SONNTAG. Der Tag zum Leben | Teil 11
Ruhetag

Für Muslime ist der Freitag eine Zeit für die intensive Pflege der seelischen Bedürfnisse. | Foto: Wodicka
  • Für Muslime ist der Freitag eine Zeit für die intensive Pflege der seelischen Bedürfnisse.
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Interview mit Bekir Alboga, Leiter des Instituts für Deutsch-Türkische Integrationsstudien und Interkulturelle Arbeit in Mannheim.

Herr Alboga, warum ist der Freitag für Sie ein besonderer Tag?
Es gibt im Koran, dem heiligen Buch der Muslime, ein eigenes Kapitel „Freitag“. Dort werden in der Sure 62 (Verse 9–11) die Muslime aufgerufen: „O ihr Gläubigen, wenn der Ruf zum Gebet am Freitag erschallt, dann eilt zum Gedenken Gottes und lasst den Handel ruhen!“ Jeden Tag sind wir fünfmal zum Gebet verpflichtet. Das Freitagsgebet nimmt aber eine besondere Stellung ein. Das alltägliche Gebet kann man überall allein beten: zu Hause, in der Schule, am Arbeitsplatz; es dauert ungefähr sechs bis sieben Minuten. Das Freitagsgebet kann man jedoch nur in der Moschee mit der Versammlung der islamischen Gemeinschaft verrichten. Ähnlich wie im Christentum einmal in der Woche die gemeinsame Identität aufbricht, so verstärkt das gemeinsame Freitagsgebet die muslimische Identität. Die Bedeutung des Freitags verdeutlicht ein Vergleich: Einmal im Leben kommen alle Muslime in Mekka bei der Pilgerfahrt zusammen, einmal in der Woche in der Moschee zum Freitagsgebet.

Wie gestalten Sie den Freitag?
Innerlich bereiten sich Muslime – ähnlich wie jüdische Gläubige – schon mit dem Sonnenuntergang auf den Freitag vor. Beim Nachtgebet am Donnerstag wird länger als sonst aus dem Koran gelesen. Gott wird um Vergebung gebeten, damit der Freitag rituell rein erlebt wird. Praktizierende Muslime bitten sich gegenseitig um Verzeihung. Manche gehen auf die Friedhöfe, besuchen die Verstorbenen und lesen für deren Seelen Verse aus dem Koran. Das Freitagsgebet findet dann in der Zeit des Mittagsgebets statt, nachdem sich die Sonne nach Westen geneigt hat. Vor dem obligatorischen Gebet findet eine Predigt statt, ohne die das Freitagsgebet nicht gültig ist. Es dauert ungefähr 30 bis 45 Minuten.

Wer ist zum Freitagsgebet verpflichtet?
Alle sind aufgerufen. Es heißt im Freitagsaufruf ohne Unterscheidung: „O ihr Gläubigen!“ Zu Lebzeiten des Propheten Muhammed vor 1400 Jahren in Medina haben alle Muslime, männlich und weiblich, das Freitagsgebet verrichtet. Wenn man die Tradition des Propheten buchstäblich befolgt, dann sollten auch die muslimischen Frauen am Freitagsgebet teilnehmen. Übrigens beten heute in Mekka, Medina und Jerusalem sowohl Frauen als auch Männer das Freitagsgebet in derselben Moschee.
Die muslimischen Gelehrten haben in der Vergangenheit das Gebot meist in der Weise verstanden, dass die Männer teilnehmen müssen, die Frauen teilnehmen sollten, insofern sie nicht z. B. wegen ihrer Periode befreit sind. Das Freitagsgebet spielt also für alle Muslime eine große Rolle, aber in der Praxis beten außer an den genannten drei Orten meist die Männer die Freitagsgebete. Jugendliche sind mit Erreichen der Pubertät verpflichtet.

Wie vereinbaren Sie das Freitagsgebet mit dem Wochenrhythmus Ihrer Umwelt?
Leider können viele muslimische Migranten die identitäts-stiftende Eigenschaft des Freitagsgebetes und der Predigt nicht wahrnehmen, weil sie arbeiten müssen oder in der Schule sind. Wenn es einem Arbeitgeber möglich ist, wünschte ich mir, dass er seinen muslimischen Angestellten erlaubt, für den Freitag einen Vorbeter zu beauftragen oder in die Moschee zu gehen. Das dauert ja nicht lange, wenn man eine Kurzfassung wählt. Es wäre eine wunderschöne Geste für uns Muslime, die sagt: Ihr seid gleichberechtigt und nicht fremd, ihr seid muslimische Mitglieder dieses Staates und der deutschen Gesellschaft.
Wenn man an Schulen mit hohem Anteil an Migrantenkindern einen islamischen Religionsunterricht einführen würde, könnte dieser ebenso zur Zeit des Freitagsgebets stattfinden. Um die religiöse Identität der jungen Menschen in einer nicht-muslimischen Umgebung zu schützen, ist das Freitagsgebet enorm wichtig. Man kann in die deutsche Gesellschaft integriert sein, ohne dabei die religiöse und kulturelle Identität aufzugeben.

Welches Zeichen setzt das Freitagsgebet?
Neben dem Brotverdienen gibt es andere heilige Dinge: Gesundheit schonen, Stress abbauen, Gemeinschaft pflegen. Es ist eine Entlastung, wenn der Mensch Verbindung zu Gott aufnimmt und sich auf das besinnt, was er getan hat. Der Freitag ist eine intensive Pflege der seelischen Bedürfnisse.

Was tun Sie am Sonntag?

Nichts Besonderes. Ca. 10 Prozent der Kinder nehmen das freiwillige Angebot der Koranschulen wahr, die am Wochenende angeboten werden.

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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