Anfänge. Eine Serie mit Chris Lohner | Teil 06
Gewohntes aufgeben

Fast 60 Jahre verheiratet: Das Ehepaar Rogl in seinem jetzigen Zuhause, in das sie Bilder, ein paar Möbel, einen Wandteppich und vor allem Erinnerungen mitgenommen haben.  | Foto: KIZ/EG
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  • Fast 60 Jahre verheiratet: Das Ehepaar Rogl in seinem jetzigen Zuhause, in das sie Bilder, ein paar Möbel, einen Wandteppich und vor allem Erinnerungen mitgenommen haben.
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Du musst vieles hinten lassen“, erzählt Franz Rogl. Der Umzug war also nicht nur ein Abschied aus einer vertrauten und geliebten Gegend. Er war auch verbunden mit dem Zurücklassen vieler gewohnter Möbel, Bilder, Dinge, die man gar nicht täglich bewusst wahrnimmt, die aber im Bewusstsein einen Platz gefunden haben. Gewohnt ist, womit man lange zusammengewohnt hat!

Hinten lassen und nach vorne schauen, Abschied und Neuanfang, aber Erinnerungen gehen mit. Manche Erinnerung hat einen besonderen Platz: Die knapp 40 Quadratmeter, die das Ehepaar Rogl nun im Haus Borromäus bewohnt, sind gut eingeteilt. Kästen trennen den Schlaf- vom Wohnbereich, in den sich eine Eckbank und ein Sofa aus der bisherigen Wohnung sehr gut einfügen. Die Wand hinter der Eckbank ziert ein Teppich, den Franz Rogl von einer der vielen Urlaubsreisen mitgebracht hat. An der Fensterseite hängen einige schon betagte Taschenuhren – sie können viel über eines der Hobbys von Franz Rogl erzählen. Die Raumtrennung war dem Ehepaar wichtig. „Da habe ich das Gefühl, ich habe eine Wohnung“, sagt Franz Rogl.

Kraftstoff für den Neuanfang. Im August 2015 feiert das Ehepaar Rogl das diamantene Hochzeitsjubiläum. Wer 60 Jahre verheiratet ist, hat viel gemeinsam erlebt und bildet eine Einheit. Das gemeinsam Erlebte hilft wie die gewordene Einheit beim Neustart in fremder Umgebung. Denn fremd ist die neue Adresse, wenn auch die Wohnung am Bulgariplatz und das neue Zuhause in der Bethlehemstraße kaum drei Kilometer auseinander liegen.

Die Erinnerungen an die gemeinsamen Jahre sind Kraftstoff für den Neuanfang. Wenn Franz Rogl von den vielen Wanderungen, Urlaubsreisen und Skitouren schwärmt, schaut er zu seiner Frau Theresia, die den Erzählungen mit einem Lächeln folgt und dann und wann bestätigt und verstärkt, was ihr Mann erzählt. Etwa die Geschichte vom schweren „Stern, den ich beim Skifahren gerissen habe“. Ein fürchterlicher Bluterguss am Oberschenkel und Gesäß blieben damals als Andenken zurück. Während Franz Rogl im Album nach dem entsprechenden Fotodokument sucht, kann Theresia Rogl heute noch ihren Mann nicht verstehen, dass er nach diesem Sturz auch noch eine heiße Dusche nahm.

Fürsorgende Umgebung. Der Anfang in neuer Wohnumgebung fällt mit den vielen Erinnerungen nicht so schwer. Immer wieder erwähnt Franz Rogl, wie froh er ist, hier mit seiner Frau wohnen zu können und dabei gut betreut und umsichtig versorgt zu sein. Auch in der Nacht hält eine diensthabende Schwester Nachschau, ob alles in Ordnung ist, wissen sich die Rogls in guter Obhut. Manchmal während der Schilderungen des Mannes lächelt und nickt die Frau, springt mit Jahreszahlen ein, wenn sie ihm nicht einfallen. Die beiden vermitteln Zufriedenheit. Trotz altersbedingter Handicaps schätzen sie ihr Leben, haben Pläne und nehmen am Leben der anderen teil. Franz Rogl will die tausenden Dias von den Reisen, Touren und Wanderungen beschriften. Im Seniorenwohnheim gibt es viele Möglichkeiten, Aktivierungsprogramme etwa oder auch das Plaudern mit den Bewohnerinnen und Bewohnern. Oft liest ihnen Herr Rogl aus der Zeitung vor, auch seine Frau nimmt an den Gesprächen teil. Bei der Adventfeier soll Franz Rogl einen Text lesen. Eine Aufgabe zu haben macht ihm Freude.

Glücks-Bilder. Er genießt es, als 87-Jähriger noch eigenständig in die Stadt gehen zu können. Seine Frau braucht dabei Unterstützung; solche gibt es Gott sei Dank. Wenn man unter solchen Voraussetzungen wohnen kann, ist vieles möglich, was im 8. Stock am Bulgariplatz nicht mehr ginge. „Wir sind noch beisammen“, beschreibt Franz Rogl, was ihm und seiner Frau das größte Glück ist. In solcher Zufriedenheit leben die schönen Zeiten von einst als Glücks-Bilder dessen fort, was alles möglich war, und lösen nicht Trauer aus, weil mittlerweile so viel nicht mehr möglich ist. Die Erinnerungen an die Skiurlaube zum Beispiel – noch mit 80 Jahren stand Franz Rogl auf Skiern. Die Erinnerungen an die Reisen mit seiner Frau, bei denen die beiden bis ins Jahr 2000 an unzählige Orte, etwa in Skandinavien und am Mittelmeer sowie im Nahen Osten, gekommen sind.

Reisen im Kopf. Franz Rogl blättert in seinen Aufzeichnungen von den Reisen. Er hat aufgeschrieben, wo sich die Foto-Dokumente befinden. Bei der Durchsicht der Liste bleibt er an Orten hängen: Zermatt. „Das war schön.“ Oder die Schweiz-Rundreise. Und die Fahrt nach Lourdes. Zypern, Jordanien, Andalusien. – Das ist Teil des Neuanfangs: Reisen im Kopf. Wohin sie früher gekommen sind, kommen sie heute in der Erinnerung. „Zehren kann ich Nacht und Tag davon“, sagt Herr Rogl und holt Fotos.

Neuanfänge. Alte Menschen haben viele Neuanfänge erlebt. Für Franz Rogl war das zum Beispiel der Lehrantritt bei der Eisenbahn 1942. Die Verpflichtung zum Arbeitsdienst, das Einrücken zum Militär, ein Jahr britische Gefangenschaft, der Wiedereinstieg bei der Eisenbahn. Mit 60 die Pension, also wieder ein Anfang, einer, der sich ganz anders gestaltet hat, als er gedacht hatte: Seine Mutter wurde pflegebedürftig, und er pflegte sie dreieinhalb Jahre. „Arbeit habe ich genug gehabt“, erzählt er. Viel Arbeit und wenig Luft für anderes. Dann die Zeit der Reisen. Und heute? „Vielleicht kommt so zurück, was ich für andere getan habe“, sagt Franz Rogl. Mit dem Zurückkommen meint er das Glück, von seiner pflegebedürftigeren Frau nicht getrennt sein zu müssen und mit ihr gemeinsam wohnen zu können.

Ernst Gansinger 

Fast 60 Jahre verheiratet: Das Ehepaar Rogl in seinem jetzigen Zuhause, in das sie Bilder, ein paar Möbel, einen Wandteppich und vor allem Erinnerungen mitgenommen haben.  | Foto: KIZ/EG
Während Franz Rogl in den Aufzeichnungen ihrer Reisen blättert, verfolgt seine Frau mit Interesse und Freude, was er alles zu erzählen weiß.
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SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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