Verleihung des "Kurt Schubert Gedächtnispreis für interreligiöse Verständigung" an Eva Grabherr
Wenn ein Museum zum „Subjekt“ wird

Petrus Bsteh, Leiter des „Forum für Weltreligionen“ (Wien) überreichte Eva Grabherr den Kurt Schubert Gedächtnispreis.  | Foto: Forum für Weltreligionen
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  • Petrus Bsteh, Leiter des „Forum für Weltreligionen“ (Wien) überreichte Eva Grabherr den Kurt Schubert Gedächtnispreis.
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Am Montag dieser Woche wurde in Hohenems der Kurt Schubert Gedächtnispreis für interreligiöse Verständigung an die Vorarlberger Historikerin und Judaistin Dr. Eva Grabherr verliehen. Die Preisverleihung erfolgte im Rahmen einer Festakademie in Hohenems, bei der der Islamwissenschaftler Mouhanad Khorchide den Hauptvortrag hielt.

Dietmar Steinmair

Das Preiskomitee würdigte mit dem Preis Grabherrs Verdienste um das Jüdische Museums in Hohenems, deren erste Direktorin sie war, sowie für ihr Engagement im Bereich von Migration und Integration. Im Stiftungskomitee sind das Forum für Weltreligionen, das Stift Klosterneuburg, der Ökumenische Rat der Kirchen in Österreich, das Forum Zeit und Glaube des Katholischen Akademiker/innen-Verbandes sowie der Koordinierungsausschuss für christlich-jüdische Zusammenarbeit vertreten.
Die diesjährige Verleihung, die wegen der Preisträgerin in Vorarlberg stattfand, ging im Hohenemser Salomon Sulzer Saal über die Bühne und stand unter dem Ehrenschutz von Bischof Benno Elbs und Landeshauptmann Markus Wallner. Für den noch in Kärnten weilenden Bischof überbrachte Generalvikar Hubert Lenz, für Wallner die Landesstatthalterin Barbara Schöbi-Fink die Grußworte. Lenz hatte selbst bei Kurt Schubert, damals Gastvorlesender in Innsbruck und nun Namensgeber des Preises, eine seiner ersten Prüfungen abgelegt und betonte Grabherrs großartige Leistungen im Miteinander der Religionen. Schöbi-Fink nannte neben dem Aufbau des Jüdischen Museums vor allem Grabherrs Arbeit im Rahmen der Projektstelle „okay.zusammen leben“ und ihre maßgebliche Beteiligung am Vorarlberger Integrationsleitbild, an der Errichtung des muslimischen Friedhofs in Altach, am jährlich erscheinenden Interkulturellen Kalender und an der Früh-Sprachförderung.

Tradition und Moderne
Während der aktuelle Direktor des Jüdischen Museums, Hanno Loewy, einen kurzweiligen Überblick über die Geschichte und Bedeutung der Jüdischen Gemeinde Hohenems bot, erinnerte Petrus Bsteh vom Forum für Weltreligionen an Kurt Schubert. Dieser habe den „gottlosen Nationalsozialismus“ zutiefst abgelehnt und sich in seiner Arbeit als Judaist - von seinen Student/innen etwa wurde er „unser Moses“ genannt - vor allem für den Dialog mit allen Religionen eingesetzt.
Der aus Münster angereiste Islamwissenschaftler Mouhanad Khorchide sprach in seinem Festvortrag über den Islam zwischen Tradition und Moderne. Als traditionell in diesem Zusammenhang bezeichnete er das Bild vom Menschen als nicht freies, nicht selbstbestimmtes Subjekt, verbunden mit patriarchalischen Strukturen, in denen eine Frau etwa nicht Subjekt, sondern Objekt ist und in denen Pluralität keinen Platz hat. In der Moderne hingegen erscheine der Mensch als Selbstzweck, die Gesellschaft orientiere sich an den Menschenrechten und an demokratischen Grundwerten.
Kann der Islam nun mit der Moderne in Einklang gebracht werden? Das hänge davon ab, wie der Islam als Offenbarungsreligion verstanden werde, sagte Khorchide in Hohenems. Wenn der Koran als wortwörtliche Offenbarung und völlig unabhängig vom Menschen interpretiert werde, dann sei Religion hier ein Monolog. Ohne Einordnung in den historischen Kontext sei der Koran das ewige Wort für die Ewigkeit. Die wortwörtliche Interpretation des Korans sei aber mit den Regeln und Werten in demokratisch verfassten Gesellschaften nicht kompatibel.

Dialog statt Monolog
Erwartungsgemäß plädierte Khorchide für ein anderes, nämlich dialogisches Verständnis von Offenbarung. Gott trat mit der Offenbarung an Mohammed in die Geschichte des 7. Jahrhunderts ein, und zwar kommunikativ, situativ und kontextbezogen. Eine dialogische Lesart des Korans lasse auch eine Bewegung zu im Sinne der zunehmenden Subjektwerdung des Menschen. Als Beispiel nannte er die von Mohammed festgehaltene Regel, dass Mädchen mindestens die Hälfte des Erbes erhalten sollten, das Söhnen zustehe. Damals sei das ein revolutionärer Fortschritt gewesen, für den Mohammed kritisiert wurde. Man müsse nämlich sehen, dass vorher Mädchen überhaupt nichts erhalten hätten.
Im Blick auf eine aktuelle Studie über muslimische Jugendliche in Wien stellte Khorchide dar, dass vor kurzer Zeit Zugewanderte, etwa aus Afghanistan oder Syrien, sich mit den westlichen Werten deutlich schwerer täten als etwa Nachkommen von Muslimen aus Bosnien oder der Türkei, die schon länger in Österreich wohnen. Die Aneignung von Werten sei ein Prozess, d.h. dass Jugendliche diese Werte selbst und in der Praxis erfahren müssten. Solche Erfahrungsräume, verbunden mit Anerkennung und entsprechenden Identifikationsfiguren, seien der Lösungsschlüssel in Integrationsfragen. Eine, die gerade solche Erfahrungsräume fördere, sei Eva Grabherr.
Dem schloss sich auch die Kuratorin und Forscherin Felicitas Heimann-Jelinek an, die in ihrer Laudatio vor allem Grabherrs Arbeit als Direktorin des Jüdischen Museums hervorhob. Darin sei die Preisträgerin nicht in die ökonomischen und ideologischen Fallen getappt, die sich mit den zahllosen Gründungen jüdischer Museen in aller Welt im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts ergeben hätten und die für manche Gesellschaften dennoch bloß Schönheitsoperationen geblieben seien. Grabherrs Verdienst sei es vor allem gewesen, das „Sujet des Museums“ zum kommunikativen „Subjekt“ werden zu lassen.

Der Kurt Schubert Gedächtnispreis
Kurt Schubert (1923-2007) gilt als Doyen der österreichischen Judaistik. Als engagierter Christ und Gegner des Nationalsozialismus war er der Begründer des Instituts für Judaistik in Wien sowie maßgeblich am Wiederaufbau der Universität Wien nach 1945 beteiligt. Der Kurt Schubert Gedächtnispreis für interreligiöse Verständigung wird seit 2010 sowohl für wissenschaftliche Leistungen als auch für gesellschaftspolitisches und interreligiöses Engagement verliehen. Der Preis wurde vom Forum für Weltreligionen initiiert und soll das Erbe Kurt Schuberts weitertragen und für den Dialog fruchtbar machen sowie die Begegnung der Religionsgemeinschaften fördern. Bisherige Preisträger waren u.a. der Holocaust-Überlebende Marko Feingold sowie der Islamwissenschaftler Zekirija Sejdini.

Dr. Eva Grabherr
Die Vorarlbergerin Eva Grabherr studierte in Innsbruck, Wien und London. In Innsbruck hörte sie u.a. Vorlesungen zur jüdischen Geschichte bei Gast-Professor Kurt Schubert am Institut für Altes Testament. In Wien studierte sie Geschichte und u.a. wiederum bei Kurt Schubert am Institut für Judaistik. Nach ihrer Magisterarbeit („Die Zionsliebe der frühen Protozionisten“) absolvierte sie in London ein PhD-Studium in Jewish Studies.
Von 1990 bis 1996 war Grabherr die erste Direktorin des neu gegründeten Jüdischen Museums in Hohenems und verankerte es als wissenschaftlichen Ort der jüdischen Regionalgeschichte. Anschließend promovierte sie in London.
Ab 2001 baute Grabherr für den Vorarlberger Verein Aktion Mitarbeit die Vorarlberger Projektstelle für Zuwanderung und Integration „okay.zusammen leben“ auf, die sie bis heute leitet.

Widmung
Nach der Überreichung des Kurt Schubert Gedächtnispreises sprach Eva Grabherr in ihrer Dankesrede über die Notwendigkeit von Kritik, insbesondere von Machtkritik, und über den Umgang mit der jüdischen Kultur, der kein beliebiger sein dürfe. Und Grabherr widmete den Preis ihrer „langjährigen Kollegin, insbesondere in den herausfordernden Anfangsjahren meiner heutigen Tätigkeit, einer wichtigen und entscheidenden Partnerin im Einsatz für die Entstehung eines islamischen Friedhofs“: Elisabeth Dörler. Grabherr sagte: „Elisabeth ist im Jahr 2013 54-jährig viel zu früh an einer schweren Krankheit verstorben. Es war in meinen Augen vor allem dieser frühe Tod, der verhindert hat, dass die Batschunser Frohbotin Dr. Elisabeth Dörler mit einem Preis, wie ich ihn heute erhalte, öffentlich profiliert und die ihr gebührende Wertschätzung für ihr Wirken erfahren hat. [...]
Für mich war und ist das Zweite Vatikanische Konzil und die damit verbundene Veränderung der Haltung der Katholischen Kirche gegenüber Judentum und Islam ein historisches Verdienst. Für Elisabeth, die Funktionen in dieser Kirche übernommen hat, war das eine entscheidende Ermöglichungsbasis dafür, und das sind jetzt meine Worte, ihre großen Lieben - Christentum, Islam und den Dialog - geistig, intellektuell, sozialpraktisch und immer auch machtkritisch - Vergesst nicht, sie war eine Batschunserin! - sowohl dem eigenen wie dem anderen gegenüber zu leben. Das hat sie in großer Intensität und mit großer Wirkung für dieses Land getan.“

(aus dem Vorarlberger KirchenBlatt Nr. 6 vom 6. Februar 2020)

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