Erwin Kräutler
Ein Bischof zwischen Leben und Tod

Bischof Erwin Kräutler. "Es geht nicht nur darum, an die geographischen Grenzen zu gehen, sondern an die existenziellen."
 | Foto: Markus A. Langer
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Der aus Österreich stammende Bischof Erwin Kräutler steht seit Jahren auf einer Todesliste, weil er sich für die Rechte der Indios in Brasilien und gegen die Zerstörung des Amazonasgebiets einsetzt. Warum er nicht schon längst das Handtuch geworfen hat, erzählt er im Interview.

Unaufhaltsam kämpft er gegen die skrupellose Ausbeutung Amazoniens, die Korruption in der brasilianischen Wirtschaft und Politik und setzt sich unermüdlich für die Rechte der Indios im größten Staat Südamerikas ein. Erwin Kräutler, seit über 50 Jahren als Missionar in Brasilien tätig, war von 1981 bis 2015 Bischof von Xingu, der flächenmäßig größten Diözese Brasiliens mitten im Amazonasgebiet. Sie ist mit 350.000 Quadratkilometern viermal so groß wie Österreich und zählt 800 Gemeinden, die gerade einmal von 30 Priestern betreut werden. Für 2019 plant der Vatikan – auch aufgrund einer Initiative von Bischof Kräutler – eine Sonder-Bischofssynode für die Amazonas-Region. Sie soll sich angesichts des drastischen Priestermangels auch mit neuen Formen der Gemeindearbeit befassen.

Erwin Kräutlers Einsatz für die indigene Bevölkerung Brasiliens hat ihm nicht nur den Alternativen Nobelpreis eingebracht, sondern mächtige Feinde beschert. Seit Jahren steht der 1936 in Vorarlberg geborene Kirchenmann nach einem versuchten Mordanschlag und wiederholten Drohungen unter Polizeischutz. Bei seinem vergangenen Aufenthalt in Österreich wohnte Dom Erwin, wie er genannt wird, einige Tage im Stift Göttweig, wo wir ihn besuchen durften. Auf unsere Frage, was ihn besonders freut, wenn er nach Österreich kommt, antwortete Bischof Kräutler: „Hier kann ich mich frei bewegen und bin in meinem Tun nicht eingeschränkt. Wenn ich wieder in Brasilien lande, erwarten mich schon zwei Polizisten, die mich auf Schritt und Tritt begleiten.“

Haben Sie aufgrund der massiven Todesdrohungen nie ans Aufgeben gedacht?
Aufgeben heißt, das Handtuch zu werfen und zu sagen: „Ich habe meinen Teil getan. Ich werde verfolgt und bedroht, ich haue ab.“ Ich kann mich gut erinnern, als die Todesandrohungen ganz unmissverständlich waren, habe ich die meisten „Liebeserklärungen“ in meinem Leben erhalten. Am Schluss einer Eucharistiefeier in Porto de Mos hat mir eine Frau das Mikrofon aus der Hand genommen und gesagt: „Lieber Dom Erwin, wir wissen, wie es dir geht und was du aushalten musst. Aber geh nicht weg, wir lieben dich.“ Dann hat sie geweint und es ist in der Kirche sehr emotional und sentimental geworden, auch bei anderen Gemeindemitgliedern flossen die Tränen. Ich habe mir damals wirklich gedacht, ich könnte nie in meinem Leben diesem Volk den Rücken kehren, weil es ist nun mein Volk geworden.
Ein anderes Erlebnis hat ebenfalls schon viel früher einen starken Eindruck bei mir hinterlassen: Als ich 1983 von der Militärpolizei festgenommen und niedergeschlagen wurde, haben die Leute geschrien: „Lasst ihn los, das ist unser Bischof.“ Das hat unser gegenseitiges Verhältnis noch mehr vertieft, wie ich das vorher nie so gespürt habe. Die Leute wissen, ich bin um ihretwillen gedemütigt worden. Das war wichtiger als jede Predigt, auch wenn sie noch so schön gewesen wäre.

Sie haben ein Buch mit dem Titel „Habt Mut!“ geschrieben. Was bedeutet denn, Mut zu haben und auch zu zeigen?
Es macht mich traurig, wenn Leute gleichgültig sind und sagen: „Was geht mich das an? Was habe ich davon? Das sollen doch die anderen machen!“ Mit einer solchen Einstellung traut man sich gar nichts mehr. Mut bedeutet Standhaftigkeit, dass ich nicht aufgebe. Ich lasse mich nicht von jedem Wind einfach umwerfen. Man muss in der Kirche und Gesellschaft Mut haben, auch angesichts von möglichen Fehlern oder der Gefahr, dass der Schuss nach hinten losgehen kann, und sagen: „Wir machen das!“ Das Zweite Vatikanische Konzil war ein sehr mutiger Schritt. Wer hat daran gedacht, dass Papst Johannes XXIII. das Konzil einberufen wird. „Um Gottes Willen, nie im Leben!“ Ich denke oft an den Apostel Paulus. Von ihm sagt man, dass er mit Mut und Zivilcourage, mit Feuer sozusagen, auch mit einer bestimmten Leidenschaft alles durchgezogen hat. Der neutestamentliche Begriff der Parrhesia, die Dinge frei auszusprechen, kommt mir da in den Sinn.

Sie sind seit Jahrzehnten missionarisch tätig. Was heißt für Sie Mission?
Man kommt nicht als Lehrer: „Seid froh, ich bin jetzt da und bring euch jetzt etwas bei.“ Man muss stets auf die Leute zugehen und zwar mit viel Liebe und Einfühlungsvermögen. Ich muss mich einfühlen in ihre kulturellen Ausdrucksformen, in ihre Art zu sein und auch in ihre Wertevorstellungen. Missionar-Sein heißt Hingabe. Es geht nicht nur darum, an die geographischen Grenzen zu gehen, sondern an die existenziellen.

Wie sehen Sie die Situation in Lateinamerika – verglichen mit der in Europa?
Ich habe mich stets gehütet, Vergleiche anzustellen. Mir kam nie in Brasilien die Idee zu sagen, in Österreich läuft das so und so. Eine kleine Anekdote muss ich erzählen: Beim ersten Weihnachten in Brasilien konnte ich das „Stille Nacht“ noch nicht auf Portugiesisch. Am Ende der Christmette habe ich es leise auf Deutsch mitgesungen. Danach hat mich ein Ministrant gefragt: „Interessant, kennt man dieses brasilianische Lied auch in ihrer Heimat?“ Meine Antwort war Ja. Ich habe ihm nie gesagt, dass es in Österreich entstanden ist. Es ist ja mittlerweile zum Weltkulturerbe geworden.

Und was sagen Sie, wenn Sie auf Ihren Reisen durch Ihre alte Heimat gefragt werden, welche Prioritäten Sie in Österreich setzen würden?
Die Option für die Armen ist nicht nur eine Option für Lateinamerika. Ich denke nur an das Thema Migration. Ich war eigentlich glücklich über die Kirche in Österreich, speziell über die Caritas, wie sie 2015 während der Flüchtlingswelle reagiert hat. Das ist einsame Spitze und das darf man nicht vergessen. Es gibt viele Leute, die sich vielleicht nach außen nicht mehr als Christen bekennen. Sie sind Katholiken, praktizieren es nicht mehr oder sind sogar schon ausgetreten. Sie spüren aber im tiefsten Herzen Solidarität und Mitgefühl und das hat doch ganz sicher mit ihrem auch religiösen Hintergrund zu tun.

Welche persönlichen Hoffnungen für Kirche und Gesellschaft haben Sie?
Mein persönlicher Wunsch ist, dass alle kirchlichen Gemeinden Zugang zur Eucharistiefeier haben. Es geht mir absolut nicht um ein Für oder Gegen den Zölibat. Wenn ein Mann oder eine Frau diese Lebensform wählt, ist das ihr gutes Recht und sie sollen darin bestätigt und sogar unterstützt werden. Das ist eine Gnade Gottes und darüber rede ich nicht, das gehört einfach dazu. Aber dass die Eucharistiefeier von einem zölibatären Mann abhängt, meine ich, ist nicht richtig. Ich spreche das so aus, weil ich wirklich die Tatsache kenne, dass bei uns in Brasilien Gemeinden nur drei- oder viermal im Jahr Eucharistie mitfeiern, und ihnen das Verständnis für die Eucharistie verlorengeht: Und diesen Zustand halte ich für gefährlich. Da müssen wir uns etwas einfallen lassen. Und Wunsch Nummer zwei: Dass die Indios schlussendlich ihr Recht bekommen. Das ist bereits in der Verfassung von Brasilien verankert, aber es ist längst an der Zeit, dass man dieses Recht auch respektiert.

Sie sagen von sich selbst, dass Musik Ihnen immer wieder Kraft in Ihrem Leben gibt. Was ist Ihre Lieblingsmusik?
Die Matthäuspassion von Johann Sebastian Bach kann ich praktisch auswendig. Wenn Sie mir drei Takte angeben, dann mache ich wahrscheinlich weiter. Ich bin immer noch begeistert von Beethoven, Mozart und Haydn. Die Symphonien von Bruckner sind mir ein bisschen zu schwer, aber wenn ich nur an sein Te Deum denke, werde ich schon „high“. Meine weiteren Favoriten sind das Paulus-Oratorium von Felix Mendelssohn Bartholdy und die „Unvollendete“ Symphonie von Franz Schubert. Als junger Mensch hatte ich eine recht interessante Beziehung zum Jazz und bin bis heute von bestimmten Musikstücken von Louis Armstrong oder Glen Miller begeistert. Ich kann mich noch erinnern, wie wir „Rock Around The Clock“ von Bill Haley im Jahr 1956 gesungen haben und ich auf der Gitarre begleitete (und stimmt die ersten Takte an). Und natürlich höre ich immer wieder gerne die Spirituals wie „Nobody Knows the Trouble I’ve Seen” oder „When The Saints Go Marching In”.

Bischof Erwin Kräutler. "Es geht nicht nur darum, an die geographischen Grenzen zu gehen, sondern an die existenziellen."
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Autor:

Markus Albert Langer aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG

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