Quelle des Segens - Schritte zu einer lebendigen Liturgie | Teil 04
Liturgie als ein Kunstwerk

Von Seiten der Mitfeiernden ist Liturgie zuerst und zuletzt ein „Herz-Werk“ – wie Rainer Maria Rilke sagt: „Werk des Gesichts ist getan. Tue nun dein Herz-Werk.“

Bei jeder Eucharistiefeier ruft der Priester am Beginn des Hochgebetes der Gemeinde die Worte „Sursum corda“ – „Empor die Herzen“ – zu. Damit ist Wesentlichstes über den eucharistischen Gottesdienst ausgesagt. Liturgie – und wäre sie auch in größter Schönheit gestaltet – bliebe für die Teilnehmenden etwas bloß Äußerliches, wenn hier nicht ein „Herz-Werk“ geschähe: eine Öffnung des Herzens auf Gott hin und auch eine Öffnung des Herzens in Zuwendung zu den Mitchristen, die an dieser Feier teilnehmen.

Dies vorausgesetzt, darf, ja soll Liturgie auch so etwas wie ein Kunstwerk sein, das von Schönheit beseelt ist. Kunst ist nicht auf Schönheit reduzierbar, aber sie vollendet sich in Schönheit. Die christliche Liturgie hat Anteil an der himmlischen Liturgie, und sie ist daher ein Vor-Schein und Vor-Klang dieses ewigen Festes, das Gott mit seiner Schöpfung in ihrer Vollendung feiert. Im letzten Buch des Neuen Testaments, der Offenbarung des Johannes, ist davon in ungemein poetischer Sprache die Rede.

Riesig ist der Schatz an ererbter kirchlicher Kunst, die in Jahrhunderten im Dienst der Liturgie geschaffen wurde in Gestalt von Kirchenhaus, Kultgerät, Wort, Musik und Dramaturgie des Ritus. Dieser Schatz soll nach Möglichkeit nicht museal werden, sondern wie ein Sauerteig wirksam sein. Das große Erbe ist kein abgerundeter Besitz. Altes und Neues sollen in der Liturgie in wahrhaft katholischen Synthesen verbunden werden. Dazu bedarf es allerdings einer spirituellen Sensibilität und einer auch auf Kunst bezogenen Sachkompetenz bei den für die Liturgie Verantwortlichen in Diözesen, Pfarren, Klöstern und Seminaren.

Liturgie wurde bis in die jüngste Vergangenheit immer wieder beschenkt durch „große Kunst“ aller Gattungen. Man denke beispielsweise an die Kirchenbauten von Le Corbusier oder Wotruba, an die Kirchenfenster von Chagall, Matisse und Meistermann, an die Skulpturen von Giacomo Manzù und an Kirchenmusik von Strawinskij bis Arvo Pärt. Solches wird hoffentlich auch in Zukunft geschehen. Unterhalb dieser Höchstleistungen gab und gibt es im breiten Spektrum zwischen Architektur und Musik unzähliges Gediegenes auf hohem Niveau, zumal in deutschsprachigen Ländern. In den Begriff Kunst ist hier auch jenes Kunsthandwerk einzubeziehen, das diesen anspruchsvollen Namen wirklich verdient.

Liturgie als ein „Kunstwerk“ bedarf aber darüber hinaus und all das Genannte in einer katholischen Synthese versammelnd besonders der „kleinen Kunst“. Sie braucht das Zusammenwirken vieler spirituell und ästhetisch sensibler Menschen, damit Kirchenraum, Altargestalt und Altarschmuck, Paramente, Wort und Musik in der Gesamtdramaturgie der heiligen Feier nicht einer Banalisierung ausgeliefert werden, die leider vielerorts Platz gegriffen hat.

Hier ist Lernen, Übung, Einübung in einer Schule des Schauens und Hörens dringend geboten. Um Pathologisches in der Liturgie heilend zu überwinden, müsste es freilich als solches erkannt sein, im Bewusstsein von „etwas, das fehlt“, um eine Formulierung von Jürgen Habermas aus einem ganz anderen Zusammenhang in Anspruch zu nehmen.

Dr. Egon Kapellari, Diözesanbischof

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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