Vorweihnachtszeit trotz Pandemie - Teil 2
Wir sagen Euch an, den lieben Advent

Was Ritualen und Traditionen aber meistens gut tut – und das ganz unabhängig von Krisen – , ist, sie immer wieder auf Herz und Nieren zu prüfen, neu zu überdenken.  | Foto: P. Razenberg
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  • Was Ritualen und Traditionen aber meistens gut tut – und das ganz unabhängig von Krisen – , ist, sie immer wieder auf Herz und Nieren zu prüfen, neu zu überdenken.
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Mit der Familie rund um den Adventkranz zu sitzen. Jeden Tag ein Türchen am Adventkalender zu öffnen. Mit Freunden Weihnachtskekse zu backen. Gerade der Advent ist gespickt mit Ritualen und Traditionen. Aber wie wird das 2020 sein – in Zeiten des Abstand-Haltens und Maske-Tragens?
In unserer Serie „Advent und Weihnachten feiern in Zeiten der Pandemie“ sprechen wir in dieser Woche mit Anselm Grün, Benediktinerpater, Theologe und Autor über Rituale und Traditionen, was sie in Krisenzeiten für uns tun und warum es gut tut, sie manchmal „neu“ zu denken.

Es ist ein Buch, das ganz besonders gut in diese Zeit passt: „Das große Hausbuch für die ganze Familie“, das Benediktinerpater Anselm Grün gerade gemeinsam mit Andrea Langenbacher herausgebracht hat. Zahlreiche Ideen, Tipps und Anregungen findet man hier, wie man als Familie und im Freundeskreis mit den Jahreszeiten leben und die Feste im Kirchenjahr, wie etwa den Advent feiern kann. „Gerade der Advent ist ja voller Bilder und Symbole, wir haben da einen echten Reichtum, einen unendlichen Schatz“, sagt dazu Anselm Grün: „Nehmen wir zum Beispiel den Adventkranz. Dieses Licht in der Dunkelheit, das immer mehr wird von Adventsonntag zu Adventsonntag. Das ist ja auch eine Verheißung: Jesus wird kommen.“

Das Buch macht mit all seinen Ideen gerade in diesem Jahr auch Mut, Traditionen und Rituale hoch zu halten, Wege zu suchen, wie das, was für uns zum Advent dazu gehört, machbar wird.

Rituale geben Sicherheit
Rituale und Traditionen so etwas wie ausfallen zu lassen, sei nämlich keine gute Idee, sagt Anselm Grün im Gespräch mit dem SONNTAG: „Rituale und Traditionen sind wichtig. Sie sind unsere Wurzeln. Sie erden uns, halten uns im Gleichgewicht. Wie ein Baum seine Wurzeln braucht, wird auch ein Mensch ohne Wurzeln krank.“

Rituale und Traditionen bringen uns in Berührung mit unserer Geschichte, mit uns selbst, mit unserem tiefsten Inneren. Das Wissen, dass Generationen vor uns, dieses oder jenes Ritual bereits ausgeführt haben, gebe ein Gefühl der Zuversicht. „Wir spüren, es ging und geht immer weiter. Rituale lassen uns in diesem Sinne in die Vergangenheit und die Zukunft gleichzeitig schauen. Und Rituale und Traditionen zeigen so eben auch: Wir sind nicht alleine“, so Pater Anselm Grün.

Gerade in Krisenzeiten seien Rituale und Traditionen besonders wichtig. „Sie geben uns Sicherheit und Geborgenheit. Und das ist es doch, was man in schweren Zeiten besonders braucht.“

Warum tun wir das?
Was Ritualen und Traditionen aber meistens gut tut – und das ganz unabhängig von Krisen – , ist, sie immer wieder auf Herz und Nieren zu prüfen, neu zu überdenken. „Wenn wir das tun, füllen wir das Ritual, die Tradition mit Leben und können daraus Glaubenskraft, Lebenskraft ziehen können“, sagt Anselm Grün: „Ein Ritual nur zu machen, weil man das immer schon so gemacht hat, ist eigentlich zu wenig.“ Vielmehr lohne es sich zu überlegen, warum wir dieses oder jenes Ritual, diese oder jene Traditionen hochhalten, warum wir etwas tun und was es uns bringt. In Krisenzeiten mache man das vielleicht sogar eher, als sonst, „weil man durch äußere Umstände dazu gezwungen wird.“

Miteinander verbunden fühlen
Er sei überzeugt davon, dass wir auf viele Rituale und Traditionen auch in diesem Jahr trotz Abstand-Haltens, trotz der Hygienemaßnahmen, trotz Maske-Tragens nicht verzichten muss. „Im Grunde ist es doch so: Wo mehr Distanz ist, da braucht es auch mehr Geborgenheit – nicht weniger,“ so Anselm Grün: „Es zahlt sich deshalb aus, die Hände nicht resignierend in den Schoß zu legen, sondern sich Gedanken zu machen. Was können wir in der Familie, im Freundeskreis machen? Welche persönlichen Traditionen können wir abändern? Was können wir ganz neu machen?“ Das gelte im Übrigen für den privaten Bereich genau so, wie für die Kirche.

Gerade dieses Abstand-Halten zwinge uns, neue Möglichkeiten zu finden, wie wir uns verbunden fühlen können, wie wir eine Verbindung mit jenen schaffen können, die uns nahe stehen – ohne Körperkontakt. „Im Lockdown etwa hat sich das Ritual entwickelt, dass Menschen zu einem bestimmten Zeitpunkt am Tag eine brennende Kerze ins Fenster gestellt haben“, erinnert Anselm Grün. Ein ganz neues Ritual und ein ganz neues Symbol der Verbundenheit, der Solidarität. „Da haben wirklich viele mitgemacht. Und durch so eine gemeinsame Handlung verbunden zu sein, hat zweifelsohne etwas Stärkendes.“

Im Hinblick auf den Advent könnte das heißen: Man trifft sich zum gemeinsamen Adventspaziergang im Park – mit Keksdose zum Verkosten der ersten Köstlichkeiten und einer Thermoskanne Tee statt am Punschstand zu stehen. Man macht sich mit Familienmitgliedern, mit denen man nicht im gleichen Haushalt lebt, jeden Sonntag eine bestimmte Uhrzeit aus, zu der man die Kerze(n) am Adventkranz entzündet. Vielleicht liest man via Skype gemeinsam in der Bibel oder adventliche Geschichten. Oder man verschenkt Barbarazweige und schickt einander Fotos, davon, wie die erblühen.

Jammern hilft nicht
Natürlich werde es Menschen geben, die sagen, dass das aber nicht das Gleiche ist, „und damit haben sie ja auch recht“, sagt Anselm Grün. Deswegen sei ein neues Ritual oder ein neu gedachtes Ritual aber nicht gleich schlecht. „Es ist eben nur anders.“ Und natürlich werden uns manche Dinge im Advent fehlen. Aber all die Rituale, die wir heuer nicht machen können, all die Traditionen, die verschwinden ja nicht, die warten ja nur darauf, dass wir sie wieder aufleben lassen, sobald das wieder möglich ist.

Mit großem Nachdruck pocht Anselm Grün deshalb auch darauf, in Krisenzeiten nicht zu sehr ins Jammern zu verfallen. „Wir sollten uns nicht als Opfer fühlen – auch nicht in schweren Zeiten, wie diesen. Jammern hilft niemandem weiter – es macht depressiv und passiv. Und wir sollten wohl alles daran setzen, ins Aktive zu kommen. Denn wenn wir dieser herausfordernden Zeit mit viel Fantasie und Kreativität begegnen, wenn wir uns trauen, neue Rituale zu etablieren und alte neu zu denken, dann steckt in all dem vielleicht auch eine Chance.“

weitere Artikel dieser Serie:
Teil 1: Wie werden wir heuer feiern?

Autor:

Andrea Harringer aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG

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