Neue Initiative des Arbeitskreises der österreichischen Fachstellen für Weltanschauungsfragen
„Manche glauben …“

Teilnehmer auf einer Corona-Demo in Nürnberg. | Foto: Markus Spiske / unsplash.com
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  • Teilnehmer auf einer Corona-Demo in Nürnberg.
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„Manche glauben, die Corona-Krise wurde geplant. Und was glaubst Du?“ Seit Kurzem ist eine neue Website online, auf der die Referate für Weltanschauungsfragen, die es in jeder Diözese gibt, gemeinsam über aktuelle Fragen informieren (mehr dazu in der Factbox unten). Das KirchenBlatt sprach darüber mit der Beauftragten für Vorarlberg, Eva-Maria Schmolly-Melk.

Die Fragen stellte Dietmar Steinmair

Durch die Corona-Krise haben Verschwörungstheorien wieder Hochkonjunktur. Was versteht man genau darunter?
Eva-Maria Schmolly-Melk: Zunächst muss man unterscheiden. Nicht alles, was nicht stimmt, ist eine Verschwörungstheorie. Es gibt erstens einfach falsche Behauptungen, die jemand ohne große Absicht von sich gibt. Dann kennen wir zweitens Falschinformationen, die gezielt von jemandem für den eigenen Nutzen verbreitet werden. Und schließlich Verschwörungstheorien, die hinter einem Geschehen eine anonyme und finstere Macht postulieren, die anderen massiv schaden will. Sie geben vor, hochkomplexe Phänomene durchschauen zu können, wobei auf eine empirisch-wissenschaftliche Auseinandersetzung vorsätzlich verzichtet wird. Zusammenhänge werden ungebührend vereinfacht und Tatsachen wahllos umgedeutet. Ihre Logik ist letztlich eine ganz archaische, nämlich sie erzeugt „Sündenböcke“ und immunisiert sich gegenüber jeder Form von Diskurs. Verschwörungstheorien dürfen deshalb nie gleichgesetzt werden mit kritischem Denken oder Meinungsstreitigkeiten.

Welchen Theorien begegnen Sie derzeit in Ihrer Arbeit - und warum sind sie falsch?
Schmolly-Melk: Notlagen und große gesellschaftliche Veränderungen waren immer schon die Stunde von Verschwörungstheorien. Im Moment befinden wir uns in einer von den meisten Menschen nie für möglich gehaltenen Situation, dass nämlich eine Pandemie die Welt fast aus den Angeln hebt. So etwas hat unsere Generation bisher nur aus Romanen und Filmen gekannt. Verschwörungstheoretische Ideen lauten beispielsweise: Ein böswilliges System nutzt SARS-CoV-2 für die Eroberung der Weltherrschaft, der Virus wurde in den Labors der Pharmaindustrie gezüchtet oder die politisch verordneten Behördenmaßnahmen zielen darauf ab, den Menschen längerfristig die Grundrechte zu nehmen. Eine Frau hat mir letzte Woche ganz eindringlich von ihrer großen Befürchtung erzählt, dass über eine Impfung ihren Kindern ein Chip eingepflanzt werden könnte. Im Blick auf Corona kursieren auch religiös-weltanschauliche Interpretationen. Corona als strafende und sühnefordernde Erziehungsmaßnahme Gottes, um eine zu nennen. Hauptkritikpunkt an diesen Theorien ist für mich nicht einmal zuerst, dass sie inhaltlich einer kritischen Überprüfung nicht standhalten und oft schlichtweg abstrus sind. Sondern das Schwierige und letztlich Gefährliche sehe ich darin, dass sie eine Lagerbildung zwischen den „Guten“ und den „Bösen“ anheizen und ihre Erzählungen das Vertrauen und das Miteinander in der Gesellschaft zerstören.

Warum glauben viele Menschen den Theorien im Internet lieber als Politiker/innen und Gesundheitsbehörden? Was kann man dagegen tun?
Schmolly-Melk: Das hat damit zu tun, dass Verschwörungstheorien soziale und psychologische Funktionen erfüllen. Verschwörungstheorien funktionieren, weil sie erstens Orientierung und Halt in einem Gefühl von Machtlosigkeit und Kontrollverlust bieten und weil sich zweitens Menschen einzigartig fühlen, wenn sie eine Meinung haben, die nicht alle teilen, und sie zu einer ausgewählten Gruppe dazugehören. Diese Zugehörigkeit wird allerdings erkauft durch das ständige Erzeugen von Feindbildern und einem Denken in Gegensätzen.
Das stiftet letztlich keine Verbundenheit und wirkt in jeder Gruppe und in jeder Gesellschaft zerstörerisch. Der Weg heraus führt über die Erkenntnis und die Erfahrung, dass in einer Ausnahmesituation oder Krise gar nicht so sehr die richtigen oder falschen Positionen weiterbringen, sondern nur der Zusammenhalt.

„Weltanschauung“ ist zunächst ein neutraler Begriff. Wann wird eine Weltanschauung gefährlich für eine einzelne Person bzw. für eine Gesellschaft?
Schmolly-Melk: Wenn nicht mehr in alle Richtungen gedacht werden darf, ist es problematisch. Ebenso, wenn die Zugehörigkeit zu einer bestimmten weltanschaulichen Gruppe persönliche, familiäre und soziale Konflikte hervorruft. Gefährlich wird es überall dort, wo eine Abgrenzung zum Rest der Welt stattfindet, die sich zu einer Abwertung, oftmals gar Dämonisierung Andersdenkender und Anderslebender steigert.

Wie ist derzeit die Situation in Vorarlberg bei den so genannten „Sekten“?
Schmolly-Melk: Es gibt natürlich auch in Vorarlberg Gruppen, die ich von ihrer Lehre und Lebenspraxis her für konfliktträchtig halte, weil sie Menschen unfrei und abhängig machen oder für Kinder und Jugendliche ein zu rigides und strenges Umfeld darstellen. In meiner Aufklärungs- und Beratungstätigkeit fallen mir die „Mini-Gurus“ besonders auf, Personen, die eher eine kleine Gruppe von Menschen um sich scharen und diese in emotionale Abhängigkeit bringen, finanziell ausbeuten und sozial und vor ihren Familien isolieren. Und dann gibt es natürlich den ganzen Esoterik- und Lebenshilfemarkt, auf dem sich auch viel Unseriöses und Unsinniges tummeln kann.

Hintergrund

Mit der aktuellen Kampagne regt der Arbeitskreis der katholischen Weltanschauungsreferent/innen Österreichs zum Nachdenken an. Etwa indem die Kampagne aktuelle weltanschauliche Positionen auf der einen und die Frage nach der je eigenen Überzeugung des/der Betrachters/in auf der anderen Seite gegenüberstellen. Das reicht vom Thema Verschwörungstheorien am Beispiel der Corona-Krise über den (esoterischen) Engelsglauben bis hin zur Überzeugung, jeder Mensch sei für sein Glück selber verantwortlich.
Die Fragen wollen die Betrachter/innen zur eigenen inneren Stellungnahme herausfordern. Gleichzeitig dazu bietet die neue Homepage weltanschauungsfragen.at umfassende sachliche Hintergrundinformationen zu den jeweiligen Themenbereichen.

Information und Beratung
Die in allen Diözesen vertretenen Weltanschauungsreferate sind Informations- und Beratungsstellen, an die sich jede/r wenden kann: Menschen, die Fragen zu bestimmten Weltanschauungen haben oder meinen, dass es sich bei einer Gruppe um eine sogenannte „Sekte“ handle. Oder auch, wenn sich jemand Sorgen um eine/n Angehörige/n macht, weil sich ihre/seine Weltanschauung plötzlich ändert und die sonst vertraute Person einem fremd wird.
Die Fachstellen geben Auskunft und Einschätzungen zu den verschiedensten religiösen Gruppierungen und Strömungen. Für den Bereich Bildung und Unterricht werden verschiedene Materialien angeboten, die bestimmte weltanschauliche Vorstellungen darlegen, hinterfragen und die die Kompetenz zur differenzierten Betrachtung weltanschaulicher Phänomene stärken. In der Diözese Feldkirch leitet Dr. Eva-Maria Schmolly-Melk die Fachstelle für Sekten- und Weltanschauungsfragen. «

Kontakt
Fachstelle für Sekten- und Weltanschauungsfragen: T 0664 8240024 bzw. E eva-maria.schmolly-melk@kath-kirche-vorarlberg.at

(aus dem KirchenBlatt Nr. 49 vom 3. Dezember 2020)

Teilnehmer auf einer Corona-Demo in Nürnberg. | Foto: Markus Spiske / unsplash.com
„Verschwörungstheorien funktionieren, weil sie soziale und psychologische Funktionen erfüllen“, sagt
Dr. Eva-Maria Schmolly-Melk. | Foto: Kath Kirche Vorarlberg
Autor:

KirchenBlatt Redaktion aus Vorarlberg | KirchenBlatt

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