Neue Expertin für Psychologie
Die Stärke, nach Hilfe zu fragen

Die Innsbrucker Psychotherapeutin Carmen Rella gehört zum neuen ExpertInnen Team der Rubrik "Bewusst Leben" im Tiroler Sonntag. | Foto: Kaltenhauser
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Die Psychotherapeutin Carmen Rella könnte momentan nonstopp arbeiten. Warum sie deshalb besonders auf Auszeiten und die eigenen Grenzen achtet und was wir alle für unsere psychische Gesundheit tun können, erklärt sie im Interview mit dem Tiroler Sonntag.

Psychische Erkankungen betreffen viele, sind aber noch immer stigmatisiert. Warum?
Carmen Rella: Das stimmt. Momentan geht vielen die Luft aus, Psychotherapie ist sehr gefragt. Angststörungen, Depressionen und Essstörungen haben gerade bei Kindern und Jugendlichen stark zugenommen. Ich merke aber auch, dass Corona ein Umdenken bewirkt, was psychische Gesundheit angeht. Das Thema ist stärker präsent. Die junge Generation geht schon viel offener damit um.

Was gibt den Anstoß dazu, dass Menschen sich Hilfe in Form einer Psychotherapie suchen?
Rella: Die einen haben recht früh das Gefühl, dass mit ihnen „etwas nicht stimmt“ und holen sich rasch Hilfe. Andere werden erst auf sich selbst aufmerksam, wenn der Körper deutliche Signale sendet, z.B. in Form von Panikattacken, Schmerzen oder Schlafstörungen.

Was hindert daran, sich Hilfe zu holen?
Rella: Oft gilt es als Zeichen von Schwäche, aktiv nach Hilfe zu fragen. Dahinter steckt die Einstellung „eigentlich sollte ich es allein schaffen“. In der Therapie ist diese angebliche „Schwäche“ am Anfrang oft Thema – und weicht der Erkenntnis, dass es in Wirklichkeit ein Zeichen von Stärke ist, sich auf Hilfe einzulassen, wenn es einem nicht gut geht.

Wie hilft Psychotherapie?
Rella: Einsamen Menschen hilft es schon, über ihre Probleme zu reden. Es verändet Menschen, wenn sie wahrgenommen und gesehen werden, wenn ihnen jemand mit ungeteilter Aufmerksamkeit zuhört. Sie lernen, die eigenen Gefühle zu sehen und sich zu fragen, was zu kurz kommt. In meinem Ansatz (Kathatym Imaginative Psychotherapie) versucht man, Zusammenhänge zu erkennen: vergleichbar mit einem Garten, der nicht gut wächst und der umgegraben werden muss. Das Anschauen von unverarbeiteten Erfahrungen hilft, das eigene Verhalten besser zu verstehen und andere Reaktionen zu erarbeiten. Ich arbeite zudem mit Phantasiereisen und Imaginationen.

Sie beschreiben Ihre Arbeit auf der (Kinder-)Krebsstation als Wendepunkt in Ihrem Leben. Was ist da mit Ihnen passiert?
Rella: Für mich war es die erste intensive Begegnung mit Tod und Sterben. Jetzt, wo ich selbst Mutter bin, weiß ich gar nicht, ob ich das noch einmal schaffen würde. Auszuhalten, dass es keine Erklärung gibt, wenn z.B. ein Säugling an Krebs stirbt, war sehr schwer. Zugleich war aber ein enormer Zusammenhalt im Team spürbar. Prägend war die Erfahrung, dass es nicht die eine Wahrheit gibt, wie man mit allem umgeht. Ich habe aus dieser Zeit mitgenommen, jeden Tag bewusst zu leben, in dem Bewusstsein, dass Arbeit nicht alles ist, und gut auf die eigenen Grenzen zu achten. Das ist mir sehr wichtig.

Wie ist es für Sie, diesen Entwicklungsweg mit Ihren Klient/innen mitzugehen?
Rella: Das ist sehr schön. Die Beziehung zwischen Therapeut/in und Klient/in ist entscheidend, viel wichtiger als die Therapierichtung. Mitzuerleben, wie sich mit der Zeit der Blick eines Menschen, dem es schlecht gegangen ist, wieder öffnet, ist immer etwas Besonderes.

Was können erste Schritte sein, besser auf die eigene psychische Gesundheit zu achten?
Rella: Einerseits empfehle ich, sich einen inneren Ort des Wohlbefindens und der Erholung zu schaffen, der alle Sinne anspricht, z.B. mit Erinnerung an schöne Situationen, Musik oder Meditation. Hilfreich ist auch Bewegung und viel Zeit in der Natur. Andererseits ist es wichtig, sich im Austausch mit anderen zu öffnen und über die eigenen Gefühle zu sprechen. Oft öffnet sich dann auch das Gegenüber. Überlastung und Stress zu vermeiden, Achtsamkeit zu pflegen, die eigenen Grenzen zu achten und Fehler als menschlich anzusehen, tut der Seele gut. 

Zur Person: Mag. Carmen Rella stammt aus Südtirol und studierte in Wien Psychologie. Im Anschluss an die Ausbildung zur klinischen und Gesundheitspsychologin absolvierte sie die fünfjährige Ausbildung zur Psychotherapeutin, Fachrichtung Kathatym Imaginatives Bilderleben. Hier wird u.a. tiefenpsychologisch mit inneren Bildern und Phantasiereisen gearbeitet. In ihrer Innsbrucker Praxis arbeitet sie mit Kindern und Jugendlichen, Erwachsenen und Paaren.

Ab dieser Woche ist Carmen Rella eine der Autor/innen der neuen Reihe „Gut zu wissen“ auf den Bewusst-Leben-Seiten. Mehrmals im Jahr wird sie praxisnah über aktuelle Themen der psychischen Gesundheit informieren.

Autor:

Lydia Kaltenhauser aus Tirol | TIROLER Sonntag

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