Pfarrer Christian Öhler im Interview
„Ja, wir können für Putin beten“

Foto: Walter Zemlicka

Wie der Westen seine Werte verteidigen kann, wie Dialog aussehen kann und was er Menschen sagt, die angesichts der Weltlage verzweifelt sind, erklärt Bad Ischls Pfarrer Christian Öhler im Interview.

Sind die Waffenlieferungen an die Ukraine moralisch vertretbar?

Christian Öhler: Ich bin generell gegen die Aufrüstung. Wenn es aber einmal so weit ist, dass ein einseitiger Angriff – wie jetzt von Russland auf die Ukraine – stattfindet, dann muss man denen die Mittel zur Selbstverteidigung in die Hand geben. Soweit hätte es aber gar nicht kommen dürfen. Man muss endlich eine der Wurzeln des Übels anpacken und die ist, dass wahnsinnig viel Profit in der Rüstungsindustrie gemacht werden kann. Waffen, die produziert werden, werden irgendwann eingesetzt und auf Kriegsschauplätzen erprobt.

Ein Aufruf zur kompletten Gewaltlosigkeit an beide Kriegsparteien, wie ihn Teile der katholischen Kirche in diesen Tagen formulieren, erscheint dafür naiv

Öhler: Dieser Aufruf entspricht nicht der Realität. Jetzt, wo alles eskaliert, ist es zu spät, das als Lösung vorzuschlagen. Wir müssen uns als Kirche fragen, warum wir im Vorfeld eigentlich so sehr versagt haben und immer wieder versagen, in der Verkündigung der Botschaft Jesu, die gewaltfreie Lösungen von Konflikten vorschlägt. Derzeit bringen Appelle zur Gewaltlosigkeit keine Lösung, genauso wenig wie das Niederbomben der Städte oder alles was an Kriegsverbrechen passiert. Dieses Leid tut nur weh.

Der Krieg löst bei uns starke Betroffenheit und Emotionen aus. Darf man als Christ Putin hassen?

Öhler: Der Hass ist nie eine Lösung, man muss sich einen gewissen nüchternen Blick bewahren. Es geht nicht um die Bosheit einer Einzelperson, sondern um menschenverachtende, todbringende Strukturen.
Wenn nicht Hass, welche Gefühle kommen dann bei Ihnen hoch?
Öhler: Das Kriegsleid, von dem mir Geflüchtete auch persönlich berichten, geht mir sehr nahe und ich möchte mich nicht daran gewöhnen. Meine Antwort auf das Leid ist, dass ich versuche, ein Stück Verantwortung zu übernehmen und den Menschen zu helfen.

Putin und seine engsten Berater, darunter auch Vertreter der russisch-orthodoxen Kirche, verachten westliche und christliche Werte wie Toleranz. Wie kann man diese Werte verteidigen?

Öhler: Nur indem man dazu steht und Zeichen setzt, sich klar positioniert. Für mich ist es entsetzlich, dass die russisch-orthodoxe Kirche sich zum Verbündeten der Kriegsmaschinerie macht und das alles legitimiert. Da bin ich übrigens sehr dankbar, dass wir Katholiken keine Nationalkirchen haben, sondern ein gemeinsames Zentrum in Rom, von dem positive und eindeutige Signale des Friedens ausgehen. Papst Franziskus ist ein glaubwürdiger Bote des Evangeliums.

Muss man trotzdem den Dialog mit der russisch-orthodoxen Kirche führen?

Öhler: Ja, aber mit klaren Standpunkten. Die russische-orthodoxe Kirche blendet die zentrale Friedensbotschaft des Evangeliums aus. Wobei wir Katholiken das nicht allzu großmäulig sagen sollten. Gerade weil wir das aus der eigenen Geschichte kennen, diese problematische und enge Verbindung von Thron und Altar. Das haben wir Gott sei Dank hinter uns, was uns die Freiheit gibt, als Kirche einfach auch den pazifistischen Weg Jesu als Alternative aufzuzeigen.

Was kann man von den christlichen Kirchen insgesamt in dem Krieg erwarten, wie können sie friedensstiftend wirken?

Öhler: Die christlichen Kirchen müssen alles, was in den letzten Jahren an interkonfessionellen Beziehungen entstanden ist, für Friedensgespräche nutzen. Den Vorschlag, dass der Papst nach Kiew fliegt, finde ich beachtenswert.

Was kann Beten bewirken, worum beten Sie?

Öhler: Ich bitte Gott, dass er die Herzen der Kämpfenden berührt, dass er ihnen Gedanken des Friedens gibt, dass er die Gewissen der politisch Verantwortlichen attackiert.

Soll man auch für Putin beten?

Öhler: Selbstverständlich, so wie Jesus für seine Peiniger betete und sagte: ‚Vergib ihnen, denn sie wissen nicht was sie tun.‘ Ja, wir können für Putin beten, dass ihm sein Wahnsinn bewusst wird.

Welche Botschaft können Sie als Seelsorger jenen Menschen vermitteln, die angesichts der Weltlage verzweifelt sind?

Öhler: Ich denke da immer an meinen Vater, bei dem im Alter von 57 Jahren eine Operation missglückt ist. Er hat zwar danach noch viele Jahre gelebt, aber es war ein zähes und schwieriges Leben. Er hat nicht mehr allein gehen und nicht mehr normal reden können. Nachdem er gestorben ist, haben wir in seinem Geldtascherl einen Zettel gefunden. Auf dem stand: ,Man muss den langen Atem der Hoffnung haben.‘ Ich glaube, das ist es einfach. Diesen langen Atem kann ich nicht produzieren und herbeireden, den darf ich mir schenken lassen. Wir gehen jetzt auf Ostern zu, da ist Jesus auf übelste Weise zu Tode gebracht worden. Der Vater im Himmel hat ihn aber zum Leben auferweckt. Das ist der Kern unseres Glaubens, das was uns wirklich Hoffnung geben kann. Aus dieser Hoffnung sollten wir nicht resigniert die Hände in den Schoß legen, sondern das tun, was uns möglich ist. «

Autor:

KirchenZeitung Redaktion aus Oberösterreich | KirchenZeitung

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