Beitrag von Lothar Schultes
Die Werke der Barmherzigkeit

Foto: A. Bruckböck

Die „Werke der Barmherzigkeit“ sind eine einprägsame Formel und zeigen beispielhaft, wie der christliche Glaube im Alltag gelebt werden kann.

Mit dem Gebot „Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer“ (Mt 12,7) griff Jesus ein Wort des Propheten Hosea auf, das Jesus in seiner Endzeitrede (Mt 25,34–46) genauer erläuterte: „Denn ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mich gespeist; ich bin durstig gewesen, und ihr habt mich getränkt; ich bin ein Fremdling gewesen, und ihr habt mich beherbergt; ich bin nackt gewesen, und ihr habt mich bekleidet; ich bin krank gewesen, und ihr habt mich besucht; ich bin gefangen gewesen, und ihr seid zu mir gekommen.“ Zugleich betont Jesus, dass diese Werke der Barmherzigkeit, zu denen später noch die Bestattung der Toten hinzukam, eigentlich ihm gelten: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“

Gemalte Predigt

Diese guten Werke wurden im Mittelalter auch als gemalte Predigt dargestellt, so auch auf zwei gotischen Altarflügeln, die angeblich aus der Kirche von Altmünster stammen und mit zwei Standflügeln im Stift St. Florian einen Altar bildeten. Sie zeigen die zwölf Apostel, von denen jeder eine Schriftrolle mit einem Satz aus dem Credo hält. Im geschlossenen Zustand sieht man die Werke der Barmherzigkeit, wobei sich eine (am Kopftuch erkennbare) verheiratete Frau sechsmal als Wohltäterin erweist. Ursprünglich gab es auch noch ein weiteres Flügelpaar mit einem Mann als Wohltäter. Im verschollenen Mittelteil des Altars dürfte das Fegefeuer dargestellt gewesen sein, aus dem die Seelen durch die guten Werke der Lebenden gerettet werden. Daher ist in jeder Szene ein Engel zu sehen, der eine als nacktes Kind wiedergegebene Seele in den Himmel geleitet.

Praktische Hilfeleistung

Den Bildern sind Texte unterlegt, die jeweils mit „Dw soldt“ (Du sollst) beginnen. Dabei geht es zunächst um die primären Bedürfnisse. So erhalten links oben Durstige einen Trunk aus einem Becher. Einer hat einen Fuß verloren und humpelt auf einem Holzbein. Viele Kriegsversehrte fielen in Armut, sodass ihnen nichts anderes übrigblieb, als sich unter die Bettler zu mischen. Rechts oben verteilt eine Frau aus einem geflochtenen Korb Brote an eine lange Reihe von Wartenden. In den mittleren Bildern geht es um Obdach und Kleidung. Der links dargestellte Wanderer gibt sich durch Hut, Tasche und Stab als Pilger zu erkennen, während der rechte nichts besitzt als sein Unterhemd. Auf dem Bild rechts unten wird ein hinter Gittern sitzender Gefangener besucht und getröstet.

Beistand

Wie die Aufschrift zeigt, geht es um Beistand, Linderung der Not, nicht um Befreiung. Auch sonst wird zu keiner Änderung der sozialen Verhältnisse aufgerufen. Links unten wird ein in Leinwand verschnürter Leichnam eingesegnet und ohne Sarg ins Grab gelegt. Da sich im Mittelalter viele Menschen kein Begräbnis leisten konnten, gehörte auch dies zu den Werken der Barmherzigkeit. Die Totenköpfe deuten an, dass die Verstorbenen später exhumiert und ihre Gebeine im Karner aufgeschichtet wurden, wie dies heute noch in Hallstatt zu sehen ist. «

Lothar Schultes

Der Autor und Künstler Lothar Schultes gestaltet im Jahr 2022 für die KirchenZeitung die neue Reihe „alt und kostbar“. Hier stellt er vorwiegend Alte Kunst im Kontext des Kirchenjahres vor.

Lothar Schultes studierte in Wien Bildhauerei bei Wander Bertoni sowie Archäologie und Kunstgeschichte. Er arbeitete im Belvedere und an der Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt, ehe er 1985 ans OÖ. Landesmuseum kam, wo er bis zu seiner Pensionierung 2020 die Sammlungen Kunstgeschichte und Kunstgewerbe leitete. Viele kennen Schultes von Vorträgen im „Deep Space“ des AEC.

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Autor:

KirchenZeitung Redaktion aus Oberösterreich | KirchenZeitung

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