Kirche und Sexualität | Teil 12
Sexualität in jeder Lebensform

Es ist nicht gut, dass der Mensch allein bleibt“ (Gen 2,18). Die Soziologen glauben, dass die Zahl der Menschen, die bewusst als Singles leben, wieder im Abnehmen ist. Besonders in Krisenzeiten spüren viele, dass sie sich nicht selbst genügen, und sehnen sich nach Gemeinschaft und Beziehung.

Gerade im Zeitalter der digitalen Kommunikationsmittel gibt es aber immer mehr Menschen, die aufgrund unterschiedlichster Ursachen unfreiwillig allein bleiben und darunter leiden. Als Hilfe können hier unter anderem seriöse Partnervermittlungsagenturen dienen, die jedoch persönliche Reife und realistische Ansprüche an eine Partnerschaft voraussetzen. Besonders jenen, die unfreiwillig allein bleiben und die dennoch nicht einfach verantwortungslose Triebbefriedigung in punktuellen sexuellen Abenteuern suchen, ist ein hohes Maß an Selbstbeherrschung abverlangt sowie die Stärke, die Spannung eines ungestillten vitalen Bedürfnisses auszuhalten.

Der Pflichtzölibat

Beim kirchlichen Zölibat sind zwei Formen zu unterscheiden. Der Pflichtzölibat für Priester gilt verbindlich seit dem 12. Jahrhundert. Ursprünglich war der Grund praktischer Natur, vor allem wegen wirtschaftlicher Interessen und Erbansprüchen der Kirche. Später wurde er mehr spirituell begründet. Vom Wesen des Priesteramtes wird er nicht verlangt. Die Kirche hält ihn aber für angemessen, damit ein Priester sich ungeteilten Herzens dem Herrn weihen kann (vgl. „Presbyterorum ordinis“, Nr. 16).

Ordensgelübde der Ehelosigkeit

Das Ordensgelübde der Ehelosigkeit hingegen ist gemeinsam mit den Gelübden der Armut und des Gehorsams wesentlich für das Selbstverständnis des Ordenslebens und seit dem Beginn des monastischen Lebens im 3. Jahrhundert bezeugt. Seine Begründung ist biblisch (Mt 19,12; 1 Kor 7,32–34). Neben dem Wunsch, sich jene Lebensform anzueignen, die nach dem Zeugnis der Evangelien Jesus selbst gelebt hat, ist es dadurch motiviert, dem Himmelreich besser dienen zu können.

Dem Aufbau des Reiches Gottes dient ein Mensch, der sein Leben Gott schenkt, indem er in der Liebe zu Gott und den Menschen wächst und reift. Das bedeutet nicht, die Gottes- und Nächstenliebe in einem Konkurrenzverhältnis zueinander zu denken, so als würde Gott jemandem, der sich ihm ganz weiht, keine menschliche Liebe zugestehen. Die Ehelosigkeit verlangt aber den Verzicht auf sexuelle Liebe und darauf, einen anderen Menschen ganz an sich zu binden: Beides ist der ehelichen Beziehung vorbehalten. Verstanden als Befreiung zur Gottes- und Nächstenliebe, beinhaltet die Ehelosigkeit die Aufgabe, in der Fähigkeit zur Liebe und Hingabe zu reifen. Sie verlangt nach einem verantwortungsvollen Umgang mit der Sexualität, die weder verdrängt noch genital ausgelebt wird. Als Kraft der Liebe und Beziehung wird sie auf einer anderen Ebene als der genitalen gelebt und fruchtbar gemacht.

In der heutigen Zeit stellt der Zölibat sicher eine Provokation dar, aber eine heilsame: Er erinnert daran, dass der Mensch im Irdischen nicht aufgeht, sondern auf Ewigkeit hin geordnet ist. Im Kontext einer oft als hypersexualisiert charakterisierten Gesellschaft wirkt er wie ein Gegenpol und zeigt Grenzen der Sexualität auf, ohne diese abzuwerten: Liebes- und Hingabefähigkeit können auch bei Verzicht auf gelebte Sexualität gepflegt und entfaltet werden. Auch ohne sexuelle Intimität kann das Leben glücken und Erfüllung finden.

Lebendige Spiritualität leben

Damit der Zölibat nicht in die Einsamkeit und emotionale Verhärtung führt, braucht der ehelos lebende Mensch aber feste und verlässliche Freundschaften sowie die Gemeinschaft mit Gleichgesinnten, durch die er getragen und gestützt wird. Besonders aber muss er eine lebendige und tiefe Spiritualität pflegen, denn im Letzten lebt er ehelos, weil er da-rauf vertraut, dass Gott ihn dazu berufen hat: Nicht weil dieser ihm menschliche Glückserfahrungen vorenthalten will, sondern damit er in dieser Lebensform zu einer umfassenden Gottes- und Menschenliebe heranreift, in der sein Leben erfüllt und glücklich werden kann. Die Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen kann immer nur freiwillig und nicht als Pflicht übernommen werden, und zwar als ein Charisma und eine Berufung. Nur getragen von der Gnade Gottes und vom Gebet ist sie authentisch lebbar.

„Einfallstor Gottes“

Im Sakrament der Ehe erhält die Sexualität ihre Würde darin, dass sie zum „Einfallstor Gottes“ werden kann als erhabenes Zeugnis der göttlichen Liebe. Schon im Alten Testament, besonders beim Propheten Hosea, wird die Beziehung Gottes zu seinem Volk auf eindrucksvolle Weise im Bild der Ehe veranschaulicht. In den liturgischen Texten des Trauritus wird das übertragen auf die Liebe Christi zur Kirche. So wie Gott treu zu seinem Volk steht und wie Christus die Kirche liebt, so versprechen zwei Partner einander Treue und Liebe.

Der sakramentale Charakter der Ehe besteht darin, dass in der menschlichen Liebe mit all ihren Höhen und Tiefen die Liebe Gottes nicht nur erfahrbar, sondern auch konkret verwirklicht wird: Es ist, als würde Gott einwilligen, dass seine unendliche Liebe in der begrenzten Liebe zweier Menschen Form annimmt. Dadurch wird die menschliche Liebe aufgebrochen.

Persönliche und unverwechselbare Berufung

Trotz aller Begrenztheit der Liebes- und Hingabefähigkeit zweier Menschen bricht in ihre Liebe zueinander mehr ein, als sie aus sich zu tun und zu schaffen vermögen. In der Zeugung eines Kindes wird dies auf wunderbare Weise greifbar: Die Liebe ist schöpferisch, sie schenkt neues Leben. Jede Entscheidung für eine dieser Lebensformen ist getragen vom Vertrauen, darin die eigene, ganz persönliche und unverwechselbare Berufung zu leben.

Deshalb dürfen sie nicht gegeneinander ausgespielt werden: Keine ist besser oder schlechter. Auch darf die Ehelosigkeit nicht, wie es in der Tradition üblicherweise geschehen ist, als die höhere oder „saubere“ Form der Sexualität im Gegensatz zur ehelich ausgelebten angesehen werden. Beide Formen verlangen Reifen und Wachsen: Durch Verweigerung der Erfüllung aller Bedürfnisse bedeutet die Ehelosigkeit die Abkehr von einer konsum-orientierten Mentalität; die eheliche Treue mit der nötigen Beziehungsarbeit hingegen verlangt die Aufarbeitung eigener infantiler oder überhöhter Ansprüche.

Jede dieser Lebensformen bezeugt auf ihre Weise die Liebe Gottes und ist verbunden mit der Aufgabe, die Sexualität als Teil der Persönlichkeit zu entfalten, um sie so in die personalen Lebensvollzüge zu integrieren, dass sie der Fähigkeit, zu lieben und sich lieben zu lassen, dient.

In der Tradition sprach man von der Tugend der Keuschheit. Dieser Begriff ist heute vorbelastet: Vielfach wird er mit Enthaltsamkeit verwechselt oder sexualfeindlich als unbeschmutzte Reinheit missverstanden, als würde ausgelebte Geschlechtlichkeit beflecken. Die Realisierung der menschlichen Liebe geschieht nicht automatisch, sie will wie eine Kunst erlernt werden und bedarf der Übung und geduldigen Pflege einer Kultur der Scham und der Zärtlichkeit. Sie ist eine Frage der persönlichen und sexuellen Reifung: Weil sich Beziehungsprobleme und psychische Störungen vielfach im Bereich des Sexuellen Ausdruck verschaffen, ist es in jeder Lebenslage und -form wichtig, gut und verantwortungsvoll mit der eigenen Sexualität umzugehen.

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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