33. Sonntag im Jahreskreis | 14. November 2021
Meditation

Die Welt der Suchenden

In Katastrophen-Zeiten suche ich nicht einen Gott, der wie ein zorniger Regisseur sich hinter die Bühne unserer Welt gesetzt hat, sondern ich nehme ihn als Kraftquelle wahr, die in denen wirkt, die in solchen Situationen eine solidarische und aufopfernde Liebe erweisen – ja auch in denen, die dazu keine „religiöse Motivation“ haben. Gott ist eine demütige und diskrete Liebe …

Vielleicht sollten wir das Fasten von den Gottesdiensten und vom kirchlichen Betrieb, wie in der Pandemiezeit erlebt, als einen „kairos“ annehmen, als Gelegenheit zum Innehalten und zu einem gründlichen Nachdenken vor Gott. Ich bin überzeugt, dass die Zeit gekommen ist, in der man überlegen sollte, wie man auf dem Weg der Reform weitergehen will, von deren Notwendigkeit Papst Franziskus spricht: weder Versuche der Rückkehr in eine Welt, die es nicht mehr gibt, noch ein Sich-Verlassen auf bloß äußere Reformen von Strukturen, sondern eine Wende hin zum Kern des Evangeliums, ein „Weg in die Tiefe“.

Ich sehe keine glückliche Lösung darin, dass wir uns während des Verbots öffentlicher Gottesdienste allzu schnell mit künstlichen Ersatzmitteln in Form von Fernsehübertragungen von heiligen Messen behelfen. Eine Wende hin zu einer „virtuellen Frömmigkeit“, zum „Mahl aus der Ferne“ und das Knien vor dem Bildschirm ist in der Tat eine seltsame Sache. Vielleicht sollten wir eher die Wahrheit des Wortes Jesu erleben: „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.“ …
Im vorigen Jahr waren an Ostern viele unserer Kirchen leer. An irgendeinem anderen Ort wurde das Evangelium vom leeren Grab vorgetragen. Wenn uns die Leere der Kirche an ein leeres Grab erinnern wird, sollten wir nicht die Stimme von oben überhören: „Er ist nicht hier. Er ist auferstanden. Er geht euch voraus nach Galiläa.“ Ich bin davon überzeugt, dass dieses „Galiläa von heute“, wohin man gehen soll, um den Gott zu suchen, der durch den Tod hindurchging, die Welt der Suchenden ist.

„Suchende“ gibt es sowohl unter den Gläubigen (das sind diejenigen, für die der Glaube nicht ein „ererbtes Eigentum ist, sondern eher „ein Weg“) als auch unter den „Ungläubigen“, die religiöse Vorstellungen ablehnen, die ihnen ihre Umgebung vorlegt, die jedoch trotzdem die Sehnsucht nach einer Quelle spüren, die ihren Durst nach dem Sinn stillen könnte.

Aus: Tomáš Halík, Weil Gott sich sehnt, Mensch zu sein, Benno

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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