Leid auf Lesbos
Flüchtlinge auf Lesbos: "Dieses Elend muss ein Ende haben"

Foto: Johanna Berghorn / Mittermayer
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Der Theologe Heinz Mittermayr hat sich ein Bild von der Situation gemacht. Im Interview spricht er über Heizungsausfälle in den Zelten, Menschenrechtsverletzungen und ein hoffnungsvolles Erlebnis. 

Die Geflüchteten auf Lesbos leiden unter dem Winter und der mangelhaften Versorgung in Mavrovouni, einem Nachfolgelager von Moria.

Die Regeln der Lagerleitung von Mavrovouni sind sehr restriktiv, es dürfen etwa keine Journalisten in das Camp. Wie gehen Hilfsorganisationen damit um?

Heinz Mittermayr: Es gibt Nichtregierungsorganisationen auf Lesbos, die direkt in den Lagerbetrieb eingebunden sind. Ich engagiere mich für die Hilfsinitiative von Doro Blancke und die Organisation „Leave No One Behind“, die sich bewusst entschlossen haben, von außerhalb des Lagers zu helfen. Denn wer im Lager arbeitet, muss sich gegenüber der Leitung verpflichten, nichts Kritisches mehr zu berichten. Dann ist man Teil des Systems und das wollen wir nicht. 

Sie verteilen Lebensmittelpakete. Wieso ist das notwendig, wo es doch auch im Camp eine Versorgung mit Essen gibt?

Mittermayr: Das Essen im Camp ist minderwertig und viele vertragen es einfach nicht. Es ist der ausdrückliche Wunsch der Geflüchteten, dass sie Lebensmittel zum Kochen bekommen. Deswegen haben wir Essenspakete mit Reis, Tomaten, Erdäpfeln, Öl und einiges mehr verteilt. Das wäre generell ein besserer Ansatz als den Menschen schlechtes Fertigessen vorzusetzen. 

Wie viel Menschen leben in dem Lager, das sich direkt am Meer befindet?

Mittermayr: In dem neuen Camp leben derzeit knapp 2.000 Menschen. 

Können Sie einschätzen, wie die Situation derzeit im Lager ist?

Mittermayr: Ja, weil ich täglich mehrmals ins Camp komme, um Geflüchtete zur Physiotherapie zu bringen, die von Freiwilligen angeboten wird. Die Familien leben in Containern oder Plastikzelten mit etwas an Privatsphäre. Am schlimmsten ist die Unterbringung der Singlemänner, die in abgeteilten Großzelten leben. Sie haben kein Tageslicht im Zelt und sehr wenig Platz, pro Person kaum mehr als zwei Quadratmeter. Die Männer erzählen, dass man in diesen Zelten sehr schlecht schlafen kann, weil alles so hellhörig ist. Ich finde es erschreckend, wie sie dahinvegetieren müssen. Sie dürfen das Camp ja nur sehr eingeschränkt und an Sonn- und Feiertagen gar nicht verlassen und es gibt kaum alternative Freizeitmöglichkeiten. Auch die Stromversorgung ist nur zeitweise gegeben.

Woran liegt das?

Mittermayr: Die griechische Regierung hat das Camp nicht ans Stromnetz angeschlossen. Es wird über Generatoren versorgt, doch anscheinend mangelt es immer wieder am Treibstoff. Die Konsequenzen sind menschenunwürdig. Eine Frau, die spastisch im Rollstuhl sitzt, hatte letzte Woche zum Beispiel drei Tage keinen Strom und konnte daher bei drei Grad Außentemperatur nicht heizen. 

Wie ist die Sicherheitslage im Lager?

Mittermayr: Das hat sich wenigstens gegenüber Moria, wo Frauen regelmäßig vergewaltigt wurden, deutlich verbessert. Das Aufgebot an Polizei im Camp ist gewaltig und verhindert Übergriffe. Ungefährlich ist das Leben im Camp aber dennoch nicht. Erst Mitte Jänner ist in einem Zelt ein Brand ausgebrochen, welcher wahrscheinlich durch defekte elektrische Leitungen oder Geräte verursacht wurde. Dieser konnte glücklicherweise noch rechtzeitig gelöscht werden, womit keine Menschen zu Schaden gekommen sind. 

Die Versorgung mit Sanitäranlagen stand im Vorgängerlager Moria stark in der Kritik, wie ist das jetzt im Lager Mavrovouni?

Mittermayr: Das ist alles immer noch sehr mangelhaft. Es gibt zum Beispiel Dutzende Wasch- und Klocontainer, die nicht in Betrieb sind. Für die Duschen im Camp reicht die Warmwasserversorgung bei Weitem nicht aus, im Quarantänebereich gibt es für die Neuankömmlinge überhaupt wochenlang nur kaltes Wasser. Den Menschen, die im Lager leben, bieten wir deshalb an, dass sie außerhalb des Camps im Zentrum von „Leave No One Behind“ duschen und ihre Wäsche waschen können. Die Container wurden auch der Campleitung angeboten, was diese aber ablehnte. Das ist nur ein kleines Beispiel, woran man erkennt, dass es einfach nicht den politischen Willen gibt, die Menschen im Camp ordentlich zu versorgen und das ist der Skandal, wo doch so viel an Geld der EU dafür gezahlt wird. Es dürfte einfach nicht notwendig sein, dass Nichtregierungsorganisationen hier immer noch einspringen müssen. 

Sie haben eingangs erwähnt, dass zu Ihren derzeitigen Aufgaben gehört, Menschen aus dem Camp mit dem Auto zur Physiotherapie zu bringen. Wieso brauchen die Leute Physiotherapie?

Mittermayr: Wie bei uns, leiden die Menschen an körperlichen Gebrechen, aber speziell infolge von Kriegs- und Fluchtsituation treten zusätzliche Beschwerden auf. So bekommen sie zumindest etwas an Zuwendung und Linderung ihrer Schmerzen.

Welche Form der Unterstützung kann man von Österreich aus für die Flüchtlinge auf Lesbos leisten? 

Mittermayr: Es braucht vor allem mehr Aufmerksamkeit, was da wirklich los ist, denn es wird viel zu viel beschönigt. Als der Papst etwa im Dezember Mavrovouni besucht hat, haben die Griechen die ganzen Schiffe der Grenz- und Küstenwache auf die Seite geräumt, damit das niemand sieht. Das sind die geschönten Bilder, die auch die ganzen Politiker bekommen. 

Doch dieses Elend muss ein Ende haben. Es braucht beschleunigte Asylverfahren und legale Wege für Menschen auf der Flucht nach Westeuropa. Das Traurige ist aber, dass man immer noch politisches Kleingeld machen kann, wenn man als Politiker Härte signalisiert. Dabei ist das Menschenverachtung pur. Was auch aufhören muss, sind die illegalen Pushbacks, die ständig passieren. Das ist ein klarer Verstoß gegen das Recht auf Asyl, an dem auch Frontex, die europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache, beteiligt ist. Das sind Menschenrechtsverletzungen im Namen der EU.

Trotz der schlimmen Situation auf Lesbos – gab es auch hoffnungsvolle Erlebnisse für Sie?

Mittermayr: Ja, eines sticht dabei besonders hervor. Ich habe mitbekommen, wie zwei junge Syrer, die jahrelang auf Lesbos festsaßen, durch ein spezielles Programm nach Italien aufbrechen konnten. Solche so genannten „Resettlementprogramme“ würde es noch viel mehr brauchen. Es gibt hier auf Lesbos so viele geschickte Leute, die in Österreich und Europa sicher Arbeit finden würden, wenn man es ihnen erlaubt. Aber auch insgesamt hat jeder Mensch ein Recht auf ein sicheres und gutes Leben. « 

Zur Sache
Kakerlaken im Lager 

Im September 2020 ist das Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos abgebrannt. 12.000 Menschen wurden dabei obdachlos. Mavrovouni ist eines der Nachfolgelager. Durch die Reduzierung der Bewohner/innenzahl in diesem Camp haben sich die Lebensbedingungen etwas verbessert. Ärzte ohne Grenzen kritisiert aber, dass die Lebensbedin-gungen für die Geflüchteten nach wie vor menschenunwürdig und unzureichend sind. Die Bewohner/innen klagen beispielsweise über Kakerlaken, Mäuse und Bettwanzen.  

Dazu kommt, dass die Flüchtlingslager in Athen oder Thessaloniki zunehmend überfüllt sind und sich mehr und mehr zu neuen ProblemHotspots entwickeln.

Papstbesuch

Erst im Dezember hat Papst Franziskus die Geflüchteten auf der Insel Lesbos besucht. Er warf Europa vor, dass einige hier die Angelegenheit behandelten, als sei man nicht betroffen. Der Umgang mit den Geflüchteten sei ein „Schiffbruch der Zivilisation“. Ärzte ohne Grenzen betont, dass das Leid auf Lesbos völlig vermeidbar wäre. Es sei das Ergebnis einer absolut einseitigen Priorität der EU und Griechenlands, Migration zu stoppen und Menschen um jeden Preis davon abzuhalten, Asyl in Europa zu beantragen.  

Hilfe auf Lesbos

Heinz Mittermayr arbeitet auf Lesbos für die Organisation von Doro Blancke und für „Leave No One behind“.

Autor:

KirchenZeitung Redaktion aus Oberösterreich | KirchenZeitung

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