Mutworte - Christa Carina Kokol
G’scheit sind die Vögel

Foto: Neuhold

Krähen gehören nicht gerade zu meinen Lieblings-Singvögeln. Eines muss man ihnen aber lassen – sie sind äußerst intelligent. Mühelos können sie einen Draht in die notwendige Form biegen und schaffen sogar komplizierte Lernexperimente: Schnell begreift eine Krähe, ob der leckere Käse bei regelmäßigem Wechsel dreier Dosen in der blauen, gelben oder roten zu finden ist. Kommt eine Artgenossin hinzu, wird diese versuchen, ihr die befüllte Dose zu entreißen. Da greift die erste zu einer List. Sie stürzt sich „bewusst“ auf eine leere Dose, um die andere zu täuschen. Bis der Schachzug durchschaut ist, bleibt ihr genügend Zeit, den Inhalt der vollen Dose zu verschlingen.
Forschungen haben ergeben, dass Krähen bei „Intelligenz“-Tests Menschenaffen übertreffen und sogar mit Menschen konkurrieren können.
Nach der Sinnlehre Viktor Frankls ist die Geistbegabung das eigentlich Menschliche. Den Intellekt zählt er nicht dazu. Gut so. Denn beim Draht und den bunten Dosen würde ich womöglich schlechter abschneiden als die Krähen. Als Mensch kann ich aber die Befüllung und Verteilung mancher „Dosen“ verantwortlich mitgestalten. Geist-voll. Und dazu ist keine Krähe fähig.
Der Philosoph Konrad Paul Liessmann spricht von einem „Hang“ des Menschen „zu einer neuen selbstverschuldeten Unmündigkeit“: Für das eigene Recht auf Glück haben andere die Pflicht zu sorgen. Auch Krähen meinen, das alleinige Recht auf Dosen mit Käse zu haben. G’scheit, aber eben nicht geist-voll.

Christa Carina Kokol
ist dipl. psychotherapeutische Beraterin in Logotherapie und Existenzanalyse nach Viktor E. Frankl.

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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