Kundschafter in den USA | Teil 01
Christen sind keine Konsumenten

Den Ostersonntag feierten 5000 Gläubige mit der Church of the Nativity in einer Konzerthalle. | Foto: Jason Williams, J. Thomas Photography
  • Den Ostersonntag feierten 5000 Gläubige mit der Church of the Nativity in einer Konzerthalle.
  • Foto: Jason Williams, J. Thomas Photography
  • hochgeladen von SONNTAGSBLATT Redaktion

Bei so einer Pfarre könnte man vor Neid erblassen. Der Sonntag mit fünf bestens besuchten Gottesdiensten ist lebendiger Mittelpunkt. Hunderte motivierte Ehrenamtliche bringen ihre Talente ein.

Dutzende begeisterte Kinder- und Jugendgruppen bringen frischen Wind. Die Gemeindemitglieder sind überdurchschnittlich sozial engagiert. Handelt es sich um ein Einzelphänomen? Gibt es so etwas nur im Land der unbegrenzten Möglichkeiten? Oder lassen sich daraus Impulse für das Pfarrleben in Österreich ableiten?

Es war nicht immer so in der „Catholic Church of the Nativity“ am Stadtrand von Baltimore in den USA. „Wie eine österreichische Durchschnittspfarre“, dachte ich mir, als ich das Buch „Rebuilt“ zu lesen begann. Darin beschreiben Pfarrer und Pastoralassistent den Weg dieser Pfarre in den letzten zehn Jahren. Am Beginn stand keine ernsthafte Krise, aber ein schleichender Rückgang. Immer weniger junge Leute und Familien, laue Gruppen und vor allem eine oft resignative Stimmung belasteten die Engagierten in der Pfarre. Als Gegenmittel versuchten sie, noch mehr Angebote zu entwickeln, um die Menschen zu begeistern.

Irgendwann spürten sie jedoch, dass sie in die falsche Richtung unterwegs waren. Manchmal kamen zwar mehr Leute, aber mit einer konsumistischen Einstellung. Da begannen die Seelsorger einen echten Kulturwandel – weg von einer Dienstleistungskirche hin zum Leib Christi. Denn sie begriffen: Behandelt man die Menschen wie Kunden, dann verhalten diese sich auch so. Sie sind nörglerisch, finden immer einen Grund, sich zu beschweren, und bringen die Engagierten zur Verzweiflung. Umgekehrt kommen sie aber nicht auf die Idee, dass ihr Beitrag gefragt ist. Sie fühlen sich nicht als Teil am Leib Christi. Sie wissen nicht, dass sie unentbehrlich sind.

Father Michael White und Tom Corcoran verordneten diese Umkehr nicht nur ihrer Pfarre, sie fingen bei sich selber damit an. Es folgten Jahre voller Versuche, Widerstände und Konflikte, aber auch spür- und messbarer Erfolge.

Die Früchte dieses Prozesses durfte ich bei meinem Besuch erleben. Besonders auffallend war, dass am Erfolg nicht eine charismatische Führungskraft „schuld“ war. Ich traf Dutzende von engagierten Frauen und Männern, die mit Selbstbewusstsein, Können und Glaubensstärke ihren spezifischen Teil zum Ganzen beitrugen. Ob es im von 8 bis 18 Uhr geöffneten Pfarrcafé war, im Studio des Audio- und Videoteams, in der Willkommensgruppe im Eingangsbereich oder in der Gestaltung eines Kindergottesdienstes: Es war faszinierend, wie unabhängig jede und jeder agierte, wie selbstständig souverän und zugleich in Verbundenheit mit allen – mündige Glieder am Leib des einen Herrn, berufen in der einen Taufe.

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.

Powered by PEIQ