Kirche und Sexualität | Teil 03
Sexualität in den Evangelien

Manche Autoren versuchen mit oft blühender Phantasie, ihm ein Verhältnis mit Maria Magdalena nachzuweisen. Allerdings finden sich in den Texten der Evangelien dafür keine Indizien. Dennoch erregte sein Verhalten gegenüber Frauen Anstoß bei vielen seiner Zeitgenossen.

Nur das apokryphe Philippusevangelium aus dem späten 3. Jahrhundert lässt die Interpretation von Maria Magdalena als Partnerin Jesu zu. Aus den Texten des Neuen Testaments geht hingegen hervor, dass Jesus die für seine Zeitgenossen anstößige Ehelosigkeit gelebt hat und damit seiner Pflicht als männlicher Jude, Nachkommen zu zeugen, nicht nachgekommen ist. Für Jesus war das anbrechende Reich Gottes derart dringlich, dass er alles auf diese eine Karte gesetzt und familiäre Bande als zweitrangig angesehen hat: sowohl zu den Eltern als auch zu Frau und Kindern (Lk 14,26).
Das Reich Gottes sah er in seinem Wirken angebrochen: Er bezeugte die ungeteilte Zuwendung Gottes zu jedem Menschen. Nach Mt 19,12 liegt für Jesus nur darin, „um des Himmelreiches willen“, der Sinn gewollter Ehelosigkeit.

Patriarchal geprägtes Umfeld

War für die Zeitgenossen Jesu schon seine ehelose Lebensform anstößig, so war es sein Verhalten gegenüber den Frauen noch mehr. In einem stark patriarchal geprägten Umfeld, das Frauen strukturell benachteiligte und in dem sie leicht geächtet oder recht- und mittellos wurden, setzte sich Jesus über soziale und religiöse Konventionen hinweg und pflegte einen unbekümmerten Umgang mit Frauen: Er sprach fremde Frauen an; so suchte er zum Erstaunen und Missfallen seiner Jünger das Gespräch mit der Frau am Jakobsbrunnen, einer Ausländerin, Ungläubigen und Ehebrecherin; er hatte keine Berührungsängste mit Prostituierten, moralisch fragwürdigen Frauen, oder mit kranken, kultisch unreinen Frauen; er machte sich stark für das Recht von Witwen und nahm eine Ehebrecherin in Schutz; er sprach gut und mit Wertschätzung von Frauen und stellte sie in Gleichnissen als Vorbilder hin; fromme und selbstgerechte Männer provozierte er, indem er Dirnen mehr Glauben als ihnen bestätigte.

Jesus und Maria Magdalena

Im Unterschied zu anderen Wanderpredigern oder Rabbinern befanden sich in seinem Gefolge auch Frauen, eine damals anrüchige Sache. Diese Frauen aber waren es, die beim Tod Jesu nicht geflohen sind wie die Männer, sondern gemeinsam mit der Mutter Jesu beim Kreuz ausgeharrt und Jesus beerdigt haben. Eine Frau, Maria Magdalena, ist schließlich die erste Zeugin des Auferstandenen geworden. Maria Magdalena ist eine der wenigen Frauen, die in der Bibel nicht über die Beziehung zu einem Mann identifiziert wird als „Tochter, Frau oder Mutter des ...“.
Wer ist sie, die Jesus noch einen letzten Liebesdienst erweisen und seinen Leichnam mit wohlriechendem Balsam einsalben wollte? Nach Lukas hat Jesus sie von sieben Dämonen geheilt (Lk 8,2). Die Tradition hat sie später mit jener stadtbekannten Dirne identifiziert, die Jesus während eines Mahles im Haus eines Pharisäers die Füße gesalbt hat (Lk 7,37–38), eine Geste, die bei Johannes Maria, der Schwester des Lazarus, zugeschrieben wird (Joh 12,3–4). Diese Geste musste, ebenso wie die Salbung des Hauptes durch eine Unbekannte (Mk 14,3), von den Anwesenden nicht nur als peinlich, sondern als frivol und die gute Sitte verletzend empfunden worden sein, vor allem, dass Jesus es zuließ, sich in der Öffentlichkeit unsittlich berühren zu lassen.

Schließlich galten das Öffnen des Haares der Frau, das Küssen und Salben der Füße oder des Hauptes als erotische Gesten, die allein dem Ehemann zuteil werden durften.
Jesus aber sah die Frau, die ihm Liebe und Hingabe erweisen wollte. Er war frei, dies anzunehmen in der Sprache, die dieser Frau eigen und vertraut war, ohne sie zu verurteilen oder sie selbstschützend ab- oder zurechtzuweisen. Jesus sah – wohl im Unterschied zu den meisten anwesenden Männern – in ihr nicht die Frau als Objekt sexueller Begierde, sondern einen Menschen, der nach Annahme, Anerkennung und Liebe hungerte. Und diese Liebe hat er ihr geschenkt, wenn auch nicht in der Sprache der körperlichen Hingabe. Körperliche Hingabe nämlich bindet zwei Menschen auf eine Weise, die Jesus der Ehe vorbehält, wie er in der Diskussion über die Ehescheidung (Mk 10,1–12 par.) unter Berufung auf Gen 2,24 betont. Mit Gen 1,27 begründet er die gottgewollte Ebenbürtigkeit von Frau und Mann, womit er sich von der männerdominierten Mentalität seiner Zeit deutlich abhebt.

Die Frau in ihrer Integrität als Mensch anerkennen und nicht als Besitz

Interessanterweise bezieht sich Jesus zur Legitimation der Ehe aber nicht auf den Fruchtbarkeitsauftrag in Gen 1,28. Er lehnt Ehescheidung ab und sieht die Ausnahmeregelung der Scheidungsurkunde (Dtn 24,1) nur als Zugeständnis an die Hartherzigkeit des Mannes. Das bedeutet, dass die eheliche Bindung von Liebe getragen sein muss, bis hin zur sexuellen Vereinigung, die besonderer Ausdruck dieser Liebe ist.
In der Bergpredigt bezeichnet Jesus den begehrenden Blick auf eine Frau bereits als Ehebruch mit ihr (Mt 5,28). Das Begehren trachtet danach, das Begehrte zu besitzen (vgl. das 9. und 10. Gebot). Darin klingt die Tradition durch, der es um Wahrung des Eigentumsrechts des Mannes ging. Im Spiegel der Lehre Jesu und seines Verhaltens gegen- über den Frauen aber erschließt sich diese Aussage als eindringliche Mahnung, eine Frau in ihrer Integrität als Mensch anzuerkennen und nicht als Besitz oder Objekt. Jesus betont, dass die Qualität der Beziehung zu einer Frau durch die Regungen des Herzens und die Gesinnung, den „inneren Blick“, bestimmt wird und nicht durch ein Gesetz geregelt werden kann. Die Einstellung Jesu zu Ehescheidung und Ehebruch bedeutet jedenfalls eine Stärkung der Position der Frau, die in der Regel die schwächere und leicht übervorteilbare Seite darstellte.
Die Klausel (Mt 5,32; 19,9), wonach im Falle von Unzucht die Entlassung der Frau aus der Ehe erlaubt ist, spiegelt die Erfahrung wider, dass selbst in den urkirchlichen Gemeinden das Ideal der Ehe nicht immer erreicht worden ist, sodass es Ausnahmen geben konnte, um die Härte des Gesetzes zu entschärfen.

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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