Durchhaltevermögen
Auch jeder mühevolle Weg hat ein Ende

Wenn ich mir Gedanken über das Warum, über den tieferen Sinn dieses mühevollen Weges mache, werde ich auch das Wie leichter ertragen. (Brigitte Ettl) | Foto: iStco/deimagine
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  • Wenn ich mir Gedanken über das Warum, über den tieferen Sinn dieses mühevollen Weges mache, werde ich auch das Wie leichter ertragen. (Brigitte Ettl)
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Politikerinnen und Politiker rund um den Globus üben sich im Hinblick auf Corona in Durchhalteparolen. Doch durchzuhalten, etwas wie eine Pandemie bzw. ihre Auswirkungen auszuhalten – so wissen wir mittlerweile – fordert alles von uns.

Manche tun sich dabei leichter, manche schwerer. Aber kann man Durchhaltevermögen eigentlich lernen?  Welche Eigenschaften helfen uns durch eine Krise zu kommen und wie kann man andere dazu motivieren, nicht aufzugeben, nicht nachzulassen?
Ein Gespräch mit Brigitte Ettl, Psychotherapeutin und Coach.

Anfang Dezember konnte man auf orf.at einen interessanten Artikel finden: „,Höhlenkompetenz‘ hilft in der Pandemie“ war der Titel und es ging dabei – kurz zusammengefasst – darum, dass nicht alle in gleicher Weise unter den Beschränkungen und Einschränkungen des öffentlichen und persönlichen Lebens während der Pandemie leiden.

Wie gut man damit umgehen könne, liege, laut Kommunikationsforscher Jürgen Grimm von der Universität Wien, auch an der sogenannten „Höhlenkompetenz“. Sie habe schon unseren Vorfahren geholfen, Krisen zu überwinden. Und sie könne auch uns jetzt helfen.

Vereinfacht gesagt steuert nämlich genau diese „Höhlenkompetenz“ ob wir den Ort – an den wir uns zurück ziehen müssen oder sollen – als Schutzraum und Rückzugsort sehen oder ob wir ihn als einengend und einschränkend erleben. Wer eine gute Höhlenkompetenz habe, der habe außerdem seine Ängste und Aggressionen besser im Griff als andere und finde sich überall ausreichend Beschäftigung, um Langeweile und Leere entgegen zu wirken.

Brauchen wir alles also mehr „Höhlenkompetenz“, um durch die – aller Voraussicht nach - letzten Monate der Corona-Pandemie zu kommen, um durchhalten zu können?

„Durchhaltevermögen braucht einen guten Mix verschiedener Eigenschaften“, sagt dazu Brigitte Ettl, Psychotherapeutin und Coach im Gespräch mit dem SONNTAG. „Zum einen Disziplin, also die Fähigkeit, die eigenen Gefühle zu beherrschen, Chef oder Chefin im eigenen Leben zu sein. Zum anderen aber auch Konzentration – der Blick auf das Wesentliche darf nicht verführerischen Ablenkungen zum Opfer fallen.“

Da wir aber alle nicht perfekt sind, dürfen wir auch „liebevoll mit uns umgehen, wenn wir bei einer Zwischenetappe stolpern“, wie Brigitte Ettl sagt: „Wir brauchen, wenn es darum geht durchzuhalten, nämlich neben Disziplin und Konzentration auch eine große Portion Fehler- und Frustrationstoleranz.“ Und last but not least brauche es auch eine gewisse Reflexionsbereitschaft: „Wenn ich mir Gedanken über das Warum, über den tieferen Sinn dieses mühevollen Weges mache, werde ich auch das Wie leichter ertragen.“

Manche tun sich leichter
Klar ist – und das zeigt nicht nur die momentane Situation – dass sich manche Menschen leichter tun durch zu halten als andere. Aber warum ist das so und was kann uns jetzt helfen?

„Hilfreich sind in so herausfordernden Situationen natürlich Vorbilder“, sagt Brigitte Ettl: „Das können berühmte Menschen sein, deren Biografien uns berühren: Für mich ist es unter anderem Viktor Frankl, der auch in den schwierigen Tagen im Konzentrationslager die Hoffnung nicht aufgegeben hat. Das können aber auch Familienangehörige und Freunde sein, die einen Meisterschaft im ,Hürdenlauf des Lebens‘ entwickelt haben.“

Hilfreich könnte außerdem sein, sich das Ziel in bunten Farben auszumalen. „Für welche künftigen Erlebnisse lohnt es sich, die gegenwärtige Durststrecke zu akzeptieren? Vielleicht lässt sich der Weg zu diesem Ziel auch in kleine Zwischenetappen aufteilen. Gerade jetzt – zumindest zum Zeitpunkt des Interviews – sind ja einige Lockerungen gemacht worden: Wir dürfen uns zumindest im kleinen Kreis wieder mit Familienmitgliedern und Freundinnen und Freunden treffen, wir können Kunst und Kultur in Museen genießen und uns bei einem Friseurbesuch verwöhnen lassen.“

Und natürlich lohne es sich auch ein Blick in die Schatzkiste unserer Erfahrungen zu machen und uns dabei zu fragen was uns früher schon geholfen hat, eine lange Wegstrecke durchzuhalten?

„Vielleicht ist es der abendliche Blick auf Gelungenes, für das wir uns selber loben können. Damit steigert sich unser Selbstwert – und fast automatisch auch das Durchhaltevermögen“, sagt Brigitte Ettl.“

Besser in der Gruppe
Vielen falle auch das Durchhalten in Gruppen zudem leichter als alleine. Dass das so ist, würden auch etwa die großen Erfolge diverser Selbsthilfegruppen zeigen: beim Abnehmen, beim Lernen für eine größere Prüfung, beim Bewältigen einer Krankheit. „In dieser Gemeinschaft erleben wir, dass es auch für andere Menschen nicht leicht ist, diesen Weg zu gehen – das stärkt die Toleranz für den Umgang mit den eigenen Schwächen“, sagt Brigitte Ettl.

Hinzu käme bei solchen Selbsthilfegruppen, dass die anderen Gruppenmitglieder eventuell vielleicht Stärken bei mir erkennen, die ich bislang noch nicht wahrgenommen habe. „Und es motiviert natürlich, öffentlich kundgemachte Ziele zu erreichen – denn das Scheitern würde dann ja auch in der Gruppe gesehen – und diese Schamgefühle möchten wir tunlichst vermeiden. Zudem gibt es in einer Gruppe praktische Tipps und Hilfestellungen, die den Weg erleichtern.“

Pläne zu schmieden motiviert
Und wie motiviert man andere durch zu halten? Vor allem etwa auch jene, die einem tatsächlich das Gefühl vermitteln, nicht mehr zu können, denen es augenscheinlich besonders schwerfällt durchzuhalten? Singles etwa, Kinder und Jugendliche, die die Normalität vermissen, ältere Menschen, die sich durch das alles geradezu betrogen fühlen?

„Zum einen braucht es Mitgefühl und Verständnis für die Mühe der gegenwärtigen Durststrecke, ein Bagatellisieren wäre wenig hilfreich“, betont Brigitte Ettl: „Unterstützung bei der Ausgestaltung der Zielbilder helfen: Wir planen gemeinsam künftige Feste, Ausflüge und Aktivitäten, die jetzt noch nicht möglich sind. Bis dahin helfen wir aber durch die Definition kleiner Zwischenziele - vergleichbar mit dem Adventkalender, der uns das Warten auf die Weihnachtsfreude scheinbar verkürzt.“

Schicksalshafte Ereignisse wie diese Pandemie gäbe es nun einmal im Leben. „Ich kann die nicht ändern – aber ich kann immer noch bestimmen wie ich darüber denke, welche Haltung ich einnehme. Mit Trotzmacht kann ich auch meine Gefühle steuern und mich bewusst – nach Würdigung meines Schmerzes – auch der Habenseite meiner aktuellen Lebensbilanz zuwenden.“

Wir werden die Ziellinie überschreiten
Damit wir gut durch die Pandemie kommen und uns ihren Herausforderungen stellen können, brauche es neben dem Durchhaltevermögen aber noch andere Eigenschaften. Eigenschaften, die uns ganz generell helfen, Krisen jeglicher Art zu meistern und schwierige Situationen zu bestehen.

„Im Grunde ist das ein bunter Cocktail aus verschiedensten Eigenschaften“, sagt Brigitte Ettl: „Aus Humor, mit dem ich meine eigenen Hoppalas immer wieder mit einem Augenzwinkern kommentieren kann. Aus Optimismus, der mir hilft, das Glas halbvoll zu sehen. Aus Mut, immer wieder Neues zu versuchen – ganz nach der Devise von Pippi Langstrumpf ,Das habe ich noch nie gemacht – das kann ich sicher“. Aus Vertrauen in meine eigenen Fähigkeiten, in die Kompetenz anderer Menschen, vielleicht auch in eine höhere Instanz. Und nicht zuletzt aus Zuversicht, dass ich die Ziellinie auch diesmal überschreiten werde.“

Wenn ich mir Gedanken über das Warum, über den tieferen Sinn dieses mühevollen Weges mache, werde ich auch das Wie leichter ertragen. (Brigitte Ettl) | Foto: iStco/deimagine
Schicksalshafte Ereignisse wie diese Pandemie gäbe es nun einmal im Leben. „Ich kann die nicht ändern – aber ich kann immer noch bestimmen wie ich darüber denke, welche Haltung ich einnehme. | Foto: iStock/FilippoBacci
Autor:

Andrea Harringer aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG

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