76 Jahre nach dem Abwurf der Atombomben
Der Anfang einer atomwaffenfreien Welt

Papst Franziskus mit Vertretern des „Netzwerkes für eine atomwaffenfreie Welt“ (ICAN), sitzend die HIroshima-Überlebende Setsuko Thurlow.  | Foto: Maria Laura Antonelli / AGF / picturedesk.com
  • Papst Franziskus mit Vertretern des „Netzwerkes für eine atomwaffenfreie Welt“ (ICAN), sitzend die HIroshima-Überlebende Setsuko Thurlow.
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Am 22. Jänner 2021 tritt der UN-Atomwaffenverbotsvertag (AVV) in Kraft. Er wird bindendes, universelles Völkerrecht. 76 Jahre nach dem  verbrecherischen Einsatz von „Little Boy“ (Hiroshima) und „Fat Man“ (Nagasaki) am 6. bzw. 9. August 1945 und im 75. Jahr der Vereinten Nationen (UN), ist mit dem AVV ein historischer Meilenstein gesetzt. Die Möglichkeit einer von Atomwaffen befreiten Welt hat an Wirklichkeit gewonnen und einen entscheidenden Schritt nach vorne gemacht.

Der Atomwaffenverbotsvertrag (AVV) ist ein schönes Geburtstagsgeschenk für die Vereinten Nationen. Der Schweizer Präsident des „Internationalen Komitee vom Roten Kreuz“ (IKRK) Peter Maurer spricht von einem „Sieg für die Menschheit“. Das klingt auch gut, denn Siege wollen errungen sein, sie fallen einem nicht in den Schoß. Der UN-Generalsekretär Antonio Guterres sieht darin „eine Hommage an die Überlebenden von nuklearen Explosionen und Tests (...), von denen viele für diesen Vertrag eintraten“.
Sind nicht wir vielleicht auch „Überlebende“, wenn nicht gar Opfer des atomaren Irrsinns? Auch wenn wir nicht in der der Wüste Nevada (USA), auf Mururoa (Polynesien), in Semipalatinsk oder Lop-Nor (China) leben, teilen wir wohl oder übel die Strahlenbelastung, das Krebsrisiko!
Und wer sind jene, die für den AVV eingetreten sind? Wie auch immer: Das Inkrafttreten des AVV ist „der Höhepunkt einer weltweiten Bewegung, (...) ein bedeutendes Bekenntnis zur vollständigen Beseitigung von Atomwaffen“, meint Papst Franziskus. Übrigens eine Forderung, die er nicht müde wird zu wiederholen.
Und man muss nicht katholisch sein um ihre Wirklichkeit und einleuchtende Wahrheit zu erkennen: „Das gemeinsame Schicksal der Menschheit erfordert eine Welt ohne Atomwaffen.“
Ein Erfolg Österreichs. Die Entfernung der Atomwaffen aus den nationalen Beständen wurden von der UNO bereits 1946 verlangt. Atomwaffen waren bis dato die einzigen Massenvernichtungswaffen, die keinem umfassenden Verbot unterlagen. Die Anfänge des AVV liegen im Jahr 2010. Die Diplomatie und Außenpolitik des neutralen Österreichs, waren von Anfang an engagiert und führend im Projekt AVV. Die „österreichische Unterstützung war enorm“ erzählt der Politologe Thomas Roithner nicht ohne Respekt: „Österreichs Diplomaten ist wahrlich ein Erfolg gelungen“, als der Vertrag am 7. Juli 2017 von 122 Ländern angenommen worden ist. Am 24. Oktober 2020 hat der notwendige 50. Staat (Honduras) den AVV ratifiziert, womit dieser 90 Tage später in Kraft tritt – das ist der 22. Jänner 2021.
Der Angelpunkt für die erfolgreiche Erreichung des Zieles bestand in der Einsicht, dass „niemand mit den Folgen eines Atomkrieges – humanitär, medizinisch, wirtschaftlich oder sozial – fertig werden wird“. Atomwaffen bedeuten das perfekte Selbstauslöschungsprogramm. Weil die Menschen das ahnend erfassen, findet das Projekt einer atomwaffenfreien Welt weltweit höchste Zustimmungsraten. Diese „Brücke“ verbindet die Politik mit einer vielfältigen Friedens- und Abrüstungsbewegung, deren Wirksamkeit UN-Generalsekretär Guterres gut erkennt und respektiert. Die Hauptrolle spielt das 2007 ins Leben gerufene „globale Netzwerk für eine atomwaffenfreie Welt“ namens ICAN, das rund 600 NGOs versammelt. Hand in Hand mit Politik und Diplomatie auf dem Weg und den Methoden der Gewaltfreiheit verpflichtet, konnte ICAN der Friedensbewegung ein Gesicht und einen Namen gegeben. Autonom aktiv, über weltanschauliche Grenzen hinweg und auf vielene Ebenen in strategischer Klarheit für die Abschaffung atomarer Waffen agierend, wurde ihr 2017 der Friedensnobelpreis verliehen.

Erst der Anfang. „Das ist der Anfang“ sagen die ICAN-Leute, für sie ist der Tag des Inkrafttretens des AVV der Auftakt für die Weiterführung des Projektes. Ein guter Standpunkt, weil realistisch: Denn die neun Atommächte – USA, Russland, China, Frankreich, Grossbritannien, Pakistan, Indien, Israel und Nordkorea – weigern sich, ihre Arsenale zu verschrotten; ihre Verbündeten haben ebensowenig unterzeichnet wie die NATO-Mitglieder unter den EU-Staaten. Auf deren atomaren Schutz wollte auch die neutrale Schweiz nicht verzichten. Die Gegner des AVV sind stark geblieben. Aufrüstung, auch atomare, ist angesagt.
Woher also kommt das Vertrauen in die Zukunft, die Energie zum neuerlichen Antreten, zum Weitermachen?
Die Quelle ihres Vertrauens ist weniger der Etappensieg, ihre Kraft schöpfen sie vielmehr aus der Dynamik seines Werdens: „Weil wir fast 600 Partnerorganisationen in über 100 Ländern haben, die diesen Vertrag mit seinen Regeln gegen die Atomwaffen vorantreiben“. Der Ruf: „Ächtet Atomwaffen“ hat durch die Kraft der gelungenen Übereinkunft eine neue Qualität gewonnen: Atomare Massenvernichtungswaffen sind verboten. Und ein völkerrechtlicher Vertrag ist mehr als ein Symbol. Ein Symbol, das mit der Zeit Wirkung entfaltet und das Denkweisen und Verhaltensmuster verändern kann. Der AVV ermöglicht ein demokratisches Forum für Abrüstung (Art. 8) mit regelmäßigen Zusammenkünften und einem unschätzbaren Gewinnpotential an Öffentlichkeit für eine atomwaffenfreie Welt.

Und die Kirche? Die Kirche hat den AVV von Anfang an nachdrücklich unterstützt: „Wir dürfen niemals müde werden daran zu arbeiten, die wichtigsten internationalen Rechtsinstrumente der nuklearen Abrüstung (...) zu unterstützen“, so Papst Franziskus.
Übrigens gibt es viele inspirierende Beispiele für – bei weitem nicht nur katholische – Friedensstifter/innen: Dorothy Day, Thomas Merton, die Kings-Bay Plougshares 7 (sieh Randspalte) oder auch aus unserer Gegend: Franz Sieder, die Jesuten P. Herwig Büchele und P. Raymund Schwager sowie viele Unbekannte, die Gott allein kennt. Alles in allem gäbe es gute Gründe, am 22. Jänner für ein paar Minuten wenigstens zu läuten, was das Zeug hält! «

Autor:

TIROLER Sonntag Redaktion aus Tirol | TIROLER Sonntag

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