Interview mit Bischof Scheuer
„Ein Zuwachs an Glaube, Hoffnung und Liebe“

Foto: Niederleitner/KIZ

Warum die Weihnachtsbotschaft Zuversicht spenden und uns Menschen verändern kann, erklärt Diözesanbischof Manfred Scheuer im KirchenZeitungs-Interview.

„Tröstet, tröstet mein Volk“, heißt es in einem im Advent gerne gelesenen Jesaja-Text (40,1). Welchen Trost gibt es konkret zu Weihnachten 2021 für Christinnen und Christen?

Manfred Scheuer: Die Bedeutung des Wortes „Trost“ ist vielschichtig. Wenn wir zum Beispiel sagen „Der ist nicht bei Trost“, dann meinen wir „Der ist nicht ganz zurechnungsfähig“, aber auch „Der hat kein gutes Fundament im Leben“.

Von den Ignatianischen Exerzitien her betrachtet ist Trost ein Zuwachs an Glaube, Hoffnung und Liebe. Es geht um das Grundvertrauen ins Leben; um Zuversicht, die nicht einfach nur Optimismus ist; und um die Liebesfähigkeit. Insofern lautet die Weihnachtsbotschaft, dass wir dem Leben trauen können, weil Gott es mit uns lebt.

Die Weihnachtsbotschaft ist der Trost schlechthin, die Zusage Gottes an uns: Du bist gewollt, du bist geliebt, du lebst nicht ins Leere hinein, in allem – auch trotz allem – bist du gesegnet.

Was ist der Unterschied zwischen Trost und Vertröstung?

Scheuer: Die Religionskritik behauptet, Religion vertröste auf einen fernen Himmel angesichts des Elends auf dieser Welt – und ändere nichts an den realen Bedingungen. Der Trost im biblischen Sinn lässt uns jedoch einerseits in den schwierigen Bedingungen standhalten, andererseits gibt er auch Kraft zur Veränderung der ungerechten Verhältnisse. Letztlich geht es auch darum, dass ich selbst dann Kraft zum Leben habe, wenn das Leben am Ende ist.

Die Weihnachtsbotschaft „Ein Kind ist uns geboren“ ist keine Jenseitsbotschaft. Sie zeugt von der Liebe zum Leben. Sie ermuntert, sich auf das Leben einzulassen. Sich nicht auf das Leben einzulassen, sei die eigentliche Sünde, sagte Simone Weil, eine große jüdische Philosophin mit einem Naheverhältnis zum Christentum.

Gott nimmt in Jesus Christus ein Menschenleben an. Gleichzeitig bleibt er der Gott, für den „nichts unmöglich ist“ (Lk 1,37). Welche Sicht auf Gott gibt mehr Trost?

Scheuer: Man kann das eine nicht gegen das andere ausspielen. Wenn Gott sagt: „Ich bin da“, dann ist er das Fundament des Lebens. Wir leben aus der Hoffnung heraus, dass Gott selbst mit denen, die an einem Totpunkt angekommen sind, noch etwas anfangen kann.

Unsere Hoffnung ist ja, dass Gott die Toten lebendig macht. Insofern müssen wir Jesus in seiner Beziehung zum Geist und zum Vater sehen, der Jesus wieder auferstehen hat lassen. Das Sicheinlassen auf das Menschsein und die Auferstehung – also Weihnachten und Ostern – hängen zusammen.

Jesus lehrt, dass wir uns mit unserem Bruder, unserer Schwester versöhnen sollen, ehe wir vor Gott hintreten (Mt 5,23f.). Corona entzweit Vereine, Gruppen, Familien. Was kann Kirche zur Versöhnung beitragen?

Scheuer: In Gesundheit und Krankheit bewährt sich der Glaube, es handelt sich dabei aber um keine Glaubensfragen. Auch die Impfung ist keine Glaubensfrage. Vielmehr gilt es, redlich, vernünftig und im Vertrauen aufeinander gut zu agieren.

Wir erleben Grenzen, auch in der Wissenschaft: Es stellt sich etwas anders heraus, als wir erwartet haben. Das ist keine Missachtung der Forschung, aber wir kommen an einen Punkt, wo es wichtig ist, mit Wohlwollen miteinander umzugehen. Es ist ein Beitrag der Kirche, mit Grenzen und Endlichkeit zurechtzukommen und darauf zu achten, was Krisen mit uns machen. Wir müssen die Ängste anschauen. Werden sie nicht genügend beachtet, entstehen Feindbilder.

Da die Risse auch durch enge Beziehungen gehen, würde ich konkret sagen: Wir müssen dranbleiben am Anderen, die Unterschiede aushalten und bekennen: „Ich habe derzeit keine Lösung, aber ich gebe dich und mich nicht auf.“

„Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt“, heißt es im Evangelium des Christtages (Joh 1,9). Einen Vers weiter steht: „Aber die Welt erkannte ihn nicht.“ Wo erkenne ich Christus heute?

Scheuer: Es gibt eine durchgängige Linie in der biblischen Botschaft, vor allem des Neuen Testaments, dass Gott inkognito und verborgen kommt; dass wir ihm im Geringsten begegnen, möglicherweise, ohne es zu erkennen (Mt 25,31–46).

Ich kann nicht sagen, dass die Ereignisse meines Lebens immer eins zu eins der Wille Gottes sind. Aber ich kann fragen, wo in den Begegnungen, Zumutungen und Herausforderungen des Lebens Zeichen der Nähe Gottes sind. In allem steckt eine Zusage und eine Zumutung. Das gilt auch für Weihnachten: Gott begegnet mir in den Kindern, in den Flüchtlingen, in den Kranken, in den Menschen, die sich besonders einsetzen.

„Ich schäme mich nicht, denn ich weiß, wem ich Glauben geschenkt habe“, steht im Zweiten Timotheusbrief (1,12). Glauben heißt vertrauen. Vielfach ist Vertrauen heute gestört – in die Politik, in die Medien, in die Wissenschaft, in die Kirche … Welche Auswirkungen hat es, wenn Menschen nicht mehr vertrauen können? 

Scheuer: Wo Menschen sich nicht mehr vertrauen, sich auf niemanden verlassen können und wo niemand glaubwürdig ist, da löst sich das Zusammenleben auf. Ich sehe die aktuelle Entwicklung hinsichtlich der Politik als bedenklich an, weil Politik in einem Sozial- und Rechtsstaat eine wichtige Aufgabe hat.

Natürlich braucht es auch die Kritik und die Kontrolle. Das Gefüge von Kontrolle und Sicherheit einerseits, Vertrauen und Kreativität andererseits hat sich in den letzten Jahrzehnten verändert. Wir sind jetzt vor die Herausforderung gestellt, das neu gewichten zu müssen.

Was ist das Besondere des christlichen Glaubens, des Vertrauens in Gott?

Scheuer: Die Menschwerdung Gottes bringt auch das Urmenschliche zum Ausdruck. Gerade durch die Botschaft von Weihnachten sind wir in unsere Beziehung zu Gott hineingenommen.

Auch im Angesicht des Todes hat P. Alfred Delp (im Widerstand gegen das NS-Regime engagierter Jesuit, hingerichtet im Februar 1945, Anm.) gesagt: „Lasst uns dem Leben trauen, weil Gott es mit uns lebt.“ Unser Vertrauen hat immer eine Geschichte: Mal bin ich der Gebende, mal der Empfangende. Wichtig ist, dass beides aus einer inneren Freiheit heraus kommt. Für mich ist die Beziehung zu Jesus der Angelpunkt in diesem Grundvertrauen des Glaubens. «

Autor:

KirchenZeitung Redaktion aus Oberösterreich | KirchenZeitung

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