Schlusspunkt von Józef Niewiadomski
Epidemie der Angst

Gerade, weil wir eine derartige Bedrohung noch nicht erlebt haben, ist es nicht schlecht, sich an die klassische Kurzgeschichte aus ähnlich anmutenden Zeiten zu erinnern. Die Pest rast auf ihrem Gaul durch die Wüste und überholt eine Karawane. „Wohin des Weges, und dazu noch so schnell?“, fragt der Karawanenführer. „In die Großstadt. Dort werde ich tausend Menschen töten.“ Nachdem ein paar Monate vergangen sind, trifft die Pest. dieselbe Karawane auf dem Rückweg wieder. Vorwurfsvoll schreit ihr der Anführer nach: „Wolltest doch nur tausend dahinraffen. Faktisch sind es fünfzigtausend geworden!“ Die Pest hält an: „Ich nahm ja tausend. Es war die Angst, an der die Übrigen starben.“
Die Epidemie der Angst kann schlimmere Folgen haben als die des Virus. Die Maßnahmen zur Eindämmung der Epidemie entspringen dem gesunden Menschenverstand. Insofern sind sie zu befolgen und die Politiker sind zu loben. Beten wir aber auch darum, dass mit der Zeit nicht die Panik die Oberhand gewinnt. Sorgen wir dafür, dass uns das Gottvertrauen nicht verlorengeht. Beides gehört nämlich zur Bewältigung radikaler Krisen: Glaube und Vernunft! Übrigens: die Christen glauben doch, sie können nicht tiefer fallen als in die Hand Gottes. Deswegen: gläubige Gelassenheit. Gerade in der Krise!

Autor: Józef Niewiadomski, Univ.-Prof. an der theologischen Fakultät Innsbruck.

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TIROLER Sonntag Redaktion aus Tirol | TIROLER Sonntag

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