Mutworte

Beiträge zum Thema Mutworte

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Mutworte - Ruth Zenkert
Glückskleeblatt

Miruna wollte nicht in die Schule gehen. Sie hatte Angst vor den anderen Kindern und schämte sich, weil sie im Unterricht nicht mitkam. Ihr Vater Cosmin arbeitet bei uns im Garten. Eines Tages berichtete er von seinen Sorgen mit dem Mädchen und gestand, dass keines der vier Kinder die Schule besuche. Am Abend begleitete ich ihn nach Hause. Ich lud die Kinder ein, in unser Sozialzentrum zu kommen. Wir spielten und musizierten. Seither kamen alle fast täglich. Auch Miruna, aber sie sagte kein...

  • 28.02.24
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Mutworte - Ruth Zenkert
Der Hundebiss

Wir wanderten an den Schafherden vorbei, als plötzlich Gruia, einer der großen, zotteligen Hirtenhunde, auf mich zulief und mich in die Wade biss. Zuerst kam der Schock, dann spürte ich den Schmerz. Im Krankenhaus wurde meine tiefe Wunde genäht. Lang ging ich nicht mehr auf diesem Weg. Die Welt wurde enger für mich. Da ermutigten mich die anderen, ich solle mich mit dem Hund versöhnen, sonst bliebe lebenslang die Angst. So machten wir uns auf, mit einer Wurst in der Tasche und Zittern im...

  • 24.01.24
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Mutworte - Ruth Zenkert
Leben gerettet

Haarscharf war Paul schon öfter an Katastrophen vorbeigeschlittert. Als Jugendlicher wollte er unbedingt heraus aus den engen Grenzen des Elternhauses. Mit Freunden wurde viel getrunken, Drogen probiert. Gerade noch schaffte er den Schulabschluss. Seine Eltern waren verzweifelt und fanden nur einen Ausweg: Er sollte einmal sehen, wie schwer andere Kinder es haben. Sie schickten ihn als Volontär zu uns nach Rumänien. Der Anfang war nicht leicht, Paul war kein wirklich freiwilliger Helfer. Doch...

  • 03.01.24
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Mutworte - Ruth Zenkert
Die Berge suchen

Abram und Lot vereinbarten, ihre Herden in verschiedenen Gegenden zu weiden. Abram ließ seinem Neffen die Wahl. Der junge Lot blickte nach Osten und sah die Jordansenke mit dem heißen, feuchten Klima. Im Westen ragten raue Hügel empor. Wer hätte nicht wie Lot die ertragreiche Senke gewählt? Abram blieb die karge Berglandschaft. Was Lot bei seiner Wahl nicht geahnt hatte, waren die Gefahren des Reichtums. Nicht alle Jugendlichen können wie Lot wählen. Und doch ist der Wohlstand unserer...

  • 20.09.23
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Mutworte - Ruth Zenkert
Und der Hund ging mit

Es war Sommer. Wir planten, in die Berge zu gehen, zum Balea-See in den Karpaten. Von dort aus wollten wir wandern, auf einer nicht zu gefährlichen Strecke, die auch Kinder bewältigen konnten. Wir packten die Rucksäcke. Am Vortag hatte es noch Streit gegeben, ob der Hund Simsalabim mitkommen solle. Für ihn sind die Berge ein Traum, aber ein Mädchen sträubte sich. Andere wiederum weigerten sich, die Wanderung ohne ihn zu machen. Am Schluss entschied der Hund selbst und sprang ins Auto. Am Morgen...

  • 23.08.23
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Mutworte - Ruth Zenkert
Dem Himmel nah

Ich fahre am „Rehwäldle“ vorbei, spüre den Geschmack von Steinpilzen am Gaumen. In diesem Wäldchen gingen wir mit unseren Eltern spazieren, dort sahen wir Rehe, und so kam es zu seinem Namen. Wir sammelten Pilze, die Mama dann zubereitete. Es war köstlich. Heute komme ich von weit her, nach Stunden auf der Autobahn nähere ich mich dem Ort, wo ich aufgewachsen bin. Da ist die Grundschule mit dem Pausenhof. Wie aufgeregt war ich vor 55 Jahren am ersten Schultag. Dann die Kirche. Der Platz davor...

  • 12.07.23
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Mutworte - Ruth Zenkert
Haben Plagen Sinn?

Unter dem Altar lag Ionuz und schnarchte laut. Ein kleiner, zarter Bub, barfuß, alles an ihm strotzte vor Dreck. Er war völlig übermüdet, weil er die ganze Nacht mit den Großen unterwegs gewesen war. Die Mutter scherte sich nicht darum, der Vater ist schon lange über alle Berge. Wir nahmen den Buben auf. Er wollte nicht lernen, oft bog er auf dem Weg zur Schule vorher ab, in die Felder, zu den Pferden, in die Freiheit. Es blieb ein Kommen und Gehen. Jetzt ist er vierzehn Jahre alt und steht vor...

  • 07.06.23
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Mutworte - Ruth Zenkert
Selbst die Schnecken

Mit den Schnecken hat alles angefangen. Wenn im Frühjahr der Regen kommt, rücken Frauen und Kinder mit Eimern aus in die Wiesen und Wälder, um Weinbergschnecken einzusammeln. Die geben sie dann ab bei „Onkel Remus“, der sie in zwei alten Badewannen im Hof sammelt. Pro Kilo bekommen sie 50 Cent. Bald kommt der LKW in die Dörfer. Er bringt die Tiere nach Frankreich. Remus verkauft sie um das Dreifache, da er die Schnecken schließlich beherbergen und den Ausreißern nachjagen muss. Da bei ihm viele...

  • 26.04.23
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Mutworte - Ruth Zenkert
Ich bin es auch!

Ein kleines Mädchen mit zerzausten Haaren läuft durchs Haus, reißt alle Türen auf und schlägt sie hinter sich zu. So mustert Ana alle Zimmer. Sie geht zurück, zeigt auf eine Türe und bestimmt: „Hier werde ich wohnen.“ Es ist der Tag, an dem wir das „Kinderhaus Ilie“ eröffnen. Die Kinderschutzbehörde hat die ersten acht Kinder gebracht. Manche wurden von der Straße aufgelesen, andere mussten von ihrer Familie weggenommen werden. Im neuen Kinderhaus sollen die Kinder wieder lachen können. Die...

  • 08.02.23
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Mutworte - Ruth Zenkert
Uns anvertraut

„Ich bin Volontär für die Flüchtlinge“, erklärt mir Moise voller Stolz am Bahnhof in Bukarest. Hier haben wir ihn vor dreißig Jahren aufgelesen – als Straßenkind. Jetzt hilft er ukrainischen Vertriebenen. Unzählige Helfer bieten Essen, Kleidung, Sim-Karten zum Telefonieren, Tickets zur Weiterreise. Die Rumänen sind endlich die Gebenden, das macht sie stolz. Manche konnten nur einen Koffer mitnehmen, weil sie die gebrechlichen Eltern stützen müssen. Eine alte Frau wird in einem Einkaufswagen...

  • 04.01.23
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Mutworte - Ruth Zenkert
Fromme Hunde

Seit einiger Zeit haben wir eine neue Mitbewohnerin – Baghera, eine schwarze Katzendame mit weißem Fleck am Kragen. Ich hatte sie von der Hütte einer Roma-Familie mitgenommen, halb verhungert und krank. Doch schon bald hatte sie sich erholt und bezaubert nun nicht nur unsere Hausbewohner und Gäste, sondern auch die Kater in der Umgebung. Es dauerte nicht lange, und sie brachte uns vier kleine und verschmuste Junge, von denen eines bei uns blieb. Die Katzen freundeten sich mit Buli, unserem...

  • 25.10.22
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Mutworte - Ruth Zenkert
Saat und Ernte

„Warum nicht schon jetzt?“, fragt Bela, als wir vereinbaren, dass sie am Wochenende in unsere Gemeinschaft einziehen könne. Gut, dann eben heute. Ich kann kaum glauben, dass sie, das Problemkind, bei uns einziehen will. Alle ihre acht Schwestern hatten in ihrem Alter schon ihr erstes Kind. Die Mutter ist im Winter an Covid gestorben. Auf Bela hatte sie ihre ganze Hoffnung gesetzt. Doch Bela rebellierte. Jeden Abend kamen Burschen und holten sie mit Angeber-Autos zu zwielichtigen Partys ab....

  • 28.09.22
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Mutworte - Ruth Zenkert
Geburtstag – es ist dein Tag

In dem Durcheinander von alten Matratzen, stinkenden Kleidungsstücken und unbeschreiblich viel Abfall, der aus der alten Hütte herausgeräumt worden war, tauchten endlich die Geburtsurkunden der Kinder auf. Wir hatten sie schon lange gesucht, um die Kinder in der Schule einschreiben zu können. Paulas Mutter, die nicht lesen und schreiben kann, zuckte bloß mit den Schultern, als wir sie danach fragten. Mit Pralinen konnte die lustlose Sekretärin im Rathaus schlussendlich dazu bewogen werden,...

  • 31.08.22
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Mutworte - Ruth Zenkert
Bild der Dankbarkeit

In der kleinen Rezeption von Dereli Camping bei Ephesus in der Türkei hängen Fotos von Hunden am Strand, Festen und Sonnenuntergängen. Die Bilder umrahmen ein kleines Kunstwerk: ein Foto von P. Georg mit dem Künstler, aufgeklebt auf eine kitschige Karton-Ikone der Madonna. Mit schwarzem Stift sind dicke Tränen eingezeichnet. Bunt bemalte Muscheln umrahmen das Werk. Darunter steht: Danke. Der Hausherr freute sich so über das Geschenk, dass er es beim Eingang aufhängen ließ. Seitdem erinnert das...

  • 17.08.22
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Mutworte - Ruth Zenkert
Bogen der Hoffnung

Breitbeinig versperrt Moldoveanu den Eingang zum Bahnhofskiosk. Nein, Marius darf nicht hinein, er hat Lokalverbot. Unsere Freunde, die seit Jahrzehnten am Bahnhof leben und in keinem Kinderheim, in keiner Notschlafstelle oder sonstigen Hilfseinrichtung durchgehalten haben, sind verzweifelte Menschen am Abgrund. Sie alle haben Probleme mit Alkohol und Drogen. Anders kann man wahrscheinlich die Heimatlosigkeit, die Gewalt und die kalten Nächte nicht aushalten. Neulich hat Marius eine...

  • 06.07.22
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Mutworte - Ruth Zenkert
Sein Name ist Frieden

Mit einem kleinen Suzuki-Bus prescht der zwölfjährige Nasr über die von Palmenhainen gesäumte Sandstraße. Ganz hinten sitzt sein Vater Salama, angetan mit der Galabiya, dem traditionellen weißen Gewand, das die Berber tragen. Er lebt mit seinem Sohn Nasr, seiner verwitweten Schwester und seinem Bruder in einem Haus in Siwa, einer Oase an der Grenze zu Libyen. Sein „Haus“ – das ist eine unverputzte Mauer, Teppiche, ein paar Polster am Boden. Salama hat uns zum Essen eingeladen. Seine Schwester...

  • 24.05.22
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Mutworte - Ruth Zenkert
Freunde unter Fremden

„Elijah tanzt und singt mit ihnen, mit den vielen jungen Raben“, lautet ein Vers unserer Elijah-Hymne. Viele junge „Raben“ gehen in der Musikschule ein und aus. Nicusor sticht heraus, er ist schon etwas größer als die Anfänger. Er besucht das Gymnasium, doch er ist oft zu Hause, weil er auf seine kleinen Geschwister schauen muss. Die Mutter ist gestorben, der Vater als Taglöhner oft unterwegs. Eine Stütze sind die Freunde in der Musikschule. Mit ihnen spielt er auf Hochzeiten und Festen und hat...

  • 16.02.22
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Mutworte - Ruth Zenkert
Die bittere Frucht

Es war die letzte Chance für Andrei. Wir hatten eine Wohngemeinschaft ins Leben gerufen und wollten den zukünftigen Bewohnern ein Sprungbrett in die Eigenständigkeit mit möglichst viel Freiheit ermöglichen. Ein paar Bedingungen gab es: Schule, Studium oder Arbeit. Ein Pädagoge kam wöchentlich zu den Jugendlichen. Die jungen Leute wuchsen zusammen und wurden Freunde. Hier sollte Andrei seinen Platz finden, damit er endlich die letzte Prüfung für sein Maturazeugnis ablegte. Ich hoffte, dass die...

  • 19.01.22
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Mutworte - Ruth Zenkert
Gegen die Flut

Eine aufgebrochene Tür und Chaos empfingen Alina, die Leiterin des Sozialzentrums, als sie am Morgen aufsperren wollte. Es fehlten Lebensmittel, sonst war nichts gestohlen. Sie rief die Polizei. Wenig später kamen zwei Polizisten mit Marius, den sie an seiner zerschlissenen Jacke grob mit sich zerrten. Er ist alleinstehend, ohne Unterkunft. Wo er gerade am Abend unterwegs ist, übernachtet er. Oft kam er auch im Sozialzentrum vorbei. Alina war sauer. Sie hatte ihn immer unterstützt. Und jetzt...

  • 03.11.21
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Mutworte - Ruth Zenkert
Die Vielfalt der Vögel

Ein schwarzer Rabe sitzt auf meinem Schreibtisch und schaut mir bei der Arbeit zu. Er ist aus Holz geschnitzt von meinem Vater. Beim Vogelhaus in seinem Garten flogen viele Vögel ein und aus, meine Eltern kannten jeden einzelnen. Rotkehlchen, Meisen, Finken, Amseln, Schwalben, Tauben, freche Spatzen und die großen Elstern. Es war eine lebendige Freundschaft. Dann begann mein Vater, Vögel zu schnitzen. Einige dieser bunten Exemplare sitzen jetzt bei mir. Allen voran der Rabe, unser Vereinslogo....

  • 30.06.21
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Mutworte - Ruth Zenkert
Raum zum Überleben

Der Regen hat die Mauer aus Lehm unterspült, lange steht sie nicht mehr. Vom Wellblech-Dach tropft es auf den Boden – blanke Erde. Alles, es ist nicht viel, ist feucht. Antonica haust hier mit ihrem neunjährigen Mädchen. Maria ist das Einzige, was ihr geblieben ist. Der Mann hat sie verlassen, Verwandte und Freunde gibt es nicht. An Maria klammert sie sich fest, ihr darf nichts passieren. Sie lässt sie nicht in die Schule gehen, weil die anderen Kinder ihr etwas antun könnten. Eine Allergie...

  • 09.06.21
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Mutworte - Ruth Zenkert
Der dritte Mann

Ein beißender Geruch und Rascheln in allen Ecken waren eindeutige Anzeichen: zu viele Mäuse im Kornlager. Der junge Mann zuckte die Schultern; da könne man nichts dagegen tun. Dann wurde der Traktor kaputt, nicht richtig gewartet.Die Planung für die Feldbestellung passte nicht, zu viel Mais, zu wenig Heu. Die Hühner wurden krank und mussten schnell geschlachtet werden. Es war zu viel, was danebenging. Wir trennten uns. Der nächste Kandidat zeichnete sich durch Einsatzbereitschaft aus. Aber er...

  • 26.05.21
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Mutworte - Ruth Zenkert
Die Sprache der Liebe

Mit Sonnenaufgang weckte mich jeden Morgen um fünf Uhr das Läuten einer Kuhglocke. Eines Tages schaute ich aus dem Fenster und sah im Garten nebenan die alte Nachbarin auf und ab gehen, die Glocke in der Hand. „Ist das ein orthodoxes Morgengebet?“, fragte ich sie. „Gegen die frechen Spatzen, die mir die Samen aus der Erde picken!“, rief sie zurück. Alt und gebückt, kann sie keine großen Sprünge mehr machen, auch ihr erwachsener Sohn hat eine körperliche Beeinträchtigung – er hinkt – und kann...

  • 28.04.21
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Mutworte - Ruth Zenkert
Das Gewand des Gerechten

Lange Zeit hatte Adi ein Arbeitsgewand im Kofferraum. „Ich gebe zu, in den ersten Wochen habe ich mich im Auto umgezogen und desinfiziert. Meine Frau hatte Angst, dass ich Läuse mitbringe oder ein Floh unserem Baby Krankheiten bringt.“ Es war schwer für Adi, als er sich entschloss, an unserer Musikschule zu unterrichten. Seine Kollegen lachten, als sie hörten, er wolle „Zigeunern“ Saxophonspielen beibringen. In Sibiu, Brasov, Cluj, bis nach Bukarest suchten wir Lehrer. Das Gehalt war hoch,...

  • 14.04.21
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