Heilsam leben - mit Hildegard von Bingen | Teil 01
Von der Eremitin zum Superstar

Hildegard von Bingen. Die moderne Plastik vor der Abtei St. Hildegard bei Rüdesheim zeigt eine starke Frau, deren Kraft ganz von innen kommt. | Foto: M. Hofer
  • Hildegard von Bingen. Die moderne Plastik vor der Abtei St. Hildegard bei Rüdesheim zeigt eine starke Frau, deren Kraft ganz von innen kommt.
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Als Hildegard 1098 als zehntes Kind Hildeberts und Mechthilds von Bermersheim geboren wurde, eroberte das christliche Kreuzfahrerheer gerade die Stadt Jerusalem. Es war eine unruhige Zeit voller politischer Umbrüche und kultureller Neuentwicklungen. Hildegards Eltern hatten Kontakte zu den Großen des Reiches und waren im Hinblick auf die aktuellen Entwicklungen immer auf dem neuesten Stand. Schon mit drei Jahren zeigte ihre jüngste Tochter eine besondere Begabung. Nach einer Lichtvision hatte sie plötzlich Einblick in das innere Wesen der Menschen, Tiere und Pflanzen in ihrer Umgebung. Ganz praktisch sah sie die Zeichnung im Fell eines ungeborenen Kälbchens. Sie erspürte aber auch das heilende Potenzial von Pflanzen und Steinen, wusste genau, wer hinter seiner fröhlichen Maske unglücklich war und wessen Krankheit durch kein Kraut mehr geheilt werden konnte.

Menschen, die leben lehren. Wie alle adeligen Kinder im 12. Jahrhundert wurde auch Hildegard für ihre Ausbildung an einen anderen adeligen Hof gegeben. Sie lernte gemeinsam mit Jutta von Sponheim bei Uda von Göllheim, einer hochgebildeten und spirituell aufgeschlossenen Witwe, lesen, schreiben und Latein. Mit zwölf Jahren ging sie mit Jutta in die Frauenklause, die an das Benediktinerkloster auf dem Disibodenberg in Odernheim bei Mainz angebaut worden war. Mit dieser Entscheidung war die Wahl für den Lebensraum des visionär begabten Kindes auf ein Kloster gefallen, das gerade neu gegründet worden war und von dem sich der Mainzer Bischof Ruthard entscheidende spirituelle Impulse für sein Bistum erhoffte. Die Bibliothek war reich bestückt, und Hildegard wurde von einem Mönch unterrichtet, der ihr die Werke der Kirchenväter ebenso nahebrachte wie die antiken Schriften über Heilkunde.

Selbstständigkeit mit Hindernissen. Nach Juttas Tod wurde Hildegard die Leiterin der Frauengemeinschaft, die sich nach und nach gebildet hatte. Als sie 41 Jahre alt war, spürte sie den Auftrag, ihre Visionen, die sie bisher so gut wie möglich vor den anderen verborgen hatte, aufzuschreiben und zu veröffentlichen. Volmar, ihr Lehrer und Freund, war ihr in dieser Situation eine große Hilfe. Er ermutigte sie, ihre Angst zu überwinden und sich einer kirchlichen Untersuchung zu stellen.
Ihre Anerkennung als Visionärin durch Papst Eugen III. brachte dem Kloster Disibodenberg enorme Vorteile. Mit den Pilgern vermehrten sich auch die Spenden und das Ansehen des Konvents. Deshalb war Abt Kuno entsetzt, als Hildegard verkündete, sie wolle ein eigenes Kloster auf dem Rupertsberg bei Bingen bauen. Doch das ehemals schüchterne Kind war zu einer starken Frau geworden, und gegen alle Widerstände gelang der Umzug auf einen Berg, der direkt am Rhein, einem der Hauptverkehrswege der Region, gelegen war.

Bücher, Briefe, Predigtreisen. Hier entstanden nun Hildegards theologische Werke, ihre medizinischen Schriften und die Aufzeichnung ihrer Kompositionen. In der Feier der Liturgie setzte sie neue Akzente, die zu heftigen innerkirchlichen Diskussionen führten:
Die Nonnen kleideten sich in weiße Seidengewänder, schmückten sich mit goldenen Ringen; kostbar verzierte Haarreifen hielten ihre nicht mehr kurz geschorenen, sondern lang herabfallenden Haare zusammen. Hildegards Überzeugung war: Der Leib ist das Zelt der Seele, und die Pflege des Körpers dient auch dem seelischen Gleichgewicht.

Als Ratgeberin war die einst eremitisch lebende Visionärin nun im ganzen Reich gefragt. Laien wandten sich ebenso an sie wie Mönche, Bischöfe und Äbtissinnen, Königin Eleonore von England oder Kaiser Friedrich Barbarossa. So verschieden sie ihre Anliegen auch formulierten, im Kern ging es immer um dieselbe Frage: Was muss ich tun, damit mein Leben gelingt, damit es vor Gott Bestand hat? Ihre Predigtreisen führten Hildegard oft zu Menschen, mit denen sie in Briefkontakt war, aber sie sprach auch auf öffentlichen Plätzen in Köln, Bamberg oder Mainz. Den Klerus kritisierte sie mit deutlichen Worten und gab den Priestern, die ihr Amt ohne inneres Engagement ausübten, die Schuld daran, dass viele Menschen den Sekten nachliefen. Geschadet hat ihr das nicht mehr. Hildegard war von der Eremitin zum Superstar geworden.

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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