Impfen in der Diskussion
Warum "Pflicht", richtig verstanden, Leben schützt

Moraltheologe, Pharmazeut und Mediziner Ao. Univ.-Prof. Dr. Dr. Matthias Beck: "Mir tut es leid, dass wir eine Spaltung zwischen Geimpften und Ungeimpften haben". | Foto: Stefan Kronthaler
  • Moraltheologe, Pharmazeut und Mediziner Ao. Univ.-Prof. Dr. Dr. Matthias Beck: "Mir tut es leid, dass wir eine Spaltung zwischen Geimpften und Ungeimpften haben".
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Die sogenannte Impfpflicht für Ungeimpfte ab Februar 2022 wirft einige Fragen auf. Der Wiener Moraltheologe Matthias Beck ist auch Pharmazeut und Mediziner.

Im Gespräch mit dem SONNTAG erläutert er die eigentliche Bedeutung des Begriffs „Pflicht“. Und er begründet, warum es zur Eindämmung der Corona-Pandemie notwendig ist, dass sich möglichst viele Menschen impfen lassen.

Impfen, impfen: So bringt Matthias Beck die auf Österreich zukommende Herausforderung in den nächsten Monaten auf den Punkt. Und er kann dem Vorschlag, eine verpflichtende Impf-Beratung einzuführen, einiges abgewinnen.

  • Wir hatten am Wochenende die Proteste der Impfskeptiker, wir haben die Maßnahmen der Regierung wie den Lockdown, bald eine Impfpflicht. Wie sehen Sie die Lage?

Begonnen hat diese Spaltung mit der Flüchtlingsproblematik. Das ging durch ganze Gemeinden hindurch, auch durch Ehen. Sodass der eine Partner gesagt hat: Wir müssen sie nehmen, und der andere hat gesagt: nicht. Und jetzt geht das weiter. Die Gesellschaft ist total gespalten. Mir tut es leid, dass wir hier eine Spaltung haben zwischen Geimpften und Ungeimpften. Als Naturwissenschaftler, Pharmazeut und Mediziner sage ich: Es gibt gar keine andere Möglichkeit, als die Menschen zu impfen.

  • Hatten wir nicht schon einmal eine Art Impfpflicht?

Ja, in Österreich die Impfpflicht gegen Pocken – so weit ich weiß – von 1935 bis 1977, das waren immerhin 40 Jahre. Wir wären alle nicht hier, wenn nicht damals alle gegen Pocken geimpft worden wären. Wenn wir jetzt nicht eine Art Impfpflicht einführen, dann kommen wir alle nicht aus dieser Pandemie heraus.

  • Liegt das Problem nicht auch im falschen Verständnis von „Pflicht“?

Wir haben eine falsche Begrifflichkeit in der öffentlichen Diskussion. In der Philosophie bei Immanuel Kant meint das Wort „Pflicht“ eine persönliche Verpflichtung, die mit meinem Gewissen zu tun hat. Ich erkenne etwas als richtig an und bin verpflichtet, mich selber zu schützen, mein Leben zu schützen. Diese Impfung schützt mein Leben und das Leben anderer.

  • Was ist damit konkret gemeint?

Erstens: die Pflicht mir selber gegenüber.
Also mein Leben nicht unnötig in Gefahr zu bringen und durch diese Impfung mein Leben zu schützen, dass ich nicht einen schweren Verlauf bekomme, selbst wenn ich angesteckt werde.

Zweitens: Warum ist das so wichtig, dass ich nicht so schwer erkranke?
Für mich selber und für das Gesundheitssystem, weil sonst die Intensivmedizin total überlastet ist und „normale“ Patienten nicht mehr versorgt werden können, weil Corona-Patienten die Intensiv-Betten blockieren.

Drittens: In dem Maße, in dem ich geimpft bin, schütze ich auch meine Nachbarn, weil ich selber nicht so leicht andere anstecken kann, wenn ich geimpft bin.

Nochmals: Das erste war der schwere Verlauf. Das zweite ist: Ich kann nicht so leicht angesteckt werden. Und drittens, ich kann Sie nicht so leicht anstecken.

Das heißt, hier ist auch eine soziale Verantwortung und das alles fällt unter den Begriff „Pflicht“ von Kant her.

  • „Pflicht“ ist also ein schillernder Begriff...

Kant unterscheidet „Pflicht“ und „pflichtgemäß“: „Pflicht“ meint: Ich erkenne in meinem Gewissen eine innere Verpflichtung. „Pflichtgemäß“ heißt: Weil es der Staat mir befiehlt. Und Kant sagt: Der höhere ethische Wert ist das, was ich aus Erkenntnis tue, aus einer Gewissensentscheidung heraus. Da sind wir leider weit entfernt. Wir haben noch fast 30–40 Prozent Ungeimpfte. Neun von zehn schwer Infizierten sind Ungeimpfte. Mir tut es leid, dass es in vielen Teilen Europas nicht genügend gelungen ist, die Menschen so weit aufzuklären, dass sie aus Einsicht, aus innerer Erkenntnis, zum Impfen gehen, sondern dass man jetzt beginnen muss, sie dazu zu zwingen, entweder durch Ausgangssperren für Ungeimpfte oder, was jetzt im Februar kommen soll, eine Impfpflicht.

  • Impfgegner fürchten einen Impfzwang ...

Einen Impfzwang können Sie nicht durchsetzen. Soll die Polizei zu Ihnen nach Hause kommen, Sie fesseln und Ihnen dann die Spritze verabreichen? Das ist vollkommen unmöglich. Wir haben ein Recht auf körperliche Unversehrtheit. Das hängt wiederum mit der Menschenwürde zusammen. Das wird nicht gehen.

Sehr wohl geht aber das, was wir auch bei der Gurtpflicht haben: Wer sich nicht impfen lassen will, muss eine Strafe zahlen.

  • Der langjährige Wiener Moraltheologe Günter Virt schlägt vor, anstelle der Impfpflicht eine verpflichtende Impf-Beratung einzuführen. Was halten Sie davon?

Ich halte von allem etwas, was der Sache dient. Und die Sache heißt impfen, impfen, impfen. Ich weiß nicht, ob man diese Beratung administrieren kann.

Eine Art medizinische oder psychologische Beratung? Die fände ich sehr gut. Nur laden Sie einmal zwei, drei Millionen Menschen zum Gespräch ein. Ansonsten finde ich diesen Vorschlag gut.

Das Gespräch können Sie im Podcastbereich von radio klassik Stephansdom nachhören.

Autor:

Stefan Kronthaler aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG

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