Nachhaltige Investition – in die Menschen
„Ich bin glücklich, wenn Menschen nun in Würde leben“

Zu Gast in Österreich: Regionaldirektorin Caroline Mulwa und Investment Officer Curtis Musembi. | Foto: Markus A. Langer
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Caroline Mulwa ist seit Kurzem die erste Frau an der Spitze der Entwicklungsgenossenschaft „Oikocredit“ für die Region Afrika. Gemeinsam mit ihrem Team arbeitet sie vor allem mit Frauen zusammen. Sie weiß, dass sie langfristig einen positiven Einfluss auf das Leben der benachteiligten Menschen in Afrika haben kann. Das motiviert die neue Oikocredit-Regionaldirektorin Tag für Tag.

Die auf Initiative des ökumenischen Weltkirchenrates 1975 ins Leben gerufene Entwicklungsgenossenschaft Oikocredit hat den Auftrag, sich für weltweite Gerechtigkeit einzusetzen. Oikocredit stellt Finanzierungsmittel für benachteiligte Menschen bereit, die normalerweise von einer Geschäftsbank keinen Kredit bekommen würden. Die Genossenschaft verfügt über ein weltweites Netz von Regional- und Länderbüros. Einheimische Fachkräfte beraten die Partnerorganisationen im Vorfeld und während der gesamten Kreditlaufzeit.

Im September dieses Jahres wurde die kenianische Investment Managerin Caroline Mulwa zur Oikocredit-Regionaldirektorin für Afrika bestellt. Bei ihrem Besuch in Österreich, bei dem sie von ihrem Kollegen Curtis Musembi begleitet wurde, erzählte Mulwa, wie sie zu Oikocredit gekommen ist.

Was hat Sie dazu bewogen, bei Oikocredit zu arbeiten?
Caroline Mulwa: Als ich frisch von der Universität kam, habe ich acht Jahre lang für eine kommerzielle Bank gearbeitet. Irgendwann begann mich allerdings diese Konzentration auf den rein kommerziellen Aspekt des Unternehmens zu stören. Zu Beginn eines jeden Jahres wurden uns unsere Ziele vorgegeben. Am Ende des ersten Quartals, wenn man die Quote seiner Ziele erreicht hatte, wurde das Ziel für das gesamte ganze Jahr nochmals geändert. Ich habe mich gefragt: „Geht es hier nur um den Gewinn? Warum denken wir nie daran, wie wir das Leben der Menschen nachhaltig verändern können?“ Also wurde ich langsam unzufrieden in meinem damaligen Job. Als ich dann auf Oikocredit stieß, war ich so überrascht: „Oh wow, das ist ja eine tolle Organisation, die wirklich etwas für die Menschen tut.“

Drei Jahre lang verkaufte Jennifer Toussou aus Côte d’Ivoire (im Bild mit ihrer Nichte) ihre Waren auf der Straße. Mit einem Kredit konnte sie ihren eigenen Laden auf dem örtlichen Markt eröffnen und ihr Sortiment erweitern. | Foto: Opmeer Reports
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Warum sind Sie nach 15 Jahren noch immer dabei? Was hat Sie gehalten?
Caroline Mulwa: Ich bin immer wieder erstaunt, dass wir tatsächlich eine so positive Rolle spielen, wie wir das Leben vieler Menschen verändern. Vor drei oder vier Jahren haben wir eine Kreditnehmerin einer unserer Mikrofinanzbanken kennengelernt. Diese Frau zeigte uns, wo sie hineingeheiratet hat: ein mit Stroh und Lehm gebautes Haus. Sie erzählte uns, dass ihr Mann sich selbst mit der Heirat in den Ruin getrieben habe. Sie sei so unglücklich gewesen und habe sich immer gefragt, ob sie in einem Lehmhaus mit Strohdach leben wolle. Sie gründete ein Unternehmen und arbeitete so hart, dass sie ein Stück Land kaufen und ein Haus bauen konnte, das man in den ländlichen Gegenden nicht für möglich hält: ein Haus mit drei Schlafzimmern und einem Blechdach, das mit Solarzellen ausgestattet ist, um Energie zu gewinnen. Sie haben einen Wassertank und energiesparende Kochherde. Das alles gelang mit Krediten aus der Mikrofinanzierung. Solche Kunden zu besuchen, ist sehr lohnend und erfüllend. Es baut mich immer wieder auf, wenn ich sehe, wie Menschen jetzt in Würde leben können.

Das ist eine Erfolgsgeschichte. Fällt Ihnen spontan noch eine weitere ein?

Caroline Mulwa: Eine der vielen Erfolgsgeschichten ist eine Molkereigenossenschaft. Ursprünglich gehörte sie etwa 15.000 Kleinbauern, von denen manche nur eine Kuh, manche zwei Kühe hatten. Als wir das Projekt mit ihnen beendeten, waren es bereits über 50.000 Bauern, viele von ihnen Jugendliche. Die jungen Menschen fingen an zu erkennen, dass dies eine interessante wirtschaftliche Aktivität sein kann. Und so begannen sie, Kredite aufzunehmen, um Kühe zu kaufen. Als wir ihnen das erste Mal Geld liehen, sammelten sie 30.000 Liter Milch pro Tag. Am Ende unserer Partnerschaft waren es schon 200.000. Am Beginn unserer Zusammenarbeit hatten sie kein einziges Produkt auf dem Markt. Am Ende stellten sie Frischmilch, Joghurt und Butter her – einfach erstaunlich.

Sie haben gerade die Jugend angesprochen. Wie geht es dieser in den momentanen wechselhaften Zeiten?
Curtis Musembi: In der Covid-Pandemie haben wir bemerkt, dass aufgrund der Kontaktbeschränkungen verschiedene interessante Lösungen auf den Markt gebracht worden sind. Neue digitale Bezahlmöglichkeiten treten in Erscheinung, Mobile Banking ist im Vormarsch. Vor allem Start-ups haben da im Vergleich zu kommerziellen Finanzinstituten die Nase vorn. Viele Transaktionen werden jetzt online via App abgewickelt, und das sind Innovationen, die von der Jugend vorangetrieben werden. Junge Menschen entwickeln auch neue Lieferdienste. Sie überlegen, wie der Einzelhandel Produkte unter diesen logistischen Herausforderungen zu den Menschen nach Hause bringen kann.

Im Schatten eines großen Mangobaums demonstrieren Dieudonne Traore (Baobab-Agent) und sein Team aus Korhogo der Gemeinde ein Solar-Kit mit Fernseher für zu Hause. | Foto: Opmeer Reports
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Weltweit nehmen überwiegend Frauen Mikrokredite auf. Wie sieht die Lage in den afrikanischen Ländern aus?
Caroline Mulwa: In Afrika sind etwa 70 Prozent der Endkunden von Mikrokrediten weiblich. Typischerweise haben afrikanische Männer Kreditsicherheiten. Ihnen gehört das Land. Sie sind also in der Lage, zu Banken zu gehen und dort Kredite zu bekommen, während Frauen dies nicht möglich ist, weil sie nicht die Macht dazu haben. Frauen sind es, die Genossenschaften und kleine Gruppen bilden, um Zugang zu Mikrofinanzkrediten zu bekommen. Sie wollen ein besseres Leben für ihre Familien, für ihre Kinder. Eine Frau, die finanziell gestärkt ist, trifft zu Hause bessere Entscheidungen: über die Lebensmittel, die ihre Familie isst, über das Geld, das sie spart, darüber, dass ihre Töchter zur Schule gehen. Dies kann zu einer Geschichte der Ermächtigung einer ganzen Generation werden und für einen Dominoeffekt sorgen. Der weibliche Nachwuchs kann sagen: „Ich bin zur Schule gegangen, weil meine Mutter Opfer gebracht hat. Meine Töchter sollen nun auch zur Schule gehen.“ Solche Zukunftsaussichten geben mir einen zusätzlichen Motivationsschub für meine tägliche Arbeit.

Gehört die Vergabe von Mikrokrediten nach wie vor zum Kerngeschäft von Oikocredit?
Caroline Mulwa: Ja, das ist es, was unser tägliches Geschäft ausmacht, etwa 60 bis 70 Prozent des Portfolios, sowohl in Afrika als auch auf globaler Ebene. Wir haben jedoch erkannt, dass es auch andere Sektoren gibt, die unterfinanziert sind und in denen wir uns gerne engagieren würden. Vor etwa zehn Jahren haben wir unser Engagement in der Landwirtschaft und im Bereich der erneuerbaren Energien begonnen. Wir wollen Nachhaltigkeit für Kleinbauern und ländliche Gemeinschaften erreichen. In der Landwirtschaft arbeiten wir mit sozialen Unternehmen zusammen, die Produkte von Kleinbauern kaufen und so einen Markt für sie schaffen, um sie dann weiterzuverarbeiten und zu exportieren. Solche Wertschöpfungsketten sind in den Ländern, in denen wir tätig sind, gut entwickelt. Im Bereich der erneuerbaren Energien geht es uns um die Bereitstellung von Energie für ländliche Gemeinden. Dazu wählen wir Kooperationspartner aus, die Solaranlagen für Privathaushalte, energiesparende Kochherde und auch Mini-Stromnetze zur Verfügung stellen, um eine ländliche Gemeinde mit Strom zu versorgen. Keine Zusammenarbeit gibt es mit Unternehmen, die Strom in das nationale Netz einspeisen. Wir wollen laufend nachhaltige Energielösungen für Menschen mit niedrigem Einkommen ausbauen.

Oikocredit in Afrika

Die Entwicklungsgenossenschaft hat ihren Fokus auf 13 afrikanische Länder gelegt: Benin, Burkina Faso, Côte d’Ivoire, Ghana, Kenia, Malawi, Mali, Niger, Nigeria, Ruanda, Sambia, Senegal und Uganda.

Die Oikocredit-Geschäftsstelle in Kenia ist das Regionalbüro für Oikocredit Afrika, d. h. sie koordiniert alle Aktivitäten von Oikocredit in Afrika.Das Büro wurde 1995 eröffnet und betreut derzeit 90 Partnerorganisationen. Oikocredit in Afrika beschäftigt insgesamt 30 Mitarbeiter:innen, die alle von drei Geschäftsstellen in Nairobi (Kenia), Abidjan (Côte d’Ivoire) und Lagos (Nigeria) aus arbeiten und von dort aus die 13 Schwerpunktländer betreuen. Die meisten Mitarbeiter:innen sind in der Anlageberatung tätig. Die anderen sind für die Bereiche Personal, Compliance (Einhaltung von Gesetzen und Regeln), Recht, Finanzen und Verwaltung zuständig.

Oikocredit Afrika verfügt über ein Portfolio von 162 Mio. Euro in den Bereichen finanzielle Inklusion (62 %), Landwirtschaft (30 %), erneuerbare Energien (7 %) und Sonstiges (1 %).
Siehe auch oikocredit.at

Autor:

Markus Albert Langer aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG

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