Reformationsjubiläum. Serie zum Lutherjahr 2017 | Teil 01
Man muss nicht immer perfekt sein

Prägend für die Reformationszeit war die Erfindung des Buchdrucks. Die Gutenberg-Bibel läutete den Medienwandel ein. | Foto: Foto: CC2.0/Kevin Eng
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  • Prägend für die Reformationszeit war die Erfindung des Buchdrucks. Die Gutenberg-Bibel läutete den Medienwandel ein.
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Der berühmte Ablassprediger Johann Tetzel etwa warb mit dem Spruch: „Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele aus dem Fegefeuer springt.“ Das brachte bei Luther das Fass zum Überlaufen – doch die eigentlichen Differenzen lagen wesentlich tiefer. Im Kern ging es um nichts weniger als die Frage: Was macht das Wesen des Christseins aus?

Nach Luthers Erkenntnis ist es nicht das Bemühen, ein möglichst guter Mensch zu sein, sondern die Einsicht, dass alles menschliche Handeln grundsätzlich ambivalent ist.

So sehr man sich auch bemühen mag – neben lauteren schwingen bei fast allen menschlichen Vorhaben im Untergrund auch unlautere Motive mit. Vieles, was nach außen hin ganz toll scheint, hat oft sehr banale oder sogar zweifelhafte Beweggründe. So sind etwa gefeierte Helden nicht selten von unterschwelligen Ängsten zu ihren Heldentaten getrieben worden. Und manches scheinbar selbstlose Handeln (wie beispielsweise die Mutterliebe) kann mitunter auch durchaus egoistischen Motiven entspringen und andere damit binden. Umgekehrt besagt schon ein bekanntes Sprichwort: „Das Gegenteil von gut ist gut gemeint.“ Vieles, was zwar in bester Absicht geschieht, kann sich im Ergebnis dennoch katastrophal auswirken!

Begnadete Sünder
Mit anderen Worten: Es bleibt letztlich nur wenig, dessen wir uns vor Gott wirklich rühmen könnten. Im Gegenteil. So schrieb bereits Paulus in seinem Brief an die Römer: „Wir sind allzumal Sünder und mangeln des Ruhmes, den wir vor Gott haben sollten“ (Röm 3,23). Und auch der von Luther hochgeschätzte Kirchenvater Augustinus (354–430) merkte einmal an: „Non posse non pec­care“ – ich kann als Mensch gar nicht nicht sündigen. Christsein nach evangelischem Verständnis bedeutet also, dieser Realität offen ins Auge zu schauen, dafür jedoch dankbar die General-Begnadigung anzunehmen, die Gott uns in Jesus Christus zuteilwerden hat lassen: „Sola gratia“ – allein aus Gnade.

Mut zum Fehler
Dem liegt zweifellos ein recht pessimistisches Menschenbild zugrunde. Gerade das verschafft dem Christenmenschen als begnadetem Sünder aber auch ein enormes Maß an Freiheit. Denn wenn man ohnehin nichts wirklich „gut“ machen kann, ist man auch jedem Perfektionszwang enthoben. Vielmehr hat man die Freiheit, nach eigenem Gut-Dünken zu handeln und auch einmal nach dem Prinzip von „trial and error“ zu experimentieren, ja sogar Fehler zu machen. Ein Satz des großen Schweizer Theologen Karl Barth (1886–1968) mag dies verdeutlichen: „Immer noch besser, etwas Problematisches, allzu Mutiges – und darum Korrektur- und Vergebungsbedürftiges – zu tun als gar nichts!“

Natürlich hat man der evangelischen Seite bald vorgeworfen, mit dieser Lehre der Unmoral Tür und Tor zu öffnen, denn damit wäre ja alles erlaubt und nichts mehr heilig. Doch mit einem solchen Vorwurf hätte man die Sache grob missverstanden. Denn die persönliche Freiheit korrespondiert ja stets auch mit der persönlichen Verantwortung.

Hermann Miklas

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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