Medizin-Mensch-Moral | Teil 04
Religion, Kultur und Klinik

Im klinischen Alltag herrscht mitunter ein buntes Ineinander religiös-kultureller Sinnbilder. | Foto: formgeben
  • Im klinischen Alltag herrscht mitunter ein buntes Ineinander religiös-kultureller Sinnbilder.
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Derzeit leben in der EU rund 47 Millionen Migrantinnen und Migranten. In Österreich beläuft sich die Zahl der Menschen mit Migrationshintergrund auf knapp 1,5 Millionen.[/p]

Wie sollen nun vor diesem Hintergrund öffentliche Krankenhäuser angemessen mit Wünschen von Patienten unterschiedlichster Weltanschauungen umgehen? Soll beispielsweise auf jüdische Speisegebote Rücksicht genommen werden? Darf ein christliches Kreuz in einem Krankenzimmer für alle sichtbar sein? Sollen muslimische Krankenschwestern ein Kopftuch tragen dürfen? Obwohl man bei der Beantwortung dieser Fragen auch auf praktische Grenzen stoßen wird, möchte ich sie grundsätzlich mit „Ja“ beantworten. Hier die Gründe:

Hinter den oben genannten Fragen steht unter anderem die Diskussion über eine gemeinsame „europäische Identität“, wobei derzeit auf gesellschaftspolitischer Ebene zwei entgegengesetzte Richtungen auszumachen sind: Die eine Seite setzt sich für eine „europäisch-christlich-abendländische Leitkultur“ ein. Dabei wird die christliche Religion allzu oft als Legitimation für eine europäisch-abendländische Kultur herangezogen bzw. missbraucht. Die andere, streng säkulare Seite will religiöse Symbole und Anschauungen aus dem öffentlichen Raum weitgehend ausschließen. Beide Strömungen werden jedoch weder den religiös-kulturellen Gegebenheiten noch den menschlichen Bedürfnissen gerecht, und zwar hauptsächlich aus zwei Gründen:

Erstens: Kulturen verändern sich laufend. Sie sind weit weniger einheitlich als oft angenommen. Innerhalb einer bestimmten Kultur (oder Religion) existieren heute ebenso viele Fremdheiten und unterschiedliche Anschauungen wie zwischen den Kulturen. Es gibt heute ebenso wenig den typischen Moslem/die typische Muslimin, wie es den typischen Europäer/die typische Europäerin gibt.

Zweitens gilt es zu beachten, dass menschliches Handeln stets in religiöse oder weltanschauliche Kontexte eingebettet ist, diese jedoch individuell verschieden sind. Ein Verschwinden religiöser Symbole aus dem öffentlichen Raum sowie die Missachtung religiös-kultureller Wertvorstellungen Einzelner würden daher gegen das menschliche Grundbedürfnis nach Entfaltung des eigenen Lebens verstoßen.

Es erscheint daher angebracht, jeweils immer den einzelnen Menschen mit seinen Bedürfnissen zu respektieren und diesen nicht bloß als Repräsentanten einer Religion oder Kultur zu sehen. Ein solches Kultur- und Menschenbild fördert letztlich Koexistenz und mindert Konflikte, und das nicht nur im klinischen Alltag.

Johann Platzer

 

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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