Tanz als Lebenselixir: Marie Stockhausen
Eintauchen in eine andere Welt

Für Marie Stockhausen sind Leben und Tanz untrennbar verbunden. | Foto: Rupert Larl
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  • Für Marie Stockhausen sind Leben und Tanz untrennbar verbunden.
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„Mensch, lerne tanzen, sonst wissen die Engel im Himmel nichts mit dir anzufangen!“, soll schon der Hl. Augustinus seinen Zeitgenossen geraten haben. Tanzen ist eine zutiefst menschliche Ausdrucksform, nicht nur im Fasching. Ein Gespräch mit Marie Stockhausen über das Zusammenspiel von Tanz und Musik, Ideenfindung und ihren persönlichen Weg in die Tiefe.

„Mein Leben war schon immer Tanz“, steht auf Ihrer Website. Wie kam es dazu?
Marie Stockhausen: Als Kinder haben meine Zwillingsschwester und ich überall, wo es Musik gab, getanzt. Daraufhin hat uns meine Mutter zum Tanzunterricht angemeldet. Und seitdem tanze ich! Tanzen ist mein Ventil für den Ausdruck von Emotionen. Ich kann dadurch ganz in meine Welt einzutauchen – wie in eine andere Welt.

Was lässt Sie tanzen?
Stockhausen:
Der Impuls zum Tanzen ist für mich immer da! Ich verarbeite auch laufend neue Impulse, momentan z.B. Musik von Norbert Zehm für das Tanztheater „Otto Dix“. Das Zusammenspiel von Musik mit meiner Vorstellung ist immer wieder eine ganz neue Entdeckung.

Wie entsteht daraus eine Choreographie? Vor allem, wenn es dabei um Persönlichkeiten wie Mozart, Anne Frank oder Charlie Chaplin geht?
Stockhausen:
Meist ist es so, dass eine Idee in mir „entspringt“ und ich denke: „Das mach ich.“ Ich lese mich in das Thema ein, dabei entstehen innere Bilder für Tanzszenen. Parallel beginnt die Suche nach der allerwichtigen emotional-treibenden Kraft – der Musik. Es entstehen viele Ideen, hunderte Zettelchen fliegen in meiner Wohnung herum. Daraus entsteht eine Geschichte, die mich bewegt, wobei das Seelenleben der jeweiligen historischen Persönlichkeit zum Mittelpunkt wird.

Das klingt spannend, aber auch sehr intensiv ...
Stockhausen:
Ja, diese Arbeit ist ein eigener Kosmos! Ein wunderschöner, der die ganze Seele einnimmt und mich 24 Stunden am Tag beschäftigt. Es ist sehr erschöpfend, aber positiv: im Sinne von Neuschöpfung.

Wann steht eine Choreographie wirklich fest?
Stockhausen:
Das ist ein total offener Himmel, bis zum Schluss. Es gibt immer wieder Korrekturen, auch die Musik kann sich ändern. Ich habe gelernt, meine Vorstellungen loszulassen. Denn das Endprodukt ist oft ganz anders, als ich es mir vorgestellt hatte. Erst wenn ich das ganze Stück selbst durchlebt habe, fühlt es sich für mich stimmig an.

Welche Rolle spielen Emotionen beim Tanz? Wie übertragen sie sich aufs Publikum?
Stockhausen:
Jeden Tanzschritt, den ich einübe, mache ich zu meinem Leben. Ich übe so lange, bis es kein Schritt mehr ist, sondern etwas, das ich lebe. Diese Authentizität ist der „Überspinger“ zum Publikum. Jeder Mensch drückt sich auf seine ganz eigene Weise aus. Ich folge einfach meiner Intuition, dass ich mit dem Tanz etwas sagen und die Menschen berühren kann.

Wie erleben Sie als Künstlerin die Corona-Krise?
Stockhausen:
Mein Herz blutet, dass Kunst und Kultur so zum Stillstand gekommen sind. Was uns die Kultur geben kann – Live-Erlebnisse in Theatern, Konzerten und Museen – kann nichts aufwiegen. Dass die Kultur immer an allerletzter Stelle steht, tut sehr weh. Zugleich sehe ich die viele Zeit, die Langsamkeit auch positiv. Zum Glück hatte ich für ein neues Stück eine musikalische Probe – das waren drei Stunden Aufatmen, Freude pur, wir wollten gar nicht aufhören. Einfach nur Herzklopfen, ein tanzendes Herz! Aber diese Freude und Aufregung bleiben gestaut, solange es keine Aufführungen geben kann.

Sie sind „Zugereiste“ in Tirol, wie geht es Ihnen damit?
Stockhausen:
Mein Platz ist immer dort, wo mein Herz ist. Tirol und Innsbruck sind
wunderschön, sind mein Lebensmittelpunkt. Ich hab‘ so viel geschwitzt in Tirol, mich ins Herz von Tirol getanzt – ich könnte mir gar nicht vorstellen, wegzuziehen!

Hat Tanzen für Sie auch eine spirituelle Bedeutung?
Stockhausen:
Wir versuchen oft, Körper, Seele und Geist zu trennen. Für mich kann der Tanz diese Verbindung wieder herstellen. Er ist Ausdruck von Ganzheit. Tanz kann auch Meditation sein, Freude, Erfüllung, Glück. Für mich hat sich so, obwohl ich in der DDR atheistisch aufgewachsen bin, ein Weg in die Tiefe aufgetan, für den ich sehr dankbar bin. Ich meditiere sehr gern. Ich besuche auch gern Kirchen, genieße ihre Stille und Größe.

Was wäre das Leben ohne Tanz?
Stockhausen:
Das ist für mich gar nicht vorstellbar. Mein Tanz ist mein Leben und umgekehrt. Egal was ich tue, der Tanz kommt immer wieder zu mir. Ich glaube auch, dass jeder tanzen kann, weil dieser Impuls von Natur aus in jedem Menschen liegt. «

Zur Person:
Marie Stockhausen wurde in Berlin geboren und war Kinderfernsehstar in der DDR. Nach dem Besuch der Staatlichen Ballettschule Berlin war sie an verschiedenen Theatern engagiert, von 2006 bis 2018 als Solistin am Tiroler Landestheater. Als Tänzerin und Choreographin sorgte sie für stets ausverkaufte Produktionen. 2016 gewann sie den Österreichischen Musiktheaterpreis in der Kategorie „Beste Ballettproduktion“

Für Marie Stockhausen sind Leben und Tanz untrennbar verbunden. | Foto: Rupert Larl
Die vielseitige Choreographin wurde für ihre Werke mehrfach mit Preisen ausgezeichnet.  | Foto: Wolfgang Lackner / innfoto.at
Autor:

Lydia Kaltenhauser aus Tirol | TIROLER Sonntag

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