Alte Schätze neu entdecken
Was können wir von der Klostermedizin lernen?

Alte Glasflaschen mit medizinischen Essenzen in einer Holzbox (ehemalige Benediktinerabtei von Muri im schweizerischen Kanton Aargau) | Foto: iStock/Rafael Wiedenmeier
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  • Alte Glasflaschen mit medizinischen Essenzen in einer Holzbox (ehemalige Benediktinerabtei von Muri im schweizerischen Kanton Aargau)
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Das medizinische Wissen der Klöster ist auch nach Jahrhunderten wertvoll und kann heute noch zur Gesundheit beitragen.

Der heilige Benedikt von Nursia (um 480 bis 547) gilt als Vater der Klostermedizin. In einer Zeit des Niedergangs der antiken Kultur, der Völkerwanderung und der Pestwellen gründete er 529 das Kloster Montecassino. Für das Mutterkloster des Benediktinerordens schrieb er seine berühmte „Regula Benedicti“. Im 36. Kapitel der Ordensregel heißt es: „Die Sorge für die Kranken muss vor und über allem stehen: Man soll ihnen so dienen, als wären sie wirklich Christus.“ Jedes Kloster sollte künftig für die Pflege der Kranken und Schwachen einen eigenen Raum einrichten und einen Mönch dafür ausbilden, den Infirmar.

Geistige Bildung

Für Benedikt, dem Begründer des abendländischen Mönchtums, war neben der Krankenversorgung die geistige Bildung der Mönche ein großes Anliegen. Er empfahl, jeder Mönch sollte wenigstens ein Buch pro Jahr lesen, besonders während der Fastenzeit. Die Weitergabe der Kunst des Lesens und Schreibens war in den Klöstern sehr wichtig, um die Bücher vervielfältigen zu können und so das Wissen weiterzugeben. Ein Ordensbruder von Benedikt, Cassiodor (* um 485, † um 580), spielte eine weitere wichtige Rolle in der Entwicklung der Klosterheilkunde. Er forderte die Mönche in dem von ihm gegründeten Kloster Vivarium auf, die Eigenschaften der Kräuter und die Mischungen der Arzneien kennenzulernen.

Kaiser Karl der Große (747-814) förderte die Heilkunde seiner Zeit. Er ordnete in Klöstern und Städten den Anbau von bestimmten Obstsorten, von Gemüse- und Gewürzpflanzen sowie von Heilkräutern in einem Kräutergarten an. Durch seine Reformen wurde von den Klöstern die Voraussetzung für die medizinische Versorgung von kranken Menschen geschaffen. Der um 830 entstandene St. Gallener Klosterplan zeigt den idealen Plan eines Klosters. Es gibt nicht nur eine eigene Krankenstation, sondern auch einen Kräutergarten mit anschließendem Raum zum Trocknen und Lagern der Kräuter, die Apotheke. Für jede der 16 Heilpflanzen steht im Garten ein einzelnes Beet zur Verfügung.

Monopolstellung der Klöster

Die Klosterheilkunde hatte zwischen dem 8. und dem 12. Jahrhundert ihre Blütezeit. Im Kloster Lorsch bei Worms wurde im 8. Jahrhundert das medizinische Wissen im „Lorscher Arzneibuch“ festgehalten. Im 11. Jahrhundert verfasste der Mönch Odo de Meungden „Macer floridus“, ein Standardwerk der Kräuterheilkunde, das überall in Europa Verbreitung fand. Mit der heilkundigen Äbtissin Hildegard von Bingen (1098-1179) wird der Höhepunkt dieser Epoche der Medizingeschichte erreicht. Sie war die letzte Autorin bedeutender Werke der Klosterheilkunde. Zwischen 1150 und 1160 entstanden ihre medizinischen Werke „Physica“ und „Causae et curae“.

„Einer der entscheidenden Punkte war sicherlich auch, dass man arabische Werke ins Lateinische übersetzt hat“, sagte der Medizinhistoriker Johannes Gottfried Mayer im Herbst 2014 in einem Interview mit dem SONNTAG und meinte damit Constantinus Africanus. Der Nordafrikaner, wahrscheinlich medizinisch ausgebildet und vielleicht ein Händler von Gewürzen und Arzneidrogen, brachte das Wissen arabischer Ärzte nach Europa, als er etwa 1077 in Salerno eintraf. Er übersetzte dort und später als getaufter Laienbruder in Montecassino Werke der arabischen Medizin, die wiederum auf griechische Ärzte zurückgingen.

In Salerno, wo ursprünglich die Benediktiner von Montecassino eine Art Erholungsort hatten, entwickelte sich eine der ersten medizinischen Hochschulen, in der nicht mehr Mönche bzw. Kleriker, sondern vorwiegend Laien wirkten. Es bildete sich allmählich eine europäische Ärzteschaft heraus, die das Monopol der Klöster im medizinischen Bereich langsam auflöste.

Heilsplan Gottes

Die Klosterheilkunde hatte immer zwei Seiten: Neben der Sorge um den Körper (cura corporis) war die Sorge um die Seele (cura animae) den Klöstern wichtig. „Natürlich gab es neben der direkten Anwendung der Klostermedizin auch einen geistlichen Aspekt. Vor allem Hildegard von Bingen hat immer wieder darauf hin-gewiesen, dass der Mensch in dem ganzen Kosmos geborgen ist“, so Johannes Gottfried Mayer. „Die religiöse Seite, dass Gott für den Menschen einen Heilsplan hat, von der Schöpfung angefangen bis zum Ende, hatte eine zentrale Bedeutung und einen Einfluss auf die geistige Haltung der Menschen.“

Der im März 2019 verstorbene Johannes Gottfried Mayer war Leiter der „Forschergruppe Klostermedizin“, die 1999 am Institut für Geschichte der Medizin der Universität Würzburg mit dem Ziel gegründet wurde, das von den Mönchen und Nonnen gesammelte Heilwissen systematisch zu erfassen und somit das unerschöpfliche Wissen der Klostermedizin zu bewahren und der modernen Medizin so wieder Öffentlichkeit zugänglich zu machen. „Im Mittelalter wurde eine Fülle von Pflanzen verwendet, wesentlich mehr als heute, etwa doppelt so viele. Es gab von diesen Pflanzen, die wir heute noch nutzen, andere und zum Teil wesentlich mehr Anwendungen, als wir sie heute kennen. Vieles davon war sicher sinnvoll, deswegen ist es notwendig, diese Klostermedizin und auch die darauffolgende Epoche genau zu erforschen“, sagte Mayer im SONNTAG-Interview. „Die Traditionelle Europäische Medizin ist im 19. Jahrhundert in Vergessenheit geraten, weil man ganz andere Wege gegangen ist und vor allem synthetische Arzneimittel bevorzugt hat, in dem nur ein Wirkstoff drinnen ist. Man hat geglaubt, dass es wesentlich stärker ist, was zum Teil auch stimmt. Mittlerweise merken wir, dass wir mit einigen Pflanzen sehr gut therapieren können. Nicht zuletzt sind auch die Nebenwirkungen deutlich niedriger oder überhaupt nicht vorhanden.“

Autor:

Markus Albert Langer aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG

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