Gottesdienst ohne Gemeinde
Kann man im Wald besser beten?

Natürlich können mir die Einsamkeit und die Schöpfung Hilfen sein, um meine persönliche Gottesbeziehung zu fördern, das hat niemand vorzuschreiben, aber…
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  • Natürlich können mir die Einsamkeit und die Schöpfung Hilfen sein, um meine persönliche Gottesbeziehung zu fördern, das hat niemand vorzuschreiben, aber…
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Sie hat unzähligen Menschen bereits den Reichtum der kirchlichen Feiern erschlossen. Ingrid Fischer ist Expertin für Liturgiewissenschaft. Die in der Coronakrise üblichen Online-Gottesdienste sieht sie kritisch. Denn es bestehe die Gefahr, dass die Notlösung zur Norm wird.

Ingrid Fischer
Ingrid Fischer ist Expertin für Liturgiewissenschaft

Aufgewachsen in einem wenig kirchlichen Elternhaus war Ingrid Fischer das Feiern und Beten der Kirche nicht in die Wiege gelegt. Als 16-Jährige besuchte sie die Gemeinschaft von Taizé und war von der Liturgie, dem Singen und Beten dort tief beeindruckt.

Einer der Brüder hat ihr den Rat gegeben, nach der Rückkehr keine spezielle Spiritualität zu suchen, sondern einfach in die Wohnpfarre zu gehen und sich dort umzusehen. „Das war die wichtigste Weichenstellung für mich!“ Im Chor der Pfarre St. Elisabeth und später bei den Schotten im 1. Bezirk fand sie ihre kirchliche Heimat: „Wir haben Werke bibelfester evangelischer Komponisten gesungen. Hier habe ich einen Gutteil meiner Bibelkenntnisse gewonnen.“

  • Wie haben Sie das plötzliche Verbot von öffentlichen Gottesdiensten erlebt?

Es war gravierend, denn damit ist ein – angeblich – tragender Pfeiler unserer Gottesdienstkultur weggebrochen. Wirklich überrascht hat mich deshalb, wie problemlos man auf die Versammlung der Gläubigen verzichten konnte; wie rasch man auf das überwunden geglaubte Modell der „Messen ohne Gemeinde“ zurückgegriffen und diese im Internet übertragen hat. Für die meisten Priester war es eine selbstverständliche Lösung, und für viele Gläubige anscheinend auch.

Umso erfreulicher war die Entstehung von „Netzwerk Gottesdienst“, in dem die österreichischen Liturgiereferate zahlreiche praktikable und stimmige Feiern für zuhause – viele davon kindgerecht – erarbeitet und zum Download bereitgestellt haben. Auf diese Weise konnte, wer wollte – auch ohne TV und Internet –, die Sonntage, das Osterfest und andere Anlässe daheim sinnvoll und würdig feiern.

  • Wie haben Sie in diesem Jahr Ostern gefeiert?

Ich habe keine Fernsehübertragungen angesehen. Ich habe mich an die Tagzeiten-Liturgie der Kirche (Stundengebet u.a. mit Morgen- und Abendlob, Anm. d. Red.) gehalten, die ich mit meinem Mann gemeinsam singen kann. Am Gründonnerstag, Karfreitag und Karsamstag sind da die morgendlichen Trauermetten ein großer spiritueller Schatz. Und in unserer Osternacht stand der österliche Lichtlobpreis im Mittelpunkt. Das Osterlicht anzuzünden war meine und unsere Teilhabe am Licht des Auferstandenen, das wir – ins Fenster gestellt – sogar mit anderen teilen konnten.

  • Waren diese Ostern ohne Messe in der Kirche eine traurige Erfahrung?

Ja, sich nicht versammeln und in die Kirche gehen zu können, war schon ungewöhnlich und hat wehgetan.
Ich weiß aber, und bin dankbar für die wenigen Priester, zwei kenne ich namentlich, die darauf verzichtet haben, für die anderen, aber ohne sie, Messen zu „zelebrieren“. Sie haben bewusst für sich nichts genommen, was alle anderen in dieser Zeit entbehren mussten, und waren so wirklich solidarisch an der Seite der Gläubigen. Sie mussten sich von Brüdern im Amt den Vorwurf gefallen lassen, sie würden ihr Priestertum nicht richtig leben. Ich habe es als vorbildlich und tröstlich empfunden.

  • Die Online-Gottesdienste haben viele Zusehende gefunden…

Ich frage mich, ob der Zuspruch zu den gestreamten Messen nicht zeigt, wie einseitig die übliche liturgische Kommunikation ist, sodass der Unterschied zur „Mitfeier“ vor dem Fernseher, die nicht einmal Blickkontakt, geschweige denn eine Antwort erlaubt, als so unerheblich erlebt wird.

Gottesdienst erfordert sinnliche Zeichen und das kommunikative Handeln der ganzen Gemeinde. Wenn diese Vollzüge wegfallen, bedeutet das immer einen Verlust an konkreter Erfahrbarkeit des gefeierten Heilsgeschehens. Und da zeigt sich - nicht nur in Coronazeiten - mancher Schwachpunkt unserer Feierkultur.

  • Meinen Sie, dass es statt Brot nur eine Oblate gibt, oder dass üblicherweise der Wein nur vom Priester getrunken wird…?

Das sind gute Beispiele. Es zeigt, dass unser Umgang mit sinnlichen Zeichen in aller Regel sehr beschränkt ist, oder sich mit einer bloßen Andeutung zufrieden gibt - weil die ja dogmatisch „genügt“.

  • Das Meiste macht immer noch der Priester?

Auch das ist in dieser Zeit besonders an die Oberfläche gekommen: dass unsere Liturgie sehr auf die Person des Priesters zugeschnitten ist.

  • War es aus Ihrer Sicht richtig, dass die Kirchenleitung das Verbot öffentlicher Gottesdienste mitgetragen hat?

Ja, ich sehe es grundsätzlich positiv, dass fast alle Kirchen die Anordnungen der Regierung mitgetragen haben und sich in dieser Hinsicht nicht als „Kontrastgesellschaft“ profiliert haben. Gottesdienste finden grundsätzlich öffentlich statt, aber nicht immer!

Die Gründe für eine zurückgezogene Feier sind unterschiedlich. Da nun die Kirchen als öffentliche Versammlungsorte geschlossen wurden, haben häusliche Feierorte und kleine Versammlungen „im Namen Jesu“ an Recht und Bedeutung gewonnen. Selbst alleinstehende Gläubige können ja – nicht erst jetzt – das Stundengebet der Kirche vollziehen. Sie machen es nicht anders als die meisten Kleriker, die sich – auch in Nicht-Notzeiten – viel häufiger von ihrem Wohnzimmer aus mit der Weltkirche verbinden, als dass sie sich mit ihren Gemeinden zum Morgen- oder Abendlob in der Kirche versammeln. Aber die Symbolkraft der Liturgie bleibt hier schwach.

  • Das Verbot von Gottesdiensten wurde zwar vielfach bedauert. Doch könnte es sein, dass viele die Sonntage mit TV-Übertragung gewohnt wurden?

Es besteht die sehr konkrete Gefahr, dass Notlösungen sich als neue Norm etablieren können. Oft, weil sie bequemer sind und scheinbar trotzdem genügen. Die Liturgiegeschichte kennt dafür viele Beispiele. Möglicherweise wird unsere Zeit welche hinzufügen. Werden vielleicht die gestreamten, mehr oder weniger gemeindelosen Messen dazugehören? Sie bekräftigen ein Kirchenverständnis, das mit der Ermächtigung zur „vollen bewussten und tätigen Teilnahme aller“ am Gottesdienst (2. Vatikanisches Konzil) unvereinbar ist. Aber sie haben trotzdem hohe Einschaltquoten erreicht. Das gibt zu denken.

  • Werden die Menschen wiederkommen?

Zurückkehren werden aber wohl nur die Menschen, die etwas entbehrt haben; etwas, das zugegebenermaßen nur die anspruchsvolle Vollform von Liturgie bietet.

  • Und was ist das?

Es ist die Freude, dem Ruf Gottes physisch Folge leisten zu können, die über die eigenen vier Wände hinaus erfahrbare Gemeinschaft in Christus und untereinander, der Reichtum symbolischer Kommunikation …

  • Kann man nicht im Wald besser beten?

Natürlich können mir die Einsamkeit und die Schöpfung Hilfen sein, um meine persönliche Gottesbeziehung zu fördern, das hat niemand vorzuschreiben, aber…

  • Geht es um die Kirche als Gebäude?

In gewisser Hinsicht schon. Das Gebäude eröffnet einen konkreten Begegnungsraum: Seine Bauweise, wie es eingerichtet ist, trägt dazu bei, ob und wie wir uns in der Gegenwart Gottes erfahren. Wir sind „herausgerufen“ (das ist ja die Wortbedeutung von Kirche), um gemeinsam zwei Dinge zu tun: Gott zu ehren und seinem Handeln hier und jetzt Zeit und Raum zu geben. Dafür bedarf es vieler Ausdrucksformen, an denen die ganze Gemeinde mitwirkt: im Zuspruch der Schriftlesungen, im Hören, Beten und Singen, in symbolischen Haltungen und materiellen Zeichen …

In diesen sinnlichen Erfahrungen werden die Verheißungen Gottes nicht nur erinnert und vergegenwärtigt, sondern - so glauben wir - lassen uns bereits an der Endzeit Anteil haben.

  • Ein Stück Himmel auf Erden sozusagen?

Ja, ein Stück Himmel auf Erden. Das Bild darf man natürlich nicht pressen. Aber es ist ein wesentlicher Aspekt.

Autor:

Stefanie Jeller aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG

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