Es ist „schon noch einiges zu tun“

Öffentliche Gebäude sollen eigentlich alle barrierefrei sein. Die Realität sieht aber oftmals anders aus. | Foto: www.adamwasilewski.com
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„Wir sind nicht behindert, wir werden behindert.“ Der Präsident des ÖZIV – Bundesverband für Menschen mit Behinderungen, Rudolf Kravanja, erklärt, wie man mit Menschen mit Behinderungen umgehen soll und welche Barrieren es heutzutage noch gibt.

Gehsteigkanten, die viel zu hoch sind; Geschäftslokale, die nicht erreichbar sind, weil nur Stufen hineinführen; Drogerien, die so verstellt sind, dass ein/e Rollstuhlfahrer/in nicht mehr durch die Gänge kommt; Konzerte und Kinos, die nur im hintersten Eck Rollstuhlplätze vorsehen – die Liste der Probleme im Alltag ist lang und Rudolf Kravanja kennt noch viele weitere Beispiele: Thermen und Schwimmbäder, die keine Hilfsmittel für Rollstuhlfahrer/innen anbieten, um ins Wasser zu kommen; Facharztordinationen, die nicht barrierefrei sind, und es Rollstuhlfahrer/innen verunmöglichen, zu diesem Spezialisten zu gehen, der vielleicht eine Koryphäe ist. Bei Pauschalreisen zahlt ein Mensch im Rollstuhl einen viel höhreren Betrag als ein Mensch ohne Beeinträchtigung „weil vielleicht ein Bus extra gebucht werden muss“. „Wenn man so nachdenkt, ist schon noch einiges zu tun“, erklärt Kravanja. Und das, obwohl Barrierefreiheit eigentlich seit 1. Jänner 2016 per Gesetz geregelt ist, wie auf der Webseite der Wirtschaftskammer übersichtlich dargestellt wird: „Alle Waren, Dienstleistungen und Informationen, die für die Öffentlichkeit bestimmt sind, müssen barrierefrei angeboten werden.“ Und weiter heißt es, Geschäftsräume, Lokale etc. müssten frei von baulichen Barrieren sein und alle Kundinnen und Kunden müssten Zugang zu Informationen haben. Die Realität sieht jedoch ganz anders aus. „Es steht zwar sehr oft barrierefrei drauf, ist es aber dann nicht“, kritisiert Kravanja.


Bewusstsein schaffen

Es geht vor allem um Bewusstseinsbildung. Und darum, beeinträchtigte Menschen nicht von Anfang an gesondert zu behandeln, sondern sie von Beginn an zu integrieren und das ab dem Kindergarten. „Wenn ich mit Menschen mit und ohne Behinderung aufwachse, kann man viele Dinge im Weiteren ausschließen. Ein Installateur weiß dann, wie er was installieren muss, weil er mit einem Menschen mit Behinderung aufwächst.“ Und das könne man auf jeden weiteren Bereich übertragen, erklärt Rudolf Kravanja.

Der richtige Umgang
Die Barrieren sind das Eine, der Umgang mit Menschen mit Beeinträchtigung ist das Andere. Rudolf Kravanja sagt dazu ganz klar: „Man soll mit Menschen mit Beeinträchtigung normal umgehen wie mit anderen Menschen auch. Man sollte, wenn man sieht, dass jemand über die Straße will, vorher fragen, ob er oder sie Hilfe benötigt und ihm bzw. ihr eine Chance geben, mit ‚ja‘ oder ‚nein‘ zu antworten. Wenn jemand eine Assistenz hat, dann ist es auch ein No-Go, nur mit der Assistenz zu reden.“ Kravanja plädiert für Sensibilität: Reduziere man im Gespräch einen Menschen auf sein Handicap – etwa indem man in frage, was ihm passiert sei – dürfe man sich nicht wundern, dass eine grantige Reaktion zurückkommen könne. Schließlich wolle niemand auf nur einen Umstand reduziert, sondern als Mensch gesehen werden. „Wenn der Mensch etwas dazu zu sagen hat, dann sagt er sowieso etwas dazu.“


Die eigene Sichtweise

Wir wollen normal behandelt werden!

Wie mit einer Rollstuhlfahrerin/einem Rollstuhlfahrer richtig umgehen? Die Antwort ist: Wie mit einem anderen Menschen auch.

„Wir sind nicht behindert, wir werden behindert.“ Dieses Zitat gibt die Situation beeinträchtigter Menschen treffend wieder. Denn würde man sämtliche Barrieren aus der Welt schaffen – was ja grundsätzlich kein Ding der Unmöglichkeit ist, sondern eher eine Frage des Willens und der richtigen Herangehensweise – dann hätten wir eine Chance auf ein eigenständiges, selbstständiges Leben, ohne andauernd nach Hilfe fragen zu müssen.
Wenn ich eines aus dem Gespräch mit Rudolf Kravanja (siehe links) besonders hervorheben möchte, dann ist es der Umgang mit Menschen mit Handicap. Zur Erklärung: Ich selber sitze zum Teil aufgrund einer Beeinträchtigung im Rollstuhl und für mich sind die angesprochenen Dinge Alltag. Immer wieder habe ich Situationen, die mich verärgern und das, obwohl es wahrscheinlich nur gut gemeint ist. Deswegen ist es mir auch ein Anliegen, zu beschreiben, wie man am besten hilft, sodass sich Rollstuhlfahrer/in und der oder die Unterstützer/in wohlfühlen.

Situationen als Rollstuhlfahrer/in
Ich fahre mit meinem Rollstuhl über einen Zebrastreifen. Der Weg geht leicht bergauf, plötzlich spüre ich einen Ruck von hinten. Natürlich lässt mich das erschrecken. Ich drehe meinen Kopf nach hinten und sehe, dass ich gerade angeschoben werde. Ich frage mich, warum, habe ich doch niemanden um Hilfe gebeten. Im Gegenteil: Ich wollte das alleine meistern. Ich wusste, es ist machbar und manchmal schadet eine kleine Herausforderung auch Rollstuhlfahrern nicht. Besonders ärgerlich: Ich wurde dann noch in eine ungewollte Richtung geschoben. Ich habe den Rollstuhl gestoppt, mich bedankt und wollte dann in die von mir gewünschte Richtung weiter. Der Mann hat aber trotzdem in die andere Richtung gelenkt. Ich habe ordentlich Kraft angewendet, sodass ich dann in die Richtung kam, in die ich wollte. Zudem bekam ich Angst, weil man ja schließlich nie weiß, was die Person dann im Endeffekt wirklich will. Und jetzt frage ich Sie: Würden Sie einfach so von einer fremden Person in eine Richtung geschoben werden wollen? Hilfe anbieten und Hilfe zu bekommen ist etwas Wunderbares, also lassen Sie es nie zu einer Angstsituation kommen. Gehen Sie zu dem Menschen, dem Sie helfen wollen, wenn sie denken, dass er Hilfe benötigt. Fragen Sie ihn, ob er auch wirklich Unterstützung braucht. Wenn die Person Nein sagt, dann akzeptieren Sie es. Wenn ein Ja kommt, dann fragen Sie ihn oder sie, wie Sie am besten helfen können.

Falsche Hilfe
Viele unterschätzen auch, was sie mit falscher Hilfe anrichten können. Ich bin einmal von einem Bus ausgestiegen, eher gesprungen. Ich wusste, ich kann das. Die Person, die gerade in dem Moment einsteigen wollte, wusste das nicht, hat aber auch nicht gefragt. So kam es, dass sie aus dem Nichts einfach nach meinem Rollstuhl griff – nach dem Motto: „Einfach helfen.“ Es kam so, wie es kommen musste: Ich bin aus dem Rollstuhl geflogen. Situationen wie diese müssen einfach nicht sein. Schließlich will doch jeder immer Herr seiner selbst bleiben.

Autor:

KirchenZeitung Redaktion aus Oberösterreich | KirchenZeitung

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