Meinung
Papst, verpatzt

Möchten Sie Ihre prall gefüllte Brieftasche jemandem zur Aufbewahrung überlassen, der vor Gericht als Dieb überführt wurde und dem ein Psychiater den Drang zum Stehlen bescheinigt hat? Selbst bei seinen engsten Angehörigen würde man es nicht tun. Deshalb ist es einfach so unbegreiflich, was in der kirchlichen Vergangenheit rund um das Thema „Weiterbeschäftigung von Missbrauchtätern“ geschehen ist. Und dass die notwendige Aufarbeitung so schwerfällt, hat einen bitteren Beigeschmack, da man von uns Christen ja ein erhöhtes Bewusstsein erwarten darf, dass wir alle Sünder sind und unsere Schuld bekennen gelernt haben.

Benedikt XVI. gab den Verfassern einer Studie über Missbrauch in der Erzdiözese München, wo er als Joseph Ratzinger einige Jahre als Oberhirte gedient hatte, Antworten, die einen Sturm der Entrüstung in Deutschland und weiten Teilen der Welt ausgelöst haben. Zum einen fand sich darin eine Feststellung, die leicht als Unwahrheit zu erkennen war. Zum anderen wurde an Benedikts Text jedes Mitgefühl mit den Opfern vermisst. Es dauerte vier Tage, bis ein Mitarbeiter von Benedikt die Stellungnahme des emeritierten Papstes etwas zurechtrückte: Ja, es habe sich bedauerlicherweise eine Fehlinformation eingeschlichen und ja, der zurückgetretene Papst empfinde Scham und Bedauern über den in der Kirche begangenen Missbrauch. Und Benedikt werde sich noch ausführlicher zu dem 1900 Seiten starken Gutachten äußern.

Diese Vorgänge sind ein gewaltiges Desaster für die katholische Kirche im Allgemeinen und Benedikt XVI. im Besonderen. Nicht wenige Kommentatoren sprachen unmittelbar davon, dass der emeritierte Papst mit diesen Darlegungen sein Lebenswerk zerstört habe. Naja, dachte ich mir, vielleicht haben diese Leute einfach darauf gewartet, sowas mal sagen zu können. Was mich viel mehr erschüttert ist die Tatsache, dass ein so wichtiger Text wie die Stellungnahme von Ratzinger / Benedikt die Mauern des Vatikans verlassen konnte, ohne dass er ausreichend „abgeklopft“ wurde. Denn es hätte bei entsprechender Sorgfalt auffallen müssen, was die Gutachter sofort als Unwahrheit bemängelten, oder was sogar hohe Mitarbeiter der Kirche als menschlich unzureichend kritisierten.

Und so darf es nicht verwundern, dass in der Zwischenzeit die Gerüchteküche brummt. Einige halten es für unmöglich, dass der 94 Jahre alte Benedikt seinen Text selber geschrieben hat – es gibt ein gutes Argument dafür: Benedikt hat sich nie auf die neue deutsche Rechtschreibung umgestellt, und genau in dieser sei der Text verfasst. Manche Kommentatoren erkennen nun hinter den Stellungnahmen zu den verpatzten Worten Benedikts einen Schlagabtausch zwischen den Flügeln der Kirche, ein Manöver, dass Benedikt angreift, um Papst Franziskus zu stärkeren und schnelleren Reformen zu drängen. Ich sehe es etwas nüchterner: Die Existenz eines „Alt-Papstes“ ist noch immer so etwas Neues, dass die in Jahrhunderten denkende Kirchenleitung nur schwer damit zurechtkommt. Es werden Wege gefunden werden müssen, wie man bei einem emeritierten Kirchenoberhaupt sicherstellt, dass ausreichend Einbindung, Absprache und Austausch herrscht, um solche „Unfälle“ wie jetzt zu vermeiden. Es ist ja auch nicht das erste Mal, dass Worte des zurückgetretenen Benedikt diskutiert und kirchenpolitisch instrumentalisiert werden. 

FRANZ JOSEF RUPPRECHT
Chefredakteur

Autor:

Martina Mihaljević aus Burgenland | martinus

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