In Zeiten der Trauer | Teil 01
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Der Priester und der Psychologe. Hermann Glettler (links) und Michael Lehofer im Gespräch (Archivbild). | Foto: Neuhold
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  • Der Priester und der Psychologe. Hermann Glettler (links) und Michael Lehofer im Gespräch (Archivbild).
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Überwältigende Trauer

Hermann Glettler, Bischof und Künstler (= HG) und
Michael Lehofer, Psychiater und Psychologe (= ML), zeichnen in ihren vielschichtigen Gesprächen einige Wegspuren aus der Verlorenheit – anspruchsvoll und nachhaltig.

HG: Trauer kann Menschen gänzlich überwältigen, manchmal sogar in die Verzweiflung treiben. Ich erinnere mich an ein Trauergespräch mit einem Vater, dessen Sohn bei einem Lawinenabgang tödlich verunglückte. Der junge Mann wollte seinen Freunden seine Kenntnisse über das Verhalten in lawinengefährdeten Zonen vermitteln und kam dabei selbst ums Leben. Ein wahnsinniger Schock für alle Beteiligten, die aus der Lawine geborgen werden konnten, und für die Familie. Unser gebrochenes Gespräch unter Tränen hatte noch nicht lange gedauert, als der Mann plötzlich aufsprang, zu meinem Bücherschrank ging und darauf mehrmals mit seiner Faust einschlug. „Dieser Wahnsinn, ich halt das nicht aus, dieser Wahnsinn!“ Mit den Schlägen und mit diesen Worten hat er seine Trauer herausgeschrien.

ML: Zum Glück hast du ihm die Freiheit für diese Äußerung seiner Trauer zugestanden. Jeder Mensch trauert auf seine Weise. Echter Trost muss zur Trauer verhelfen, ihr einen Raum bereiten und sie keinesfalls abwürgen.

HG: Ja, es ist auch meine Erfahrung, dass Trauer Zeit braucht. Sie unter einer zu schnellen Beherrschtheit oder scheinbaren Glaubensstärke zu verstecken, rächt sich früher oder später. „Ein Jahr musst du trauern, dann musst du dich wieder freuen!“ Die Pointe dieses eigenwilligen Sprichwortes ist das befremdliche Müssen. Wir wissen, dass sich weder Trauer noch Freude verordnen lassen. Und dennoch ist es eine tiefe Weisheit, dass beides sein muss – und seine Zeit braucht.
Im Jüdischen gibt es den Brauch, dass zur „Jahrzeit der Beerdigung“ zu Hause eine Kerze entzündet wird. Ähnlich sind bei uns die Gottesdienste zum Jahrtag. Wenn Trauer nicht stattfindet, legt sich ein dunkler Schleier auf die Seele …

ML: … der alles Leben abtötet, vergleichbar mit einer dunklen Plane, die über eine Wiese gelegt wird. Die Grashalme darunter werden gelb und können nicht mehr wachsen. Wenn die Plane jedoch entfernt wird, kann nach einiger Zeit wieder frisches Gras wachsen.
Die Trauer hat, wie du sagst, viele Gesichter. Sie hat nicht nur das Gesicht der Tränen, sondern kann sich etwa auch in Aggression, Ängsten oder in einer Verbitterung ausdrücken. Natürlich ist zu beobachten, dass sich bei manchen Menschen auch nach langer Trauer keine neue Lebensfreude einstellen will. Wenn Trauernde den Verlust nicht akzeptieren, also einfach nicht loslassen wollen, kommt der Trauerprozess zu keinem Ende. „Ein Jahr musst du trauern, dann musst du dich wieder freuen“ – das ist auch so etwas wie eine ermutigende Handlungsanweisung für Trauer. Auch wenn wir es uns vielleicht nicht vorstellen können: Wir werden uns wieder freuen und lachen können. Zum Schluss der vollzogenen Trauer wartet nämlich der „gelungene“ Abschied.

HG: Tränen können auch eine reinigende Wirkung haben, etwas wegwaschen, was die Seele belastet. Ich erinnere mich an einen schweren Verkehrsunfall meines Vaters. Als ich von seinem kritischen Zustand erfuhr, musste ich spontan weinen. Die Tränen waren heilsam und befreiend.


TRAUER konkret


Sie begleiten Trauernde in Liezen – wie gestalten Sie diese Treffen und warum?

Mehrmals im Jahr laden wir Angehörige von kürzlich (vor mindestens drei Monaten) oder schon länger Verstorbenen zu einem Dank-Tank-Kaffee in den Pfarrhof ein. Uns war es wichtig, es nicht Trauer-Café zu nennen, sondern schon im Namen zu zeigen, dass wir Raum bieten wollen, um Danke zu sagen für den geliebten Menschen. Und wir möchten ein Ort sein zum Kraft-Tanken in dieser herausfordernden Zeit.
Es gibt Kaffee, Tee, Kuchen, einen Impuls und dann Zeit für Gespräch. Es kommen nicht unglaublich viele, aber die, die kommen, haben mir gesagt, dass sie es genießen, zwei Stunden liebevoll umsorgt zu werden, und dass es ihnen guttut, miteinander über die Trauer zu sprechen.
Mir als Hospizbegleiterin ist es wichtig, auch die Angehörigen von Verstorbenen zu begleiten.
Das Dank-Tank-Kaffee pausiert seit den Corona-Maßnahmen. Für aktuelle Informationen Pfarrkanzlei Liezen, Tel. (0 36 12) 22 42 50, kontaktieren.

Herta Weber begleitet mit Christine Kleinert und Stefanie Gamsjäger Trauernde im Dank-Tank-Kaffee der Pfarre Liezen.

Der Priester und der Psychologe. Hermann Glettler (links) und Michael Lehofer im Gespräch (Archivbild). | Foto: Neuhold
Herta Weber (Mitte) begleitet mit Christine Kleinert (l.) und Stefanie Gamsjäger (r.) Trauernde im Dank-Tank-Kaffee der Pfarre Liezen.  | Foto: privat
Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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