Vorwürfe gegen die Kirche
Hoffnungslos konservativ

Conservare“ heißt eigentlich „bewahren“. Freilich ist im Diskurs zu erstreiten, was und warum es etwas zu bewahren gilt – und wann etwas verändert werden muss. | Foto: Pixabay
  • Conservare“ heißt eigentlich „bewahren“. Freilich ist im Diskurs zu erstreiten, was und warum es etwas zu bewahren gilt – und wann etwas verändert werden muss.
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Der Vorwurf, die Kirche sei zu konservativ, betrifft nur das Verstaubte im Gestern-Hängen. In einem gewissen Sinn muss die Kirche sogar konservativ sein im Wortsinn von „bewahren“, wenn sie auf Jesus Christus zurückgreift.
Die Pastoraltheologin Regina Polak und der Moraltheologe Matthias Beck über das richtige Konservativ-Sein.



Ist die Kirche zu konservativ? Vorurteil oder Realität?

Regina Polak © kathbild.at/Ruprecht
Univ. Prof. Regina Polak lehrt Pastoraltheologie an der Universität Wien

Regina Polak: Ich würde mich selbst auch als konservativ bezeichnen, auch wenn mir das vielleicht viele nicht glauben. Ich finde es nicht gut, dass „konservativ” zum Schimpfwort geworden ist. Jede Demokratie benötigt die kreative Spannung zwischen „Konservativen“ und „Progressiven“. Konservativ zu sein, bedeutet ja, dass man etwas zu bewahren versucht.

Freilich ist im Diskurs zu erstreiten, was und warum es etwas zu bewahren gilt – und wann etwas verändert werden muss, weil z.B. eine Regel, ein Gesetz, eine Tradition ihren ursprünglich intendierten Sinn nicht mehr erfüllen. In unserer Religion hat eine ethisch reflektierte Erinnerung einen zentralen Wert – und wo es etwas zu erinnern gibt, da gibt es auch etwas zu bewahren.

Das Alte und Neue Testament sind voll mit Aufforderungen zur Erinnerung an die Befreiung durch Gott und die damit verbundenen Regeln, diese Freiheit zu bewahren. Diese sollen helfen, Gott treu zu bleiben und Freiheit und Leben der Menschen zu schützen.

Konservatives Verhalten ist kein Selbstzweck.

Matthias Beck
Univ. Prof. Matthias Beck lehrt Moraltheologie an der Universität Wien und ist Priester

Matthias Beck: Conservare“ heißt eigentlich „bewahren“, Kirche muss natürlich etwas bewahren. In einem gewissen Sinne muss Kirche konservativ sein, weil sie auf Jesus Christus zurückgreift.

Aber wenn man mit „konservativ“ rückwärtsgewandt oder veraltet oder verstaubt meint, also ein ausschließlich im Gestern-Hängen, dann ist das schlecht. Ich würde sogar sagen, wenn man das nicht falsch versteht: Kirche ist im ersten Sinn gar nicht konservativ genug, sie muss vielmehr zu den christlichen Wurzeln zurück.

In der Urkirche war dieses Feuer, das haben wir vollkommen verloren, das ist zugeschüttet durch Strukturen. Auf der einen Seite müsste Kirche viel konservativer sein in dem Sinne: zurück zu den Wurzeln, zurück zu Jesus Christus, zurück zur Spiritualität.

Auf der anderen Seite kann man dann in vielen Bereichen fortschrittlich sein und vorausdenken.



Welche sind die „Gefahren“ und „Chancen“ des Konservativen?


Regina Polak:  Auch in der Bibel ist die Spannung zwischen Bewahrern und Erneuerern beschrieben, die man nicht einseitig auflösen kann und soll. Die Aufgabe besteht darin, die Tradition im Lichte der Gegenwart und ihrer Herausforderungen neu zu interpretieren. Dazu muss man aber sowohl die Tradition als auch die Gegenwart kennen und verstehen.

Das Problem besteht im Autoritarismus: wenn versucht wird, die eigene Position ohne Kommunikation, ohne Diskussion, ohne Partizipation mit Macht und Gewalt durchzusetzen. Einem solchen Autoritarismus begegnet man empirisch öfter bei Konservativen, aber auch Progressive können darunter leiden. In der Verfassung der Kirche gibt es dazu das Zusammenspiel zwischen Hierarchie und Synodalität.

Dass es da noch Entwicklungsspielraum und die Notwendigkeit rechtlicher Nachbesserung gibt, ist freilich auch wahr. Ich würde jedenfalls das Wort „konservativ” gerne retten.

Matthias Beck: Wenn du zu wenig Spiritualität hast, dann machst du hohe Mauern um dich herum. Eine Ghettoisierung: Du schottest dich ab von der Welt. Wenn du viel Spiritualität hast, wie Jesus sie hatte („Ich und mein Vater, wir sind eins“), viel Anbindung an Gott, dann kannst du in der Peripherie relativ großzügig sein. Jesus ist relativ großzügig umgegangen mit Mördern (noch heute wirst du mit mir im Paradies sein) und Ehebrechern (auch ich verurteile dich nicht), aber sehr streng mit den Pharisäern, die nur am Gesetz hängen (Weh euch ihr Heuchler).

Wenn „konservativ“ sein heißt, Mauern bauen, abschotten, rückwärtsgewandt sein, dann sage ich: Weg damit! Weg mit den Mauern.

Wenn konservativ heißt, mehr Versammlung, mehr in die Person Christi hineinwachsen, dann brauchen wir mehr Konservatives im Sinne der tieferen Anwendung, der tieferen Spiritualität. Konservativ sein kann auch heißen: Kulturträger zu sein, das wäre wichtig.


Welche Rolle spielt dabei der einzelne Christ?


Regina Polak: Wir werden bei der Taufe auf die Teilhabe am dreifachen Amt Christi hin getauft. Das bedeutet: Auch ich bin Priesterin, Königin und Prophetin. Diese Ämter sind mit Begabungen und Aufgaben verbunden. Und alle sind begabt mit den Gaben des Heiligen Geistes.

Das bedeutet: Ich habe als Christin Anteil am Heilen und Heiligen der Welt, ich habe Anteil an ihrer Leitung, ich bin ermächtigt und beauftragt, die Offenbarung für die Gegenwart auszulegen. Viele Gläubige müssen dazu erst ermutigt werden. Sie wissen oft gar nicht, wozu sie berufen sind, welche Gaben sie haben und was sie beitragen können. Freilich geschieht dies in der Kirche immer mit anderen gemeinsam, da gibt es dann auch Widerpruch und Konflikte.

Das kirchliche Amt ist verpflichtet, diese Begabungen und die Teilhabe an solchen Prozessen zu fördern und die Vielfalt gleichsam zu „managen“, „Brückenbauer“ zu sein, also pontifikal. Die Strukturen, das kirchliche Recht, sollen sichern, dass solche Prozesse auch gerecht laufen, und sich nicht nur die Lautesten, Mächtigsten durchsetzen. Priester, Bischöfe, der Papst haben hier eine große Verantwortung.

Matthias Beck: Meine Wunschvorstellung wäre, dass jeder Christ ganz in Gott verankert ist. Das ist nämlich die Botschaft des Christentums: Du bist ein Leuchtturm des Heiligen Geistes, du bist ein Tempel des Heiligen Geistes, ich auch.

Jeder ist ein Leuchtturm und damit kann jeder er selbst oder sie selbst werden. Die Herrlichkeit Gottes ist das gelingende Leben des Menschen. Das ist Christentum. Aus diesem Eigenstand heraus kann man sich in die Gemeinschaft einfügen. Der Bratschist muss gut Bratsche spielen, der Pianist gut Piano spielen, der Gitarrist gut Gitarre. Also jeder Einzelne soll in seiner Eigenständigkeit gefördert werden, dann kommt ein gutes Orchester zustande.

Die Gefahr ist: Wenn du Menschen vereinheitlichen willst zu einer großen Masse, was oft eine Gefahr in der Kirche war, dann kommt der Einzelne zu kurz, so nach dem Motto: Die Kirche ist alles, du bist nichts, ordne dich ein. Ich drehe den Spieß herum und sage: Du bist alles und die Kirche soll dir helfen, du selbst zu werden.

Wir alle müssen uns gegenseitig unterstützen, dass jeder/jede er und sie selbst werden kann.


Aber es gibt zugleich konservative Werte, die nicht unbedingt schlecht sein müssen, Familie etwa…


Regina Polak: Natürlich sind Werte wie die Familie, Treue, Verzicht, Demut, Gehorsam u.v.m. nicht schlecht. Aber sie sind kein Selbstzweck und müssen immer aus der Sicht christlicher Theologie und Ethik geprüft werden. Man muss auch reflektieren, mit welcher Praxis sie sich verbinden, weil erst diese ihren Sinn erschließt. Die Familie z.B. ist nicht der höchste Wert in der Bibel.

Christ wird man durch die Taufe, und nicht aufgrund der Zugehörigkeit zu einer Familie. Die Grundorganisationseinheiten der katholischen Kirche sind die Gemeinde und die Diözese, nicht die Familie. Zugleich ist die Familie selbstverständlich der zentrale und daher schützenswerte Raum menschlichen Zusammenlebens, für Kinder ein wichtiger Raum des Glauben-Lernens. Aber auch dafür ist die Gemeinde mitverantwortlich. Ich selbst habe vor allem in meiner Gemeinde glauben gelernt.

Zur Treue gehört untrennbar die Freiheit, zum Verzicht die Bereitschaft zu teilen, zur Demut der Mut zur Freiheit, zum Gehorsam die Pflicht zum Widerstand, wenn Ungehöriges gefordert wird.

Matthias Beck: Nein, die sind auch nicht schlecht. Aber es gibt auch dieses Bild der etwas spießbürgerlich-engen Familie, das manchen Jugendlichen einfach zu langweilig ist. Also ich denke, es muss diese Form des Christentums so befreiend sein, dass trotzdem jeder seine eigenen Wege gehen kann.

Familie ist etwas Großartiges, aber es hat sich doch heute sehr viel mehr aufgelockert, und manchen ist das noch immer zu eng. Auch Jugendlichen ist das zu eng. Also ich würde sagen, man muss eine gute Mischung finden aus Familienstruktur und der Möglichkeit, dass jeder Einzelne sich entfaltet, dass Kinder zur Entfaltung kommen und Ehepaare zur Entfaltung kommen.

Man muss in dieser angefochtenen Welt einerseits zusammenhalten und sich andererseits aber auch freigeben in eine Eigenständigkeit.

Serie: Vorwürfe gegen die Kirche

Autor:

Stefan Kronthaler aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG

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