Vorwürfe gegen die Kirche
Ist die Kirche zu reich?

Foto: iStock/Catherine Leblanc

An dieser Stelle gehen wir ab sofort acht Wochen lang den gängigsten Vorurteilen gegen die katholische Kirche auf den Grund. Oder sind es am Ende gar keine Vorurteile? Zwei der anerkanntesten Experten aus dem österreichisch-kirchlichen Bereich sprechen Klartext und nehmen sich dabei kein Blatt vor den Mund.

1. Ist die Kirche zu reich?

Regina Polak © kathbild.at/Ruprecht
Univ. Prof. Regina Polak lehrt Pastoraltheologie an der Universität Wien

Regina Polak: Zwei Drittel der Katholikinnen und Katholiken weltweit leben im globalen Süden, sind also jung und arm. Das Vorurteil betrifft also vor allem die reiche Kirche in Europa. Und da stellt sich aus biblischer Perspektive die entscheidende Frage: Was geschieht mit diesem Reichtum? Laut biblischem Zeugnis ist Reichtum nicht grundsätzlich verpönt. Aber Jesus macht doch deutlich, dass er spirituelle, moralische und politische Schwierigkeiten mit sich bringen kann. Reiche Menschen können vergessen, dass auch sie andere brauchen und abhängig sind von Gott. Sie können ihre Verantwortung für die Armen vergessen oder gar unwillig werden, mit diesen zu teilen. Eine reiche Kirche hat also eine soziale Verantwortung, man nennt das in der katholischen Tradition Gemeinwohl-Verpflichtung. Diese besteht u.a. darin, dafür zu sorgen, Reichtum zu teilen und dafür zu sorgen, dass eine Gesellschaft gerechte Strukturen hat, die verhindern, dass Armut überhaupt entsteht. Und ich habe schon den Eindruck, dass sich die Kirche einerseits ganz stark für Notleidende und Hilfsbedürftige einsetzt und gerechte Gesetze einmahnt.

Matthias Beck: Es gibt wohl Diözesen und Klöster, die viel Besitz haben. Rein oberflächlich betrachtet, könnte der Eindruck also stimmen, dass es der Kirche in Deutschland und auch Österreich ganz gut geht. Die Frage ist aber: Wenn es so wäre, was macht dann die Kirche mit diesem Geld? Und das ist interessant. Helmut Schmidt wollte in Deutschland zum Beispiel die Kirchensteuer abschaffen. Und dann haben sie ihm vorgerechnet, dass fast 60 Prozent der Sozialleistungen im Staat von den Kirchen getragen werden: Kindergärten, Altersheime, Schulen, Krankenhäuser. Ich würde mal vermuten, dass die Situation in Österreich ähnlich ist. Soweit ich das einschätze, tut die Kirche mit ihrem Geld sehr viel Gutes. Wenn man also hergehen würde und die Kirche sich selbst überließe, dann wäre der Kirchenbesitz schnell aufgebraucht und die Kirche könnte sich nicht mehr an den Sozialleistungen beteiligen.

2. Das Christentum wächst oft in ärmeren Regionen schneller. Wirkt Wohlstand wachstumshemmend?

Matthias Beck
Univ. Prof. Matthias Beck lehrt Moraltheologie an der Universität Wien und ist Priester

Regina Polak: Dass reiche Menschen ungläubiger sind, halte ich für ein Vorurteil, für schwarz-weiß gemalt. Freilich gibt es in einem Umfeld des Überflusses Formen von Spiritualität, die ich als narzisstisch, vielleicht sogar als egoistisch bezeichnen würde. Umgekehrt zeigen Studien, dass arme und hungrige Menschen politisch und auch religiös leichter manipulierbarer sein können. Folglich könnte ein gewisser materieller Wohlstand auch eine authentische und freie Spiritualität begünstigen. Arme Menschen spüren wiederum vielleicht deutlicher, wie sehr sie Gott brauchen.
Fest steht: Ein reicher Mensch wird sicher nicht automatisch zum religiösen Egomanen und ein armer Mensch ist nicht automatisch manipulierbarer. Denn jeder Mensch ist ethisch frei, auf Gott zu reagieren.

Matthias Beck: Ich würde mal sagen, es ist ein grundsätzliches Problem des Westens, dass es uns insgesamt zu gut geht. Die Behäbigkeit des Wohlstandes ist gefährlich, schon alleine medizinisch betrachtet: Wohlstandsgesellschaften haben einen höheren Anteil an übergewichtigen Menschen, das fördert Krebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Und so würde ich das auch auf die Kirche übertragen: Wenn ein Organismus zu reich wird, wird er behäbig. Wenn er arm ist, muss er mehr ums Überleben kämpfen und aktiv sein. Die Gefahr einer zu reichen Kirche ist sicher, dass sie reich und satt ist und sich nicht mehr aktiv um die Menschen kümmert. Und dann verliert mittelfristig auch das spirituelle Leben an Substanz. Eine ärmere Kirche ist hingegen leichter auf Augenhöhe mit den Menschen.

3. Manchmal gibt es den Vorwurf, dass die Kirche lieber in Gebäude statt in Menschen investiert. Ist das ein Vorurteil?

Regina Polak: Wenn ich an die kulturellen Güter unserer Kirche denke, dann drückt sich darin auch aus, dass für Menschen auch Schönheit eine religiöse Erfahrung ist. Menschen brauchen die schönen Kirchengebäude, Kelche, den Schmuck, die Bilder. Es gibt lateinamerikanische Gemeinden, in denen die armen Menschen ihr Geld investieren, um sich eine schöne Kirche zu bauen, noch bevor sie mit dem Geld etwas Soziales oder Karitatives machen. Und noch ein wichtiger Aspekt in diesem Zusammenhang: Der öffentliche Raum wird immer mehr privatisiert wird und es ist schwierig, Räume zu finden, in denen man nichts zahlen und nichts konsumieren muss. Die Kirche kann hier eine wichtige Leistung für das Gemeinwohl erbringen. Mit dem Bereitstellen ihrer Plätze, Gebäude, Räumlichkeiten, Sportanlagen usw. schafft sie Begegnungsorte, die allen Menschen zugutekommen, nicht nur Christen. Was wir aber für die Zukunft sicherlich benötigen, sind moderne und bescheidene Formen kirchlicher Ästhetik.

Matthias Beck: Diesen Vorwurf höre ich öfter. Da sage ich dann: Was ist die Alternative? Sollen wir den Petersdom in Rom abreißen, und stattdessen einen Supermarkt bauen? Oder sollen wir in Wien den Stephansdom abreißen? Kirchengebäude kosten zwar Geld, denn sie müssen laufend renoviert werden. Ich frage dann aber auch immer etwas frech, ob nicht viele Touristen auch gerade u.a. wegen des Stephansdomes nach Wien kommen, gerade wegen der Strahlkraft unserer Kulturgüter. Denn wenn wir einmal die religiöse und spirituelle Dimension wegnehmen, dann sind unsere Gebäude ja schließlich auch Kulturgüter. Jeder, der mitbekommen hat, dass die gesamte französische Bevölkerung, die ja eigentlich eine laizistische Gesellschaft sein möchte, plötzlich zusammensteht und bereit ist, sehr viel Geld aufzubringen, um die abgebrannte Kathedrale Notre Dame wiederaufzubauen, erkennt, wie wichtig Kirchen für die gemeinsame nationale Identität sind. Und deswegen finde ich es gut, dass die Kirche ihre Bauwerke gut erhält.

4. Wird von kirchlichen MitarbeiterInnen (Priester, Diakon, Laien etc.) erwartet, dass sie einen bescheidenen Lebensstil führen?

Regina Polak: Als kirchliche Mitarbeiterin und als kirchlicher Mitarbeiter muss einem bewusst sein, dass die Umgebung und die Gesellschaft höhere moralische Erwartungen an einen haben. Es muss einem definitiv klar sein, dass man selbst als Person die Kirche repräsentiert, ob einem das gefällt oder nicht. Schwierig finde ich diese Tatsache aber in dem Moment, wo das in eine Art Psycho-Stress ausartet und man sich selber massiv unter Druck setzt und sich aus Angst vor den unterschiedlichen Reaktionen überfordert. Es ist wichtig, dass sich kirchliche Mitarbeiter und Vertreter über die generelle Vorbildwirkung bewusst sind und ihren Lebensstil darauf ausrichten – aber gleichzeitig müssen wir auch lernen, dass es Menschen gibt, denen einfach nicht gefällt, was wir glauben, egal, was wir tun. Manche Menschen werden auch massive Widersprüche formulieren, manchmal vielleicht sogar Recht haben. Da müssen wir nicht gleich in Rechtfertigung verfallen, sondern können solche Situationen als einen spannenden Ort betrachten, an dem wir selber noch etwas lernen können.

Matthias Beck: Ja, wir stehen da mitunter schon unter Beobachtung. Deswegen würde ich sagen, dass hier die alte Tugend des Maßes zählt. Was ich mir als Priester kaufe, muss sinnvoll sein.
Ich bin zum Beispiel viel unterwegs, halte viele Vorträge, unterrichte an der Universität, auch als Seelsorger komme ich viel herum und muss zu den Menschen hinfahren können. Deswegen brauche ich klarerweise ein Auto, das mich sowohl im Sommer als auch im Winter solide ans Ziel bringt. Deswegen kann ich mir ruhig ein gutes Auto zulegen, etwa einen Golf oder auch einen kleinen Audi. Aber als Priester brauch’ ich definitiv keinen großen Mercedes 500-er – das wäre jetzt nicht wirklich vertretbar. Ich versuche immer das rechte Maß zu halten und sparsam zu sein und was ich mir zulege, darf nicht aufgesetzt wirken.

Serie: Vorwürfe gegen die Kirche

Autor:

Michael Ausserer aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.

Powered by PEIQ