Kirche und Sexualität | Teil 04
Sexualität bei Paulus

Seine Texte können nur verstanden werden im Kontext seiner Bildung und Umwelt. Er war ein Mann dreier Kulturen: Er war jüdischer Herkunft und Religion, Bürger des Römischen Reiches und in seiner philosophischen Grundbildung hellenistisch beeinflusst.
Zur Zeit des Paulus war die stoische Philosophie vorherrschend. Die Stoa verkündete in unterschiedlichen Ausprägungen ein neues Ideal des Menschen, indem sie ihn von allem befreien wollte, was ihn gefangen hielt oder eingrenzte. Sie sah die Befreiung des Menschen darin, aus ihm ein rein geistiges Wesen zu machen. Dank des Geistes sah die Stoa den Menschen befähigt, die göttliche Ordnung im Kosmos zu erkennen und sich ihr einzufügen. Dafür musste sich der Mensch auch von den körperlichen Banden lösen. Dies geschah in der Kontrolle der Affekte und in der Überwindung der Begierden.

Paulus wertet Sexualität nicht negativ ab

Verbreitet waren im Volk Lasterkataloge, die in leicht merkbarer Form Verhaltensweisen benannten, die den Weg der geistigen Befreiung behinderten. In Gal 5,19–21 führt Paulus einen solchen an und nennt als „Werke des Fleisches“ unter anderem Unzucht, Unsittlichkeit, ausschweifendes Leben. Darin schließt er jede Form von homo- und heterosexueller Unzucht ein (vgl. Röm 1,26f; 1 Kor 5).
Damit wertet Paulus jedoch nicht den Körper oder die Sexualität negativ ab. Wenn er nämlich vom „Fleisch“ spricht, dann meint er damit den ganzen Menschen, der in seine Endlichkeit und Zeitlichkeit eingeschlossen bleibt und darin den letzten Sinn des Lebens sucht. Der „neue Mensch“ hingegen hat nicht nur, wie bei der Stoa, kraft seiner Vernunft an der Ordnung des Kosmos teil und ist in dessen harmonisches Gefüge eingebunden, sondern hat dank des Heiligen Geistes am Leben in Christus, dem Haupt des mystischen Leibes der Kirche, und an seiner Auferstehung Anteil. Der ganze Mensch, Körper und Sexualität mit eingeschlossen, werden dadurch geprägt.
Im Unterschied zur Stoa geht es Paulus nicht um Überwindung oder Ablehnung des Körpers und seiner Bedürfnisse, sondern um dessen „Heiligung: Das bedeutet, dass ihr die Unzucht meidet, dass jeder von euch lernt, mit seiner Frau in heiliger und achtungsvoller Weise zu verkehren, nicht in leidenschaftlicher Begierde“ (1 Thess 4,3).

 „Früchte des Geistes“

Der Unzucht hält Paulus in einem Tugendkatalog die „Früchte des Geistes“ entgegen, wie Liebe, Treue, Selbstbeherrschung (Gal 5,22–23). Selbstbeherrschung und Vermeidung von Ausschweifung gehören bei Paulus zu den ethischen Mindeststandards.
Dass Paulus den Menschen immer als Ganzen sieht und nicht dualistisch gespalten in Körper und Geist, wird auch in 1 Kor 6–7 deutlich, wo er auf konkrete Anfragen aus der Gemeinde eingeht. Korinth war übrigens berühmt als Hochburg der Prostitution, also kein leichtes Pflaster für die erste christliche Gemeinde. Da gibt es die einen, die meinen, der Gläubige sei derart vom Geist geprägt, dass ihn sein Körper gar nicht mehr berühren könne, sodass dem Geist selbst sexuelle Ausschweifungen mit Dirnen nichts mehr anhaben könnten. Ihnen hält Paulus entgegen: „Der Leib ist nicht für die Unzucht da, sondern für den Herrn. Gott hat den Herrn auferweckt; er wird durch seine Macht auch uns auferwecken. Wisst ihr nicht, dass eure Leiber Glieder Christi sind? Darf ich nun die Glieder Christi nehmen und zu Gliedern einer Dirne machen? Auf keinen Fall! Oder wisst ihr nicht: Wer sich an eine Dirne bindet, ist ein Leib mit ihr? Denn es heißt: Die zwei werden ein Fleisch sein. Wer sich dagegen an den Herrn bindet, ist ein Geist mit ihm“ (6,13–17).

In dieser Antwort macht Paulus deutlich, dass er nach jüdischer Tradition die Ehe als schöpfungsgemäßen Ort der sexuellen Vereinigung ansieht und dass er um deren bindende Kraft weiß.
Dann gibt es die anderen, die für den Gläubigen nur mehr den Weg sexueller Askese und Enthaltsamkeit sehen. Ihnen antwortet Paulus: „Wegen der Gefahr der Unzucht soll aber jeder seine Frau haben, und jede soll ihren Mann haben“ (7,1–2).

 Ebenbürtigkeit von Mann und Frau

Im Unterschied zu einigen deuteropaulinischen Texten (z. B. Eph 5,21ff) anerkennt Paulus die Ebenbürtigkeit von Frau und Mann in der Ehe: „Der Mann soll seine Pflicht gegenüber der Frau erfüllen und ebenso die Frau gegenüber dem Mann. Nicht die Frau verfügt über ihren Leib, sondern der Mann. Ebenso verfügt nicht der Mann über seinen Leib, sondern die Frau. Entzieht euch einander nicht, außer im gegenseitigen Einverständnis und nur eine Zeit lang, um für das Gebet frei zu sein“ (VV 3–5). Die sexuelle Beziehung wird damit nicht einfach durch den Sachverhalt der Ehe legitimiert, auch nicht durch den Fruchtbarkeitsauftrag, sondern sie findet ihre Erfüllung in gegenseitiger Hingabe und Achtung.

Haltung der Liebe und Treue

Paulus betont, dass auch innerhalb der Ehe die Beziehung zwischen den Partnern von Haltungen der Liebe und Treue getragen sein müssen, die in gegenseitiger Hingabe und Verantwortung füreinander Ausdruck finden. Als Wesen der Unzucht sieht er damit nicht irgendwelche sexuellen Handlungen an, sondern die Lieb- und Treulosigkeit.
Wenn Paulus die Ehe und die sexuelle Liebe auch wertschätzt, so spricht er dennoch nur von einem Zugeständnis und, im Unterschied zur jüdischen Tradition, von keiner Pflicht zur Ehe. Er macht kein Hehl daraus, dass er persönlich die ehelose Lebensform bevorzugt und zu dieser rät. Er sieht den Sinn der Ehelosigkeit aber darin, dass jemand frei wird für die Sache des Herrn, so wie er den Ehepaaren Zeiten sexueller Enthaltsamkeit rät, damit sie für das Gebet frei seien.

Bei diesem Rat spielt die Naherwartung eine gewichtige Rolle. Wenn Paulus die Heirat als Zugeständnis an die sexuelle Schwäche eines Menschen sieht, damit er sich nicht in Begierde verzehre, dann bedeutet dies, dass er um die Kraft sexuellen Begehrens weiß und sie nicht verurteilt, sondern sie in Bahnen der Liebe und Treue lenken will. Es kann aber auch der Einfluss der Stoa sein, dass der Mensch die Begierden überwinden solle. Darin eine beginnende Leib- und Sexualfeindlichkeit des Christentums zu sehen, wird dem Apostel Paulus aber nicht gerecht.

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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