Über die Beziehung zu anderen Menschen und die Begegnung mit Gott
Freude die aus der Stille kommt

Haben uns die stillen Stunden des Winters etwas zu sagen? | Foto: Markus Seidl-Nigsch
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Ein Text über die Freude anlässlich des Gaudete-Sonntags.

Markus Seidl-Nigsch

Im Beziehungsalltag passiert es leicht, dass zwei Menschen den geistig-seelischen Kontakt zueinander verlieren. Sie übersehen (bewusst oder unbewusst) die Anzeichen dafür, bis sich einer der beiden unübersehbar vom anderen distanziert. Ganz allgemein gilt, dass einmal gewonnene Bindungen im Lauf der Zeit erodieren können. Wir müssen sie daher immer wieder stärken, aktiv pflegen und erneuern.

Zukunft

Dabei kann folgende Betrachtung helfen: Unsere Beziehungen sind zwar etwas schon Bestehendes, zugleich entstehen sie aber stets neu. Denn jede Begegnung mit einem vertrauten Menschen kann zu einem noch tieferen Verstehen des anderen führen. Vor allem auch deshalb, weil ihn Erfahrungen prägen und ändern. Darum müssen wir einander immer wieder neu kennenlernen. Zugleich liegt darin ein Hoffnungsmoment: Jede Partnerschaft und Freundschaft hat aufgrund seiner Entwicklungsdynamik immer auch eine neue Zukunft. Bewusste Visionen zur zukünftigen Gestalt schon vorhandener Beziehungen können diese stärken. Sie wirken dem Erodieren entgegen. Der Blick auf etwas, das wir uns wünschen und das vielleicht tatsächlich vor uns liegt, kann vor allem auch in Krisen helfen. Er kann ermöglichen, überhaupt wieder zueinander finden zu wollen.

... und Gegenwart

Ein solcher Blick in die Zukunft ist verbunden mit dem, was gerade jetzt ist. Denn das Kommende wurzelt in dem, was sich heute ereignet: Der rote Faden eines Lebens mag Schleifen ziehen, Knoten haben oder geradlinig verlaufen. In jedem Fall verbindet er die Lebensstationen und Zeiten eines Menschenlebens zu einer Einheit. Visionen haben daher nicht nur mit der Zukunft, sondern sehr viel mit der Gegenwart zu tun. Sie entstehen im möglichst unvoreingenommenen, zur Ruhe kommenden Schauen auf das, was ist. Was aber ist gerade jetzt?

Viele Menschen denken bei dieser Frage vermutlich an ihre Sorgen, Aufgaben und Ziele. Und zu besonderen Zeiten im Jahreskreis, zum Beispiel im Advent, bemühen sie sich vielleicht aktiv um einen gelingenden Alltag. Dabei kann übersehen werden, dass bewusstes Handeln das tragfähige Fundament innerer Orientierung braucht. Gerade der Advent bietet sich an, statt einer Zeit des aktiven Tuns eine des Ausruhens zu sein. Wer zur Ruhe kommt, kann von dem ablassen, was im Alltag die Sinne und die Seele trübt. Gelingt das Besinnen, gewinnen wir Abstand zum üblichen Trott. Wir können dann besser wahrnehmen, was wir sehen und vor allem auch spüren. Und wir können unser praktisches Leben neu danach ausrichten.

Eine solche innere Schau gelingt eher an einem aufgeräumten, ruhigen Platz. An einem Ort, an dem der Alltag mit seinen Dingen und Geräuschen zurücktritt und einfachen Formen und der Stille Platz macht. Es kann genauso eine Ecke des Wohnzimmers sein wie eine Nische im Kirchenraum, in der dann das Klingen der Stille hervortritt (denn sie klingt ja!). Wenn uns dies widerfährt, können wir zugleich uns selbst und damit auch jenen Mittelpunkt finden, für den der Name Gott steht. Im ersten Buch der Könige (1 Könige 19,12) begegnet Gott dem Propheten Elija denn auch nicht in tobenden Kräften: „Da zog der Herr vorüber: Ein starker, heftiger Sturm, der die Berge zerriss und die Felsen zerbrach, ging dem Herrn voraus. Doch der Herr war nicht im Sturm. Nach dem Sturm kam ein Erdbeben. Doch der Herr war nicht im Erdbeben. Nach dem Beben kam ein Feuer. Doch der Herr war nicht im Feuer.“ Vielmehr spricht Elija ein „sanftes, leises Säuseln“ an, das sich heute zum Beispiel im hellen Ruf eines Vogels oder im Tönen fallenden Schnees wiederentdecken lässt.

Am Gipfel

In der Sanftheit solcher Ruhe können sich in Menschen Bewegungen auflösen, die sie innerlich stören und ihre Freiheit einschränken. Das Erfahren von Stille schenkt Trost, Zuversicht und Freude. Stille befreit. Solche erfüllenden Momente gleichen jenem des Ankommens auf einem Berggipfel: Nach anstrengendem Aufstieg bietet sich eine erhabene Aussicht, den Tälern und dem Alltag in der Tiefe entrückt. Und auch wenn die Freude allein um ihrer selbst willen gerechtfertigt ist, wirkt sie darüber hinaus. Denn etwas von ihrer inneren Stärkung und Befreiung bleibt in der Wanderin zurück, wenn sie vom Berg ins Tal oder aus der Stille in den Alltag zurückkehrt. Begegnung mit anderen Menschen sind dann vielleicht offener, weil die eigenen Ängste in den Hintergrund treten und das Verständnis für andere wächst.

Beides benötigen auch Paare, um ihre Beziehung zu erneuern und zu vertiefen. Damit einhergehen kann ein geheimnisvolles Moment: Durch den Partner, die Partnerin oder einen Freund kommen wir zugleich unserem eigenen Selbst näher. „Der Mensch wird am Du zum Ich“ - so formulierte es der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber (1878-1965).

(Aus dem Vorarlberger KirchenBlatt Nr. 50 vom 10. Dezember 2020)

Autor:

KirchenBlatt Redaktion aus Vorarlberg | KirchenBlatt

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