Kirche und Sexualität | Teil 02
Sexualität im Alten Testament

„Gott sah alles an, was er gemacht hatte: Es war sehr gut“ (Gen 1,31). Gilt das auch für die Sexualität?

Der Bibel sind keine menschlichen Erfahrungen fremd, auch nicht im Bereich der Sexualität. Sie benennt deren schöne Seiten ebenso und bejaht sie, wie sie die dunklen zur Sprache bringt und verurteilt. Die Bibel tut dies unumwunden und ungeschminkt, sodass ihre Lektüre manchem späteren Leser die Schamesröte ins Gesicht trieb. Allerdings entfaltet sie keine Systematik, sondern überliefert die oft allzu menschlichen Erfahrungen und sinnt über sie im Licht des Glaubens nach. Sie besingt das Glück frisch verliebter Menschen (Hld) und ordnet an, dass der Neuvermählte ein Jahr lang vom Heeresdienst befreit werde, damit er seine Frau erfreue (Dtn 24,5); sie berichtet aber auch von inzestuösen Beziehungen (Gen 19,30–38) und davon, wie eine Frau als Dirne verkleidet ihren Schwiegervater verführt (Gen 38); sie weiß, dass Ehebruch Familien zerstört (2 Sam 11) und kennt das Leid von Frauen, deren aufblühendes Leben durch sexuelle Gewalt erstickt wird und die einsam an ihrem Schicksal zerbrechen (2 Sam 13). Selbst vor der Schilderung schlimmster Sexualverbrechen schreckt sie nicht zurück (Ri 19).

Eros und Glauben

Zur Reflexion über Erfahrungen mit der Sexualität können folgende Aspekte benannt werden: Die Erfahrung der sexuellen Anziehung zwischen den Geschlechtern sowie der sexuellen Vereinigung gehört zu den Weisen der Gotteserfahrung. Wie die meisten Religionen kennen auch das Juden- und Christentum einen Zusammenhang zwischen Eros und Glauben. Die Bibel weiß um die Anziehungskraft zwischen den Geschlechtern und deutet sie als fruchtbare Kraft der Liebe, durch die der Mensch Gottes Ebenbild wird: Er ist es weder als Mann noch als Frau, sondern als „Mann und Frau“ in ihrer Bezogenheit aufeinander, durch die Gottes schöpferische Liebe in der Geschichte weiterwirkt. Darin gründen der Fruchtbarkeitsauftrag (Gen 1,27–28) und der Segen der Nachkommenschaft (Ps 127). Der historisch ältere Schöpfungsbericht in Gen 2 sieht in der geschlechtlichen Attraktion das Band, das zwei Menschen aneinander bindet, sodass sie ein Fleisch werden. Dies beschränkt sich nicht nur auf den Moment der sexuellen Vereinigung, sondern begründet eine Lebensgemeinschaft, die den einzelnen Menschen der Einsamkeit entreißt (Gen 2,18–24).

Hohelied der Liebe

Das Hohelied, eine Sammlung weltlicher Liebes- und Brautlieder, besingt in erotisch kühnen Bildern die Liebe zweier Menschen, die einander voll Verlangen suchen und sich an verborgenen Orten lustvoll dem Liebesspiel hingeben, obwohl sie noch nicht verheiratet sind. Ob es dieses Buch heute in den Kanon der Heiligen Schrift schaffen würde?
Für die Menschen Israels war die menschliche Erfahrung des Eros die hoffnungsvolle Zusage, dass Gott sich nach dem Menschen sehnt. Die sexuelle Erfahrung wird zum „Einfallstor Gottes“. Bei Hosea wird der Bund Gottes mit Israel als Ehebund gezeichnet, dem Gott treu bleibt, auch wenn sich sein Volk wie eine Dirne fremden Göttern hingibt. Dennoch weiß die Bibel, dass in der Sexualität nicht das Heil zu finden ist. Die Sakralisierung der Sexualität, wie sie etwa in den Religionen von benachbarten Völkern Israels vorkam, wird klar abgelehnt und sakrale Prostitution verboten.

Für den Geschlechtsverkehr benutzt die Bibel bevorzugt das Verb „erkennen“: Das ist mehr als nur die körperliche Begegnung, es ist der personale Akt, den Partner bzw. die Partnerin zu entdecken, kennen zu lernen und anzuerkennen. Es ist ein Prozess, der Vertrauen, Achtung und Ehrfurcht voreinander verlangt. Die Bibel weiß, dass der Mensch in der genitalen Nacktheit nicht nur körperlich, sondern vor allem auch seelisch verwundbar wird. Der Sündenfall in Gen 3 ist im ursprünglichen Sinn kein sexuelles Vergehen. Adam und Eva erkennen in der genitalen Nacktheit ihre Verwundbarkeit und bedecken ihre Blößen, um sich zu schützen.

Macht verlangt nach Verantwortung

Zu wissen, wie und wo jemand verletzlich ist, verleiht ungeahnte Macht über ihn. Macht aber verlangt nach Verantwortung. Wer einen Menschen nackt sieht, seine Blößen kennt, die im Bereich der Genitalität als der Scharnierstelle der leiblich-seelischen Einheit eines Menschen berührbar werden, wird für ihn verantwortlich. Die Sexualität bedarf der sittlichen Verantwortung und Normierung, weil sie anfällig ist für Gewalt und Missbrauch. Die Bibel weiß um die unheilvolle Verbindung von Gewalt und Sex, dass vor allem Männer vor keinen Mitteln zurückschrecken, um ihr sexuelles Begehren zu befriedigen, und dass sie dabei auch den Verstand verlieren, unvernünftig und kriminell werden können (Gen 19; Dan 13). Die Schönheit, als Segen Gottes gepriesen, kann einer Frau so leicht zum Verhängnis werden. Sie kann sie aber auch einsetzen als List und Mittel der Verführung, wissend, wie leicht Männer schwach werden und der Schönheit erliegen. Das Andenken an zwei Frauen (Esther und Judith) wird im Alten Testament gerühmt, weil sie so ihr Volk vor Verfolgung und Untergang gerettet haben.

Das sechste Gebot

Das sechste Gebot, das in der christlichen Tradition mit sexuellen Inhalten überfrachtet worden ist, stellt ursprünglich eine Eigentumsnorm dar: Es spiegelt eine patriarchale Sozialordnung wider, in der das Verbot des Ehebruchs den Schutz des „Eigentums Frau“ bedeutet. Eine Frau konnte nur die eigene Ehe brechen, der Mann nur die Ehe eines anderen Mannes. Der Besuch von Dirnen galt nicht als Ehebruch. Viele normative Regelungen dienten in erster Linie dem Schutz der Frau vor männlicher Gewalt oder Willkür, so das Gebot, die Frau durch eine Scheidungsurkunde aus der Ehe zu entlassen, um sie nicht dem Ehebruch auszuliefern, auf den die Todesstrafe stand. Das Gebot, eine Jungfrau nach dem Beischlaf zu heiraten oder ihrer Familie den Brautpreis zu bezahlen, da eine entjungferte Braut auf dem Heiratsmarkt chancenlos war, hatte mehr wirtschaftliche Gründe. Andere Normen hingegen fallen in den Bereich der nachexilischen kultischen Reinheitsvorschriften.<br />
Tendenziös leib- oder sexualfeindliche Anspielungen finden sich erst in den jüngsten, hellenistisch beeinflussten Schriften des Alten Testaments (etwa Tob 8,7).

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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