Christentum - Ein Reiseführer | Etappe 071
Mit Gott reden

Jugendliche beim Gebet am Theotag im Grazer Priesterseminar. | Foto: Neuhold
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Das Gebet

Es meint allgemein eine mit Worten oder mit Handlungen verbundene Anrede eines transzendenten Wesens oder eines Fürsprechers. In den monotheistischen Religionen hat das Gebet eine persönliche und eine auf Kommunikation angelegte Komponente und unterscheidet sich dadurch von fernöstlichen Praktiken der Meditation oder Versenkung. Gebete können im Gottesdienst, in der Gruppe oder allein stattfinden. Sie sind keineswegs auf einen sakralen Raum beschränkt, sondern können als Grundvollzug des Glaubens überall stattfinden und haben auch in die modernen Kommunikationsformen der Zeit Eingang gefunden. Gebete können still formuliert, gesungen oder laut gesprochen werden. Sie können frei formuliert oder aus liturgischen Büchern und Gebetssammlungen rezitiert werden und sind mit unterschiedlichen Körperhaltungen und Gesten verbunden. Häufig werden dabei Symbole verwendet. Ebenso finden Gebete oft zu festgesetzten Zeiten statt.

Die biblischen Zeugnisse überliefern uns vielfältige Formen des Gebetes. Die wichtigsten Formen des Gebetes sind Anbetung, Bitte und Fürbitte, Danksagung und Lob. In die Sprache des Gebets gebracht werden aber auch Verlassenheit und Verzweiflung. Zur christlichen Gebetserfahrung gehört nicht nur der Jubel und der Lobpreis, sondern auch der Schrei aus der Tiefe des Herzens und die Klage. Auch Jesus kennt im Beten die Angst und die Betrübnis. Christliche Gebetspraxis bedarf heute einer vermehrten Einübung in die Sprache der Trauer, der Ohnmacht und der Melancholie, um sich auch mit den vielen Situationen und Erfahrungen der unterdrückten und verfolgten Mitbetenden zu solidarisieren.

In der Sprache des Gebets kann man Gott alles sagen, selbst wenn er einem in Zeiten der Finsternis abwesend erscheint. Das Beten stellt ein tiefes Geheimnis der Verbindung des Menschen mit Gott dar. Jesus lebt von der Verbindung mit dem Vater und geht mit dem Gebet auf den Lippen den Weg der Verachtung und am Ende aber in den Sieg Gottes. Beten ist niemals nur ein Zeichen persönlicher Innerlichkeit. Aus der Kraft des Gebetes beziehen Menschen die Stärke, für die Welt einzutreten, zu protestieren, zu verändern und Hoffnung wider alle Hoffnung zu setzen.

Wer aufrichtig betet, erfährt Selbsterkenntnis vor dem Angesicht Gottes. Er konfrontiert sich mit dem, was verborgen und verdrängt ist und was er wegschieben möchte. Das Gebet schenkt Kraft, aber es macht nicht unangreifbar und unverletzlich. Im Gebet begegnet der Mensch vor Gott auch den Tiefen seines Selbst, seiner Träume, seiner Phantasien und seiner Abgründe. Und er kehrt auch als alter Mensch nicht selten zurück zu den Gebeten seiner Kindheit und dem Vertrauen, das ihn damals gehalten hat, auch wenn die Kinderfragen und Wünsche im Laufe einer Lebensgeschichte unbeantwortet geblieben sind.

Jugendliche beim Gebet am Theotag im Grazer Priesterseminar. | Foto: Neuhold
Foto: Gerd Neuhold, Sonntagsblatt
Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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