k.k. Weiberstrafanstalt
Im Gotteshaus der gefangenen Frauen

Deckenfresko mit dem hl. Erzengel Michael im Chorraum des Langhauses | Foto: Robert Bouchal
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  • Deckenfresko mit dem hl. Erzengel Michael im Chorraum des Langhauses
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Sie war im Ursprung ein Experiment mit menschlich-christlichem Ansatz, scheiterte aber: Die ehemalige k. k. Weiberstrafanstalt in Wiener Neudorf unter klösterlicher Führung. Ein neues Buch erzählt von diesem und anderen vergessenen Orten der Geschichte.

Robert Bouchal und Johannes Sachslehner trauten beim Betreten des Raumes ihren Augen nicht: „Es ist ein imposantes Kirchenschiff, das sich hier vor unseren Augen öffnet. Ja eigentlich sind es zwei Kirchen, die wir hier zu sehen bekommen.

Hier ist bereits seit langer Zeit keine Heilige Messe abgehalten worden“, erzählen sie von ihrem Besuch in der Anstaltskirche der ehemaligen k. k. Weiberstrafanstalt in Wiener Neudorf. Es sei ein beinahe gespenstisches Relikt aus vergangenen Zeiten, „ein Wahrzeichen der Strafrechtspflege in Altösterreich, das jahrzehntelang völlig unbeachtet auf dem Gelände verfiel.“

Ein Ort, der in seinen Bann zieht

Vom eindrucksvollen Fresko des Erzengels Michael an der Decke im Chorraum bröckelt der Putz. Die Kirchenbänke hat man ausgeräumt, ebenso die Heiligenstatuen – die Nischen des noch vorhandenen Altares sind leer. Der am besten erhaltene Teil des vergessenen Gotteshauses des ehemaligen Frauengefängnisses ist das gewaltige Deckenfresko im Nonnenchor von Maria Loretto Kastner. Das beeindruckende Kunstwerk im Stil der Nazarener zeigt die Krönung Mariens und das Jüngste Gericht.

Heute wird die Kirche aus Platzmangel von der Gemeinde als gewaltiger Lagerraum für Heizöfen und die Beleuchtung für das weihnachtliche Wiener Neudorf genutzt. „Ein echter Lost Place, der von außen nicht verrät, dass er einen wahren Schatz in seinem Inneren verbirgt“, resümieren Robert Bouchal und Johannes Sachslehner: „Die Malereien auf der Decke des Kirchenschiffes sind von ganz besonderer Ausstrahlung. Wir können uns hier gar nicht satt sehen. Ein Ort, der uns durch seine Aura in den Bann zieht.“

Frauengefängnis unter Nonnen-Aufsicht

Das Autorenduo Robert Bouchal und Johannes Sachslehner, bekannt für seine Spezialisierung auf vergessene Orte mit geheimnisvoller Geschichte, begibt sich in seinem neuen Buch „Dunkles Wien. Orte des Schreckens und des Verbrechens“ auf Spurensuche nach verdrängten Kapiteln in der Stadtgeschichte Wiens und des Umlandes.

Die ehemalige k. k. Weiberstrafanstalt in Wiener Neudorf ist einer von 20 verschiedenen „dunklen Orten“, die Bouchal und Sachslehner für ihr Buch besucht und erforscht haben.

Das vormalige Frauengefängnis in Wiener Neudorf wurde Mitte des 19. Jahrhunderts aus durchaus menschlich-christlichen Überlegungen heraus gegründet, um straffällig gewordene Frauen nicht mehr durch Anketten und Stockstreiche, wie damals üblich, zu disziplinieren, sondern sie in einer Art Experiment unter die Aufsicht von Klosterfrauen zu stellen.

Initiatorin der neuen Haftanstalt für Frauen war die zum Katholizismus konvertierte Gräfin Ida Hahn-Hahn (1805-1880), die für die Aufgabe den aus Frankreich stammenden „Orden der Frauen vom Guten Hirten“ vorschlug.

Ein Gebäude für die neue „Weiberstrafanstalt“ fand sich bald: das fürstbischöfliche Sommerschloss in Wiener Neudorf erschien am geeignetsten – bereits 1854 kamen die ersten 16 Frauen aus dem Wiener Gefangenenhaus nach Wiener Neudorf.

Prominente Besucher

Das Experiment schien zunächst zu funktionieren. Die Zahl der „Zwänglinge“, wie die Insassinnen genannt wurden, stieg innerhalb weniger Jahre auf 300 an. Die Dauer des Aufenthalts war mit drei Jahren begrenzt.

KAISERIN ELISABETH
KAISERIN ELISABETH
besichtigte die Weiberstrafanstalt.

Das neuartige Modell einer „Weiberstrafanstalt“ wurde bald zur Attraktion und von zahlreichen prominenten Persönlichkeiten besucht, darunter auch von Kaiserin Elisabeth, die „mit großem Interesse die Strafanstalt in allen Räumen besichtigte“.

Robert Bouchal und Johannes Sachslehner bringen in ihrem Buch „Dunkles Wien“ sämtliche Details zum Alltag der weiblichen Strafgefangenen. Erschreckend: Das Essen für die Gefangenen war streng rationiert. Sie bekamen kein Abendessen und durften sich nur einmal im Monat baden oder abwechselnd die Füße waschen.

An der Wand eines Arbeitssaals stand in großen Lettern zu lesen: „Wer aufhört zu beten, fängt an zu sündigen“. Der Satz fasst die „Philosophie“ des Hauses zusammen – die gefangenen Frauen mussten beinahe ununterbrochen beten und „heilige Lieder“ singen.

Genau dieser Umstand, dass man meinte die Frauen mit permanenten aufgezwungenen Gebetsübungen auf den rechten Weg zu bringen, wurde bald zu einem der Hauptkritikpunkte an der Strafanstalt, formuliert u. a. vom Arzt Leopold Wittelshöfer als „Dressur zur Frömmigkeit“.

Leopold Wittelshöfer
Der Arzt Leopold Wittelshöfer
kritisierte die Haft.

Der Mediziner ließ auch an der Verpflegung der Häftlinge kein gutes Haar: das Schuhwerk der Frauen sei in fürchterlichem Zustand und ihre einzige warme Speise am Tag eine aus übriggebliebenen Brotkrumen gebraute Suppe. Die Aufwendungen für das Essen standen in keinem Verhältnis zur Unterstützung durch die Regierung mit 47,5 Kreuzer pro Kopf und Tag. Die Schwestern aber konnten jedes Jahr eine bedeutende Summe an ihr Mutterhaus im französischen Angers schicken.

Geschichte, die weh tut

Die Folge der schlechten Verpflegung waren chronische Krankheiten unter den Häftlingen wie Tuberkulose, nicht erfasst sind die psychischen Folgen der „religiösen Dressur“ und der drakonischen Strafen bei Verweigerung. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde den Nonnen die Aufsicht über die „Sträflinge“ entzogen, das Frauengefängnis in Wiener Neudorf existierte bis zum „Anschluss“ Österreichs an Nazideutschland.

„Dunkles Wien“ ist ein fesselndes Buch, das man kaum aus der Hand legen kann. Auch wenn es Geschichte ist, die weh tut, die man zu lesen bekommt. Es ist das Verdienst von Johannes Sachslehner und Robert Bouchal Licht ins Dunkel zu bringen, sich der historischen Ereignisse, auch wenn es schreckliche sind, anzunähern. Sie tun es mit großem Geschick auf der Erzähl- und Bildebene und verführen uns mit hinführender Spannung, den geschichtlichen Tatsachen ins Auge zu schauen.

Autor:

Agathe Lauber-Gansterer aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG

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