde ausgefochten zu haben. Razzien in den Häusern der Roma waren die Folge. „Es war ein trauriges Zeichen, dass die Täter zuerst in der Opfergruppe vermutet wurden“, betont Manuela Horvath im martinus-Gespräch. Dabei deutete das Schild auf der Rohrbombe mit der Aufschrift „Roma zurück nach Indien“ und eine seit 1993 schwelende rassistisch und völkisch motivierte Anschlagsserie früh auf einen anderen Hintergrund hin.

Lokalverbote. Eine Bewusstseinsbildung in der Bevölkerung habe das Attentat sehr wohl ausgelöst, glaubt Horvath heute. „Es wurde vielen bewusst, dass die Ausgrenzung nicht mit dem Kriegsende aufgehört hat, sondern mit dem Anschlag gar ihren Höhepunkt erreichte.“
Manuela Horvath selbst kann sich an keine diskriminierenden Erlebnisse erinnern. Weder in ihrer Schulzeit noch später. Doch selbst 1987 gab es laut ihrer Aussage noch Lokalverbote für Roma in Oberwart. Manche Firmen, so erzählt Horvath, wollten „keine Zigeuner“ als Mitarbeiter. Ein paar junge Volksgruppen-Angehörige gingen dagegen vor, setzten gar den damaligen Bundespräsidenten Kurt Waldheim davon in Kenntnis, indem sie ihm einen Brief schrieben. Kurz darauf wurde der erste Roma-Verein in Österreich gegründet, 1993 die Roma als Volksgruppe offiziell anerkannt.

„Für viele ist es unvorstellbar, dass so etwas wieder passieren kann, aber das ist es nicht.“ Nach dem Attentat zogen viele Roma weg. Lebten in Manuela Horvaths Kindheit noch etwa 120 Menschen in der Siedlung, seien es heute nur mehr 50. „Vor allem die Jüngeren ziehen weg, in die Stadt, in Nachbarortschaften oder verlassen das Burgenland komplett“, erzählt die 37-Jährige. In ihrer Familie dagegen wurde immer sehr viel über die Geschehnisse gesprochen. Ihr Großvater gab bereitwillig Radio- und Fernsehinterviews über die sechs Jahre, die er in einem Konzentrationslager verbracht hatte. Manuela führt das stete Aufrütteln der Gesellschaft fort. Vor Schulklassen spricht sie am liebsten. „Es ist wichtig, dass man die Erinnerung hoch hält und die Kinder sensibilisiert“, sagt sie. Eine Schülerin konnte ihre Erzählungen einmal gar nicht recht glauben: „Was, in Oberwart sind Bomben explodiert?“, fragte sie fassungslos. „Für mich waren die Erzählungen von meinem Opa im KZ auch immer sehr weit weg“, betont Manuela Horvath, „so geht es der heutigen Jugend, wenn wir vom Bomben-Attentat 1993 erzählen. Für viele ist es unvorstellbar, dass so etwas wieder passieren kann, aber das ist es nicht.“

Gemeinderätin mit wichtigem Auftrag. Der Rassismus habe in Österreich in den letzten Jahrzehnten abgenommen, will Manuela Horvath bemerkt haben. Als Leiterin der Roma-Pastoral der Diözese Eisenstadt versucht sie immer wieder Projekte zu organisieren, die Roma und Nicht-Roma zusammenbringen. Sie selbst lebt diesen Zugang vor. Als Gemeinderätin ist sie als Romni überall präsent. Immer wieder muss sie den Bürgermeister vertreten: bei Veranstaltungen in der Stadt, einmal gar bei einem Fußballspiel. Sie selbst findet es wichtig, sich nicht bloß auf ihr Engagement in Roma-Vereinen zu beschränken. Roma seien schließlich ein vollwertiger Teil der gesamten Gesellschaft. Die Oberwarter Kommunalpolitikerin ist zu einem unverzichtbaren Bestandteil der Stadt geworden: Überall wird sie liebevoll empfangen. 27 Jahre nach dem Bomben-Anschlag, bei dem vier Roma starben, setzt sie mit jedem Schritt, den sie tut, zugleich ein starkes Zeichen: Die Volksgruppe ist in Form von Manuela Horvath ständig für alle sichtbar.

Autor:

Martina Mihaljević aus Burgenland | martinus

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