Zeitdiagnose 2019 | Teil 05
Soziale Ökonomie braucht geteilte Verantwortung

Vor rund vier Jahren hat der bekannte Wiener Pastoraltheologe und Religionssoziologe Paul Michael Zulehner im Bildungshaus Graz-Mariatrost von der „Krise der halbierten Liebe“ gesprochen. Kernaussage dieses sehr gut besuchten Vortrags war, dass sich in unserer Gesellschaft zunehmend ein Eheverständnis durchsetzt, das zwar bei der Trauung Liebe und Treue in „guten und in schlechten Tagen“ verspricht, oft aber nur für die „guten Tage“ zu gelten scheint. Möglichst leidfreies Liebesglück sei das Ziel, so Zulehner. Die alte Redewendung zwischen liebenden Menschen, „ich kann dich gut leiden“, wird meist nicht einmal mehr sinnerfassend verstanden.

Gedankensprung: Der deutsche Autor und Filmemacher Alexander Kluge hat die Redewendung vom „Angriff der Gegenwart auf die übrige Zeit“ geprägt. In der Tat ist der zunehmende Augenblicks-Egoismus eine prägende Signatur unserer Zeit! Die Maximierung des gegenwärtigen persönlichen Ertrags gilt vielen als ungleich wichtiger als die Solidarität mit der Allgemeinheit, insbesondere auch im Hinblick auf die Zukunft.

Sozialstaat – quo vadis?

Diese allgegenwärtige Ökonomisierung ist vor allem auch in der permanent geführten Sozialstaatsdiskussion zu erkennen. Wovon reden wir, wenn wir vom Sozialstaat sprechen: In Österreich gibt es im Sinne einer sozialstaatlichen Umverteilung rund zwei Millionen Nettozahler und sechs Millionen Nettoempfänger. Das muss per se noch keine Ungerechtigkeit sein. Wiewohl es global betrachtet zumindest wenig nachhaltig erscheint, wenn etwa sieben Prozent der Weltbevölkerung Europäer sind, diese dabei rund ein Viertel des Weltwirtschaftsprodukts erwirtschaften, aber 50 Prozent der weltweiten Sozialleistungen hier erbracht werden.

Wer soll das alles bezahlen?

Das ständig verdrängte Problem – man sieht es übrigens auch gut an der aktuellen Karfreitagsdebatte – ist die Frage, wer das alles am Ende bezahlen soll. Wir sollten uns zumindest auf zwei Grundsätze verständigen. Nur ein zuerst verdienter Euro kann ausgegeben werden, und weder die Wirtschaft noch der Staat haben eine Bankomatfunktion.

Ansprüche und Zumutbarkeiten.

Man muss kein großer Ökonom sein, um zu erkennen, dass der Sozialstaat auch künftig zugleich eine gesellschaftliche Notwendigkeit, aber auch eine ökonomische Herausforderung sein wird. Wenn die Diskussion darüber aber weiterhin nur von den Ansprüchen der Empfänger, nicht aber auch von der Zumutbarkeit für die, die diesen Sozialstaat finanzieren, geprägt ist, sollte man sich hinterher nicht wundern, wenn Populisten, ob rechts oder links, politisch erfolgreich sein werden.

„Frage nicht, was dein Land für dich tun kann, sondern, was du für dein Land tun kannst!“ John F. Kennedys berühmter Satz ist heute vielleicht aktueller denn je. Ein Sozialstaat, der nur von einseitigem Anspruchsdenken getragen wird, erzeugt bestenfalls – frei nach Zulehners Gedanken zur Ehe – eine halbe Gerechtigkeit!

Hans Putzer

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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