Beten Teil 2 - Bischof Hermann Glettler
Handy weg

Zum Beten braucht es zwei Ohren, so Bischof Hermann Glettler. Das eine hört nach innen, das andere nach außen. Bereits zehn Minuten ohne Handy können Freiraum schaffen.

Vor meiner Priesterweihe verbrachte ich einige Wochen bei den Missionarinnen der Nächstenliebe, besser bekannt als Mutter Teresa Schwestern, in der South Bronx, einem Armenviertel von New York. Als einer der freiwilligen Helfer arbeitete ich bei der täglichen Ausspeisung und Unterbringung von Obdachlosen mit. Die Begegnungen mit Menschen, die von Not, Gewalt, Sucht und Krankheit gezeichnet sind, werde ich nie vergessen. Ebenso intensiv erinnere ich mich an eine Zeit der Stille und Anbetung mit den Schwestern. Vom Platz vor dem Haus drang jedoch die lärmende Stimme eines selbsternannten Predigers in die Kapelle. Er hat mit Lautstärke zu übertönen versucht, was ihm an Gespür für die Not dieses Ortes fehlte. Im Gegensatz dazu habe ich entdeckt, was es bedeutet, vor Jesus still zu werden – ihn zu betrachten und unsere verwundete Welt zu ihm zu bringen. Die Mutter Teresa Schwestern tun dies täglich. Sie verbinden ihr Gebet mit dem Dienst an den Ärmsten.

SICH STÖREN LASSEN
„Mensch, hör doch endlich einmal zu!“ Wer kennt diese zigfach wiederholte Aufforderung nicht? Wie oft wird sie ausgesprochen von Eltern, die den inneren Faden zu ihren pubertierenden Kindern verloren haben! Und verzweifelt geäußert von Menschen, die gefühlt nur mehr aneinander vorbeireden. Letztlich sind wir alle Opfer der allgemeinen Zerstreuung unserer Zeit. Ein wirkliches Zuhören fällt uns schwer – auch wenn uns klar ist, dass ohne ein aufmerksames Hören auf Dauer keine Beziehung gelingen kann. Dasselbe gilt für das Gebet. Das Hören ist entscheidend, nicht das Aufsagen frommer Texte. Hören beginnt mit dem Auf-Hören. Sich in der eigenen Geschäftigkeit unterbrechen, ja stören lassen. Das Handy weglegen und Freiraum schaffen, damit eine Begegnung stattfinden kann.

„Das Handy weglegen und Freiraum schaffen, damit eine Begegnung stattfinden kann.“

EINE ZEIT RESERVIEREN
Gerade angesichts vieler Verpflichtungen macht es Sinn, sich im Ablauf des Tages eine bewusste Zeit für das Gebet zu reservieren. Es ist der Versuch, sich regelmäßig von Gott ansprechen zu lassen. Er brüllt ja nicht auf der Straße. Umso wichtiger: Täglich mindestens zehn Minuten. Vor allem Stille! Das Gebet formt sich dann wie von selbst. Ein paar ausgewählte Gebete können eine Einstiegshilfe sein. Ich persönlich beginne meist mit einem Gebet zum Heiligen Geist. Das sammelt mich. Kurze Gebetsworte können natürlich auch zwischendurch „passieren“. Es sind sorgenvolle oder dankbare Zwischenrufe, Stoßgebete wie wir sagen. Das Vorbild sind Liebende, die im Laufe des Tages recht erfinderisch sind, um kleine Zeitfenster für eine persönliche Mitteilung zu finden.


„Vor allem Stille! Das Gebet formt sich dann wie von selbst.“


DOPPELTE AUFMERKSAMKEIT
„Jesus in front of our house!“ – „Jesus vor unserem Haus!“ Eine Schwester in den Bronx rief mich. Was ich sah, hat mich erschüttert. Ein schwerverletzter Mann, Opfer einer brutalen Auseinandersetzung, wurde wie ein Müll vor unsere Haustür gekippt. Nie zuvor habe ich unmittelbarer erkannt, wie real Jesus in den Verwundeten und Bedrängten gegenwärtig ist. Um ihn zu sehen, brauchen wir zwei Augen. Um ihn zu hören, brauchen wir zwei Ohren. Immer ein offenes Herz mit einer doppelten Aufmerksamkeit: Eine nach innen gerichtet und eine nach außen. Jesus in der heilsamen Stille des Gebetes – und derselbe Jesus, wie Mutter Teresa immer sagte, auf den Straßen unserer Zeit, oft direkt vor der Haustür.

Autor:

martinus Redaktion aus Burgenland | martinus

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