Grazer Kultum - Online Ausstellung
Geschlossenes Paradies

„Der andere – niemand anders als man selbst“ nennt Nina Kovacheva ihre Projektion einer jungen Frau und eines jungen Mannes, die in Zeitlupe auf die Betrachtenden zulaufen und dabei quasi zu Engeln werden.
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  • „Der andere – niemand anders als man selbst“ nennt Nina Kovacheva ihre Projektion einer jungen Frau und eines jungen Mannes, die in Zeitlupe auf die Betrachtenden zulaufen und dabei quasi zu Engeln werden.
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Das Grazer Kultum thematisiert die Gegenwart mit Bildern des versperrten Himmels.

Ausstellung ONLINE: Kurator Johannes Rauchenberger macht aus der Not eine Tugend: Er stellt die Kunstwerke der neuen KULTUM-Ausstellung in Form kurzer Videoclips vor und hofft, dass die Ausstellung vor Weihnachten noch besucht werden kann.

Einer Party wegen! Die gegenwärtige Hilflosigkeit rund um die Corona-Schutzmaßnahmen könnte nicht treffender auf den Punkt gebracht werden, wie es der Titel dieser Ausstellung verrät, die am 24. Oktober 2020 im Grazer Kulturzentrum bei den Minoriten in Anwesenheit der Künstler noch eröffnet wurde.
Seit dem 3. November ist sie aufgrund des zweiten Lockdowns wieder zu: Es ist hier sozusagen ein „eschatologischer Lockdown“, denn das kleine Hinweisschild ist von Gott selbst unterfertigt.
Ninavale, das in Paris lebende, bulgarische Künstlerpaar NINA Kovacheva und VALEntin Stefanoff, die in großen Museen der Welt Einzelausstellungen hatten und in deren Sammlungen vertreten sind, reagiert in seiner Ausstellung auf die aktuelle Weltsituation der Pandemie mit einer subtil ironischen Spiegelung einer Paradiesverweigerung. Distanzierungsregeln, Kontaktbeschränkung und Abstandsgebot hier, himmlische Party dort?

Vorausahnung?
Es war wie eine Vorausahnung, dass es härter kommen könnte. Und nun ist es auch eingetreten, nicht nur für die Schau selbst, die derzeit nur mehr virtuell besuchbar ist. Paradies – das Wort findet man in der Ausstellung als Straßenschild mit Pfeil für einen Gehweg. Doch der Geher trägt ein Kreuz auf seinen Schultern. Die Richtung, in die das Schild weist, geht in der Ausstellung auf eine Tür zu, aus der laute Schritte eines reitenden Pferdes kommen. Und irgendwann hört man auch den Schrei dieses apokalyptischen Reiters: „Gott, wo bist du?“ Hinter der Tür gegenüber ertönen wohlklingende Töne. Glockenspieltöne aus der Kindheit, auch jene von „Stille Nacht“. Ein paar Stimmen.
Das ist also das Fest im Himmel, von dem wir ausgeschlossen sind. Ein Engelsflügel lädt noch dazu ein, in dessen Mitte ein Monitor mit ständiger Funkunterbrechung läuft. Dazwischen kurz ein „Willkommen“, dann auch der Absender: „Paradies – Himmelreich.“ Dabei blicken wir längst auf die fliegenden Tauben auf den Boden – was so viel heißt, dass wir bereits im Jenseits sind. Ein vergoldeter iMac zeigt in der Zelle zuvor in Home-Office-Zeiten leuchtend sein Innenleben: Die virtuelle iCloud leuchtet in der ersten Zelle als iHeaven auf. Doch der Computer ist nicht der Himmel, sein Algorithmus, der uns berechnet, ist – hoffentlich – nicht Gott.

Noch einmal von vorne
Soll man also neu anfangen mit dem Paradies, ganz von vorne? Ja, es empfangen uns Kinder, die Adam & Eva mit Plastikspielzeug nachspielen. Kinder als Adam und Eva? Die Künstler greifen tief in die Bildwelt des Paradieses ein, jene von Anfang, Verlust, (Erb-)Sünde und Missbrauch. Gut und Böse zu unterscheiden ist in Zeiten alternativer Fakten schwer geworden: So hängen auch knallige Engels- und Teufelsflügel aus Neonlicht im ersten Raum im Westtrakt an der Wand. Ihr Titel „Obscured by the mind“ verrät, dass sie im Geiste verdunkelt sind, die beiden Elemente.

Johannes Rauchenberger

Lebensfreude
Ninavale lassen durch das
Fernrohr gerade jetzt die
„enjoyment“ (Lebensfreude) entdecken. Das ist nicht nur Ironie.

Die Aufforderung zu einem wirklich guten Leben (Enjoy the liberty! Enjoy the loneliness! Enjoy the end!) wird vom Künstlerpaar als „Versuchung“ angeboten, die in der gegenwärtigen Situation freilich auch ganz anders gelesen werden kann.
Ninavale sind als 3D-Druck im Gang ein Teil der Ausstellung. Die Einladung an uns, durch das dahinter stehende Fernrohr zu blicken, macht uns zu Riesen in der Suche nach der Lebensfreude und dem Genuss des Lebens. Doch wenn aus der Aufforderung ein Zwang wird, kippt sie in das Gegenteil.

Zur Ausstellung
KULTUM, Mariahilfer Platz 3, Graz.  
Wegen des Lockdowns derzeit geschlossen. Bis 19. Dezember würde die Ausstellung zu sehen sein! Kurator Johannes Rauchenberger wird die einzelnen Kunstwerke in Form von Mini-Führungen vorstellen.
Auf www.kultum.at und facebook.com/kultumgraz
sind diese in den nächsten Wochen regelmäßig abrufbar.

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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